Energy2050 : Zaubergas Wasserstoff: Vom Hype zu den ersten Anwendungen

Wasser Tinte Tropfen Glas Wasserstoff H2
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Die Energiewirtschaft hat ein Hype erfasst, der sich um ein geruchloses, farbloses Gas dreht: Wasserstoff. Das meistverbreitete Element auf unserem Planeten ist Bestandteil praktisch aller organischen Verbindungen. Wasserstoff ist aber auch ein Kernelement der sogenannten Power-to-Gas-Technologie, weil es sich durch Elektrolyse aus Wasser gewinnen und danach beliebig lange speichern lässt – um als Antrieb in Autos, Energieträger in Fabriken und Grundstoff und Prozessgas der Industrie zu dienen.

Genau deshalb gilt Wasserstoff heute als Hoffnungsträger weit über Industriekreise hinaus - denn wenn es mit Erneuerbaren erzeugt wird, könnte es die entscheidende Antwort auf viele große Probleme der Energiewende sein. Vor allem bei der Speicherbarkeit von Strom.

Zentrales Gas in der Sektorkopplung

Auch auf der heurigen Energiekonferenz "Energy2050" in Fuschl am See in Salzburg gehört Wasserstoff zu den zentralen Themen. "Grüner Wasserstoff wird die Zukunft sein. Und es wird auch eine Schlüsselrolle in der Sektorkopplung spielen", sagt Wolfgang Anzengruber, Konzernchef des Energieversorgers Verbund, der die Konferenz veranstaltet. "Die größte, noch nicht beantwortete Frage ist allerdings die Wirtschaftlichkeit", so Anzengruber weiter.

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Wasserstoff bleibt ein sehr schwieriges Material

Tatsächlich bleibt der neue Liebling vieler Strategiepapiere ein schwieriges Material. Wasserstoff ist extrem teuer in der Herstellung, extrem reaktionsfreudig und deshalb schwer zu transportieren und zu lagern. Auch hat selbst die Großindustrie wie zum Beispiel die OMV bis heute Probleme, die Qualität und Beschaffenheit des Gases für den industriellen Einsatz genau messen und skalieren zu können. Damit nicht genug: Wasserstoff ist heute das absolute Gegenteil von umweltfreundlich. Nach Angaben des Verbund werden derzeit weltweit rund 500 Milliarden Tonnen Wasserstoff im Jahr hergestellt - der Löwenanteil davon produziert mit Erdöl und Gas.

Chance für Europa: "Hier haben uns USA und Asien noch nicht überholt"

Trotzdem arbeiten gerade dutzende Unternehmen und Forschungsstellen in Österreich an der Frage, wie man Wasserstoff nutzen kann. Wolfgang Anzengruber verweist hier nicht nur auf Auswirkungen auf die Energiewende, sondern vor allem auf den Standort Europa: "Bei der Batterietechnologie spielt die Musik heute in den USA und vor allem in Asien. Da laufen wir inzwischen hinterher. Bei Wasserstofftechnologien aber haben uns andere noch nicht überholt. Hier sind wir in Europa vorn. Das ist eine riesige Chance." An die EU-Kommission appelliert Anzengruber: "Die Industrie kann, sie macht, und sie hat die Mittel, um diese Technologie bis zum Einsatz im großen Maßstab voranzutreiben. Sie wird das aber nur machen, wenn die Rahmenbedingungen die Wirtschaftlichkeit gewährleisten."

Brennstoffzelle: Vom Raketenantrieb zum Pkw

Im Hinblick auf Zweifel wegen massiver technischer Schwierigkeiten mit diesem Gas verweist Anzengruber auf die rasante Entwicklung bei Batterien: "Noch vor drei Jahren hat ein Megawatt eine Million Euro gekostet. Schon zwei Jahre später bekam man die doppelte Kapazität für den halben Preis."

Die technologische Entwicklung bei Wasserstoff sei enorm, bestätigt auch Michael Sattler, Chef der Abteilung für Zukunftstechnologien bei OMV Refining. Sattler empfiehlt, das Wasserstoff-Museum von Daimler in der Nähe von Stuttgart zu besuchen und dort die Entwicklung von Motoren mit Brennstoffzelle anzuschauen: "Vor 20, 30 Jahren fing es an mit Motoren, die noch ausgeschaut haben wie Raketentriebwerke. Seither ist wirklich sehr viel passiert."

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Große Anstrengungen bei der OMV

Auch der heimische Mineralölriese OMV investiert gerade in den künftigen Einsatz von Wasserstoff. Grundlegende Ergebnisse soll das aktuelle Projekt "Uphy" liefern, mit dem die OMV die Skalierbarkeit und Messbarkeit des Gases verbessern will. Viel passiert auch im Bereich Mobilität, obwohl es in Österreich aktuell nur fünf Wasserstofftankstellen gibt - und gerade einmal 37 Autos mit Brennstoffzelle. Ob Wasserstoff eines Tages allerdings tatsächlich dem Verbrennungsmotor Konkurrenz machen kann, ist fraglich. Die Experten der OMV sind sich sicher: Wenn schon Wasserstoff als Antrieb, dann eher im Schwerlastverkehr als im Indidualverkehr.

Satte 16 Dollar für ein Kilogramm

Trotzdem ist der Weg dahin noch sehr weit. Da wären zum einen die Kosten für die Infrastruktur. Rund eine Million Euro koste die Errichtung einer Wasserstofftankstelle, so Michael Sattler, Experte für Zukunftstechnologien bei der OMV. Dazu kommen die Kosten für den Treibstoff selbst. Sattler verweist hier auf Kalifornien, wo ein Kilogramm Wasserstoff an der Tankstelle satte 16 Dollar kostet: "Ich muss jeden enttäuschen, der meint, es wird billiger. Es wird nicht billiger. Dazu kommt: Derzeit bekommt man an der Zapfsäule nicht grünen, sondern grauen Wasserstoff. Auch die Verfügbarkeit ist ein großes Problem." Das liege vor allem an der Logistik, so OMV-Manager Sattler. "Muss es beim Transport ein Druck von 300 Bar sein, oder 500 Bar, oder gar flüssig? Das steht alles noch nicht fest."

Große Schwierigkeiten bei der Logistik

Nicht die einzige Schwierigkeit, mit der die OMV kämpft, wie Sattler erzählt. "Wir betreiben gerade zwei Wasserstoffbusse in Stuttgart. Da ist die Versorgung kein Problem. Aber neulich habe ich mit einem Kunden geredet, der 200 Busse betreibt. Wir liefern ihm den Diesel dafür. Einmal haben wir nachgerechnet, wie viel Lkw-Ladungen Wasserstoff dieser Kunde pro Tag brauchen würde, wenn er komplett auf Brennstoffzelle umstellt. Das Ergebnis: 14. Das ist schon eine logistische Herausforderung." Aktuell: ÖBB Postbus schickt erstmals einen Wasserstoffbus auf die Straße >>

Michael Sattlers Fazit: "Wahrscheinlich wird es auch im Jahr 2050 bei den Antrieben nicht nur Wasserstoff geben, sondern einen Mix. Trotzdem müssen wir die technologischen Möglichkeiten, die wir haben, nutzen. Es braucht alles noch einige Jahre, eine Evolution statt einer Revolution. Und wir brauchen mehr Kooperationen zwischen dem öffentlichen Nahverkehr und dem privaten Schwerverkehr."

Weltweit einzigartige Pläne bei der Tiroler Zillertalbahn

Kurz vor dem ersten Schritt in die Praxis ist dagegen eine weltweit einzigartige Anwendung bei der Tiroler Zillertalbahn. Diese Schmalspurbahn mit bosnischer Spurweite transportiert auf 32 Kilometern Pendler und Touristen durch das Zillertal. Aktuell: Zillertalbahn: Dritter Gewinn in Folge und 2,5 Millionen Fahrgäste >>

Weil die Fahrgastzahlen stark steigen, sind 50 Dieselbusse begleitend im Einsatz - und der "Leidensdruck auf der Straße" nehme zu, so Helmut Schreiner, Technikvorstand der Zillertaler Verkehrsbetriebe. Nun will die Zillertalbahn schon nächstes Jahr den Testbetrieb mit Wasserstoffantrieben aufnehmen und 2023 komplett in den Regelbetrieb wechseln - als erste Schmalspurbahn der Welt.

Größte Elektrolyse der Welt in Linz kurz vor Betriebsstart

Schon wenige Wochen vor dem entscheidenden Schritt in die Praxis befindet sich ein weiteres weltweit einzigartiges Projekt: H2Future in Linz. Hier haben die Voestalpine, Siemens und der Verbund gemeinsam die größte Elektrolyseanlage überhaupt gebaut. Das Ziel der Pilotanlage: Wasserstoff statt Koks als Reduktionsmittel bei der Stahlproduktion einzusetzen. Alle Meldungen zu H2Future auf Industriemagazin.at >>

"Die Infrastruktur ist schon fertig. Heuer im Herbst soll die Anlage in Betrieb gehen", sagt Rudolf Zauner, Chef des Wasserstoffzentrums von Verbund Solutions. Zu den Dimensionen der Anlage auf dem Gelände der Voest meint Zauner: "Es ist ein Protonenaustausch-Membran-Elektrolysemodul mit sechs Megawatt Anschlussleistung. Aber wenn wir die gesamte Voest beliefern wollten, müsste die Leistung 500 Mal größer sein."

Geplanter Wirkungsgrad von 85 Prozent

Obwohl deshalb der Weg bis zum großindustriellen Einsatz auch hier noch sehr weit ist, klingen nach Zauners Worten einige Eckdaten der Anlage schon heute vielversprechend: "Wir haben hier eine Elektrolyse, die man sehr dynamisch betreiben kann. Das bedeutet, dass wir die Anlage nicht nur für die Stahlerzeugung nutzen können, sondern auch im Regelenergiemarkt. Und beim Wirkungsgrad nehmen wir uns recht ambitionierte 85 Prozent vor."

Riesiger Hebel gegen die enormen Emissionen der Stahlindustrie

Das Interesse auf EU-Ebene, die das 18 Millionen Euro teure Pilotprojekt zu etwa zwei Dritteln finanziert, sei jedenfalls groß, berichtet der Verbund-Manager. Auch weltweit habe die Schwerindustrie die Versuche in dieser Anlage genau im Blick. Rudolf Zauner verweist hier auf den enormen Anteil der Stahlindustrie an den globalen Emissionen: "Für die Produktion einer Tonne Stahl werden 1,6 Tonnen Kohlendioxid in die Luft geblasen. Die weltweite Stahlproduktion beträgt 1.800 Millionen Tonnen. Unter dem Strich heißt das: Die Stahlindustrie produziert knapp ein Drittel der industriellen Emissionen weltweit." Entsprechend riesig wäre deshalb der Hebel beim globalen Ausstoß von Treibhausgasen, wenn es gelingen sollte, die enormen Emissionen der Stahlindustrie zumindest etwas zu senken.

Entscheidende Frage bleibt offen

Ob es allerdings eines Tages gelingt, weite Bereiche der Stahlproduktion auf Wasserstoff umzustellen, vermag auch auf der Energy2050 niemand zu sagen. Und ob man in Zukunft mithilfe von Wasserstoff wirklich die weltweiten Emissionen entscheidend senken kann, bleibt völlig offen. Michael Sattler, OMV-Experte für Zukunftstechnologien, formuliert es so: "Viele Fragen sind einfach noch nicht beantwortet. Aber man sieht klar, dass Bewegung in dieses Thema reinkommt."