Nachhaltigkeit : Papierindustrieller Heinzel: "Sicherung von Rohstoffen ist Gebot der Stunde"

Heinzel Sebastian

"Wer sich übt, zirkulär zu denken, kommt von ganz allein an neue Geschäftsmodelle": Sebastian Heinzel, CEO Heinzel Group

- © Matthias Heschl

Vor 30 Jahren, sagt Sebastian Heinzel, war die Papierindustrie vor allem für verschmutzte Flüsse bekannt. Damit, so der Papierindustrielle und CEO der Heinzel Group, hat die Branche nachhaltig aufgeräumt: In den 70ern waren die Gewässer der Traun in Laakirchen grob verschmutzt. Heute „reisen von überall aus der Welt Menschen in dieses begehrte Fliegenfischerparadies an“, sagt Heinzel am Deep Dive des Industriemagazins. Der Papierkonzern mit 2,8 Milliarden Euro Jahresumsatz und 2.500 Mitarbeitern stellt Zellstoff und Zellulose her, hält Produktionsstandorte im deutschen Raubling, in Pöls und Laakirchen. Holzreste werden zugekauft und finden gezielt an zwei Standorten, im Werk Estland sowie in Pöls in den Stoffkreislauf zurück.

Aus Altpapier - über den gruppeneigenen Altpapierhändler Bunzl & Biach bereitgestellt - holen die Oberösterreicher schon heute Faser für Neuprodukte. „Die Faser fließt in die Papierproduktion zurück“, sagt Heinzel. Zwei Standorte verarbeiten bereits zu hundert Prozent Altpapier.

Diese und weitere Maßnahmen sind Teil einer Strategie, die vor zwei Jahren eine Neuausrichtung erfuhr: „Wir rückten die Nachhaltigkeit als Kern unserer DNA in den Mittelpunkt“, sagt Heinzel. Die Ausgangslage ist gut: Die Papierindustrie ist - aufgrund des Trockungsprozesses - eine der energieintensivsten Branchen, in Schlagdistanz zur Glasindustrie jedoch zugleich auch „eine der kreislaufstärksten“, sagt Heinzel. Und schließlich arbeite man beim Thema Nachhaltigkeit nicht für Geschäftsberichte, sondern die Belegschaft.

Der Eindruck der vergangenen 24 Monate hätten einen Eindruck jedenfalls erhärtet: „Die Sicherung von Rohstoffen statt einer Vorwärtsintegration sei das Gebot der Stunde.

2022 wurden die Emissionen um 14 Prozent im Unternehmen reduziert. Auch weiterhin werde man - mit Blick auf Scope 2 und -3-Ziele - einiges an Geld in die Hand nehmen. Heinzel nennt die Biomasse, Reststoffkraftwerke, „um grüne Energien selbst zu produzieren. Oder alternativ solche am grünen Markt zuzukaufen.

Fotovoltaik sei im Unternehmen ein Thema: „So ziemlich jedes Dach unserer Gruppe ist solar belegt“, sagt Heinzel. Jedoch seien dies Kleinmaßnahmen, die jedoch positives Mitarbeiter-Feedback nach sich zögen.

Heinzel ist seit kurzem auch strategisch in ein Projekt in Paraguay investiert. Mehr als 100 Millionen Bäume werden dort mehr als 225 Millionen Tonnen Co2 binden. Die Errichtung des ersten Zellstoffwerks sei „der nächste Schritt“, sagt Heinzel.

"Wenn man sich übt, zirkulär zu denken, dann kommen die Geschäftsmodelle von allein“, sagte er in einem Interview im Jänner. Im vergangenen Sommer wurde der Kaufvertrag für die in Steyrermühl domizilierten - nur einen Steinwurf vom eigenen Produktionsstandort Laakirchen enfernten - Papierfabrik von UPM unterschrieben.

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Mit der Übernahme Ende 2023 verfügt das Papierunternehmen dann über ein Restoffkraftwerk, das aus dem zirkulären Führen von Stoffströmen noch mehr herausholt: Aus Altpapier - über den gruppeneigenen Altpapierhändler Bunzl & Biach bereitgestellt - holen die Oberösterreicher schon heute Faser für Neuprodukte. Die aus dem Verbrennungsprozess von Reststoffen gewonnene Energie wird ab 2024 zur Versorgung der Heinzel-Standorte beitragen.

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Innovativ ist das Unternehmen auch in Süddeutschland: Dort zerlegt man - ziemlich exklusiv - Milchkartons quasi sortenrein in seine Bestandteile. Von Kunden, die aus Heinzel-Papier den Klassiker - die Wellpappeschachtel - produzieren, nimmt das Unternehmen wiederum vermehrt Stanzabfälle zurück. "Das wollen wir ausbauen", sagt Heinzel.

Die Papierindustrie als solche sei eine der zirkulärsten Branchen, so der CEO. Bis aus einer fabrikneuen Wellpappeschachtel die nächste fabrikneue geworden sei, dauere es - auf Basis der identen Faser - heute nur vier Wochen. Damit kratze man schon fast am Benchmark einer Papierfabrik aus Staten Island, die Pizzakartons für Manhattan zirkulär im Zehn-Tages- Rhythmus produziert, schmunzelt Heinzel.

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