Interview : "Zu einem echten Autopiloten ist es noch ein Stück hin"

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Herr Poledna, TTTech ist dabei, sich zu einem Global Player im Bereich des autonomen Fahrens aufzuschwingen. Wann kommt das „Roboter“-Auto?

Stefan Poledna Das dauert noch. Aber die Technik hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Abstandshaltefunktionen, Spurhaltefunktionen, Geschwindigkeitsregulierungen etc. sind allesamt Technologien, die heute schon Fahrerleichterung bringen. Bei all diesen Anwendungen, die bereits genutzt oder erprobt werden, trägt aber immer noch der Fahrer die Letztverantwortung. Das heißt, dass alle aktuellen Systeme lediglich eine Unterstützung sein können. Selbst wenn heute Systeme mit dem Namen „Autopilot“ angeboten werden, so ist dies Marketing-Naming. Zu einem echten Autopiloten haben wir noch ein Stück hin.

Wie ist dies zu verstehen?

Poledna Unter Technikern wird der Entwicklungsgrad einer Technologie nach den „Levels of Automation“ kategorisiert. Da gibt es ein Punktesystem von eins bis fünf. Eins sind ganz einfache Fahrerassistenzfunktionen und fünf beschreibt das vollautonome Gefährt ohne Fahrer. Auf dieser Skala sind wir im Markt auf dem Level zwei „Partial Automation“ angekommen. Hier finden sich derzeit die Lösungen, die in den USA schon angeboten werden. Dann kommt ein tiefer Graben zu Level drei. Level drei ist dann erreicht, wenn ich eine Fahraufgabe an das Auto delegieren kann, auch wenn das nur in einem beschränkten Szenario stattfindet. Entscheidend ist, dass das Auto und damit der Hersteller die Verantwortung für die Fahraufgabe übernehmen. Der Fahrer muss nicht mehr kontrollieren. Er ist out of the loop. Ab diesem Stadium eröffnen sich aber handfeste technische und gesetzliche Fragen.

Wie weit sind Projekte schon auf Level drei vorgedrungen?

Poledna Wir haben mit Audi ein Level-drei-System entwickelt. Das ist jetzt auf dem Weg zur Straßenfreigabe. Das Wesentliche dabei ist: Es ist der Autohersteller, der in der Haftung steht – und nicht mehr der Fahrer. Denn eine Level-drei-Technologie bringt mit sich, dass der Fahrer nicht ständig bereit sein muss, eventuelle Probleme auszubügeln. In dem Szenario ist wirklich das System letztverantwortlich. Das Steuerungssystem muss daher außerordentlich sicher sein. Das macht einen riesigen Unterschied.

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Wie definieren sich die nächsthöheren Levels?

Poledna Bei Level vier fahren Sie von der Autobahnauffahrt Auhof bis München vollautonom durch. Der Fahrer kann währenddessen etwas anderes tun wie lesen, arbeiten oder schlafen. Und auf Level fünf gibt es gar keinen Fahrer mehr im Fahrzeug, sondern das System muss immer selber zurechtkommen. Aktuell gibt es nur Level-zwei-Systeme zu kaufen, die nicht mehr als Autofahrhilfen repräsentieren. Alles andere, von dem derzeit geschrieben und gesprochen wird, ist im Projektstatus, ist experimentell, gilt nicht als freigegeben. Die erste Serienentwicklung für Level drei kommt von Audi – zusammen mit uns.

Worum geht es da?

Poledna Audi hat eine Art Staupiloten für Autobahnen entwickelt. Es arbeitet in einem klar definierten Szenario: Der Fahrer ist auf der Autobahn oder einer Schnellstraße mit getrennten Fahrbahnen ohne Gegenverkehr, ohne Radfahrer, ohne Ampeln und Kreuzungen unterwegs und kämpft mit Stop-and-Go-Verkehr. Mit dem Staupiloten fährt das Auto autonom im Stau mit. Das Tempo ist dabei noch limitiert. Das ist das erste, was man als Level drei bringen wird. Der nächste Schritt wird der Highway-Pilot sein, der Sie auf der Autobahn von Wien nach Salzburg bringt. Daran wird intensiv gearbeitet und das ist in den nächsten Jahren absehbar. Wie lange es dauern wird, bis ich in der Altstadt von Neapel autonom fahren kann, wage ich jetzt noch nicht zu sagen.

Wie werden Fahrzeuge in Zukunft ausschauen?

Poledna Wenn ein Großteil der Kilometerleistung autonom gefahren wird, ändern sich die Vorgaben an Design und Interieur vollständig. Der Fahrgast will bequemer sitzen und benötigt mehr Platz. Infotainment und Connectivity erhält einen ganz anderen Stellenwert. Dazu kommt auch die fortschreitende Entwicklung zur Shared Mobility. Es gibt keine Extras wie Schiebedach, Lederausstattung oder Ähnliches, einfach weil Mehrparteiennutzung oder kommerzielle Nutzung immer die Reduktion auf das Wesentliche mit sich bringt. Und dann gibt es natürlich die Frage des Antriebs und der Steuerung. Muss ich für Shared Mobility in der Großstadt im Auto einen großen Motorblock mit einem bisher üblichen Getriebe unterbringen? Und fällt die Steuerung ganz weg? Derartige Vorgaben beeinflussen das Aussehen des Autos maßgeblich. Auch die Logistik wird sich ändern.

Der Transport von Gütern wird sich verselbständigen?

Poledna Die Auswirkungen auf den Gütertransport sind immens. Die Logistikkette wird durch autonomes Fahren völlig neu zusammengestellt. Hier wird ein radikaler Umbruch stattfinden. Wer braucht noch Supermärkte in dem Umfang, wenn ich Waren mit autonomen Fahrzeugen zu Zielpunkten minutengenau liefern kann?

Wo liegen derzeit die größten Hürden in der Entwicklung des autonomen Fahrens?

Poledna Der aktuelle Flaschenhals liegt in der Leistungsfähigkeit der Prozessoren sowie in der notwendigen Sicherheitstechnik. Ein autonomes Auto verfügt über eine Unmenge an Sensorik, Kamerasystemen, Radar, Laserscanner, Ultraschall und so weiter. Das Auto muss das gesamte Umfeld erfassen können, und dies zigfach pro Sekunde. Dafür benötigt man enorme Rechenleistung, um die Informationen zu verarbeiten und Entscheidungen zu treffen.

Autonomes Fahren benötigt leistungsfähigere Chips als derzeit verfügbar?

Poledna Sagen wir so: Wir sind immer an der Oberkante dessen, was Halbleiter derzeit liefern können. Teilweise sind wir sogar klar im roten Bereich. Wir benötigen ein Vielfaches an Rechenleistung von dem, was wir heute in unseren Computern haben. Was heute in Laptops und Desktops an Rechenleistung geboten wird, genügt nicht, um autonom zu fahren.

Bis wann sind Lösungen verfügbar?

Poledna Wir kommen da in den Bereich der Deep Neural Networks Artificial Intelligence und Neural Network Processing Units. Es wird an parallelen Beschleunigern für das Thema Bildverarbeitung gearbeitet. Artificial Intelligence und neuronale Netzwerke nehmen dabei breiten Raum ein. Die ersten Hardwarebeschleuniger und Chiplösungen gehen jetzt in den Markt. Da sprechen wir dann über Rechenleistung im Tera-Operations- Bereich. Das sind mehr als 1 Million x 1 Million Rechenbefehle pro Sekunde. Die Rechen- und Speicherleistung ist hier wirklich noch ein limitierender Faktor.

Wo hat TTTech bei der autonomen Mobilität seinen Platz?

Poledna Wir kümmern uns um die Sicherheitsarchitektur. Das haben wir bereits für Audi getan und machen das jetzt auch mit anderen Partnern. Wir sind für die sichere Abarbeitung der Funktionen und die sichere Vernetzung all der Informationen verantwortlich, die in einem autonomen Auto auf völlig unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichen Technologien geliefert werden. Dazu haben wir ein Safety-Betriebssystem entwickelt, das sämtliche Funktionen in einem autonomen Auto verwalten kann. Wenn Sie so wollen, arbeiten wir an einem Android-Betriebssystem für Autos.

Für die Langsamen unter uns: Was bedeutet das?

Poledna Wir nennen diese Safety-Plattform MotionWise. Wir verwalten sämtliche Informationen, die dann Prozesse ins Laufen bringen, die überwacht werden und für deren Sicherheit gesorgt wird. Wenn Fehler eintreten, werden Back-up-Strategien ausgeführt. Und das alles muss sicher und in Echtzeit ablaufen. Unsere Vorgabe ist, das autonome Fahren sicherer zu machen, als es derzeit ist.

Das Unternehmen wurde vor 20 Jahren als Spin-off der TU-Wien von Stefan Poledna und Georg Kopetz gegründet und hat sich auf IT-Lösungen spezialisiert, die Vernetzungen und Steuerungen sicher machen. TTTech ist in den Bereichen Luftfahrt, Industrie, Landmaschinen und Automotive aktiv. Das Software-Unternehmen gehört noch zu 40 Prozent den Gründern, der Rest ist in Besitz diverser Privatstiftungen, seit Juni auch der B&C-Holding (9,11 Prozent). Für heuer wird mit 1700 Mitarbeitern ein Umsatz von 140 Mio. Euro angepeilt. Um die Eigentumsverhältnisse im Stammhaus zu wahren und weitere Kapitalgeber aufnehmen zu können, wurde im Juni die TTTech Auto gegründet, in der sämtliche Aktivitäten der autonomen Mobilität gebündelt wurden. Hier sind neben den TTTech-Gründern auch Audi (mit 31 Prozent Hauptaktionär), Infineon (2,6 Prozent), GE (2,97 Prozent) oder Samsung (8,4 Prozent) beteiligt – alle mit dem Hauptfokus des autonomen Fahrens. Mit BMW besteht seit drei Monaten eine Kooperation.