Studie : Wirtschaftsabschwung: "Gelassenheit darf nicht in Sorglosigkeit kippen"

Die wirtschaftliche Gesamtlage in Europa beginnt sich einzutrüben. Nach einem Jahrzehnt gezeichnet durch Wirtschaftsaufschwung zeichnen die Prognosen für die kommenden Jahre ein weniger vielversprechendes Bild. Das globale Wachstum fällt aktuell gemäß dem Internationalen Währungsfonds (IWF) auf drei Prozent und damit auf das Niveau aus Zeiten der Finanzkrise zurück. In Deutschland greift der seit Anfang 2018 beobachtbare Abschwung von Industrieunternehmen – insbesondere im Automobilsektor – allmählich auch auf andere Branchen und Länder über. Auch für Österreich werden gemäß Institut für Höhere Studien Wien für das Jahr 2020 nur noch 1,3 Prozent Wirtschaftswachstum prognostiziert.

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Wie schätzen Österreichs Industrieunternehmen die Wirtschaftsentwicklung und ihre eigene Auftragslage ein? Sind heimische Betriebe ausreichend für wirtschaftlich herausfordernde Zeiten gerüstet? Auf welche Strategien setzten sie dabei? Diesen Fragen ist Ernst & Young in der Studie „Managing the Downturn“ nachgegangen. Dafür wurden 100 Entscheidungsträger österreichischer Industrieunternehmen befragt.

Großteil der Industrieunternehmen unterschätzt den drohenden Abschwung

Aktuell gehen rund zwei Drittel (62%) der befragten Industrieunternehmen davon aus, dass die wirtschaftliche Lage Österreichs in den nächsten 12 Monaten stabil bleibt. Gleichzeitig gehen aber auch nur vier Prozent von einer Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Lage aus. Immerhin jeder Dritte (34%) rechnet mit einer Verschlechterung. Besonders Unternehmen im Metall- Stahl- und Maschinenbau schätzen die Lage ernster ein. „Österreichs Industrieunternehmen sehen einem drohenden Wirtschaftsabschwung sehr gelassen entgegen. Auf der einen Seite ist es die richtige Einstellung, sein Unternehmen mit ruhiger Hand durch stürmischere Zeiten zu lenken. Auf der anderen Seite darf die Gelassenheit aber nicht in Sorglosigkeit kippen. Auch wenn der Ausbruch einer neuen Wirtschaftskrise momentan nur ein mögliches Szenario ist, stehen die Zeichen klar auf einem Ende der Hochkonjunktur. Das erklärt auch, warum gerade die exportorientierten Industrieunternehmen pessimistischer sind – ihr Seismograph schlägt schneller aus, wenn die Weltwirtschaft in Schieflage gerät“, erklärt Johannes Schneider, Managing Director bei contrast EY Parthenon.

Obwohl nur jedes 25. heimische Industrieunternehmen von einer Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Lage ausgeht, schätzen die Unternehmen die Entwicklung der eigenen Auftragslage im kommenden Jahr deutlich optimistischer ein: 29 Prozent gehen von einer Verbesserung aus. „Wir führen dieses Ergebnis darauf zurück, dass sich diese Gruppe besser auf einen Abschwung vorbereitet fühlt und diesen Vorsprung als Wettbewerbsvorteil wertet“, so Klaus Haberfehlner, Partner bei EY Österreich. Insgesamt gehen 52 Prozent der Befragten mit einer stabilen Entwicklung der Auftragslage aus, nur 19 Prozent rechnen mit einer Verschlechterung.

Bei der eigenen Umsatzentwicklung sind Industrieunternehmen in Österreich skeptischer: Ein Drittel (32%) rechnet mit einem Rückgang – deutlich mehr, als von einem Abschwung der heimischen Wirtschaft ausgeht. Allerdings gehen immerhin zwei Drittel (68%) davon aus, dass ihre Umsätze stabil bleiben. Jene Befragten, die bereits jetzt von einem Rückgang für das eigene Unternehmen ausgehen (32%), leiden bereits unter einer rückläufigen Auftragslage (38%) oder gehen von einem Abschwung in den nächsten 12 Monaten aus (34%).

Strategien gegen den Abschwung

Kosteneinsparungen, Effizienz- und Leistungssteigerungen bzw. Optimierung des Vertriebs sind wichtigste proaktive Strategien gegen Abschwung – Fokus auf Digitalisierungsprojekte

Knapp drei Viertel der befragten Unternehmen (74%) fühlen sich noch nicht ausreichend auf einen potenziellen Abschwung vorbereitet – nur 26 Prozent sind der Meinung, bereits sehr gut vorbereitet zu sein. Als proaktive Maßnahmen würden Österreichs Industriebetriebe die Reduktion von Sachkosten (69%), Maßnahmen zur Effizienzsteigerung wie Umsetzung digitaler Initiativen (62%) oder Leistungssteigerung (58%) sowie die Optimierung von Vertriebsaktivitäten zur Umsatzsteigerung (58%) in Erwägung ziehen. Aber auch Unternehmen, die sich noch nicht auf den Abschwung vorbereitet haben, versprechen sich von diesen Maßnahmen den größten Erfolg. „Wir raten allerdings zur Vorsicht. Unternehmen scheinen in erster Linie auf Werkzeuge zurückzugreifen, bei deren Einsatz sie über entsprechende Routine verfügen. Allerdings zeichnet krisensichere Betriebe vor allem eine frühzeitige Reaktion und proaktives Handeln aus. Sie verfolgen eine ganzheitliche und langfristige Perspektive und betreiben keine reinen Kostenreduktionen zu Lasten künftiger Wachstumsperspektiven. Deshalb ist es auch besonders erfreulich, dass weiterhin in die Digitalisierung investiert wird, um so die Effizienz weiter zu steigern.“, so Schneider.

Abbau von Überstunden ist die wichtigste reaktive Maßnahme

Im Bereich der beliebtesten reaktiven Maßnahmen für den möglichen Abschwung steht Operatives vor Grundsätzlichem. Der Abbau von Überstunden käme für 91 Prozent der befragten Unternehmen als Maßnahme in Frage und führt das Ranking der drei wichtigsten reaktiven Maßnahmen an. Es folgen Einstellungsstopp bzw. Nichtnachbesetzung freiwerdender Stellen (84%) sowie die Überarbeitung von Prozessschritten (81%). Handlungen, die eher ein fundamentales Hinterfragen der Organisation bedingen, werden – mit Ausnahme der Überarbeitung von Prozessschritten – nur von etwa einem Drittel der Unternehmen genannt. „Ähnlich wie bei den proaktiven Maßnahmen ist auch das Ranking der reaktiven Maßnahmen vergleichsweise unabhängig von der Erwartung und dem Vorbereitungsgrad auf einen möglichen Abschwung. Auffällig ist jedoch, dass Unternehmen, die mit einem Abschwung rechnen, im konkreten Fall auch mit einem umfassenderen Bündel an Maßnahmen reagieren würden als Unternehmen, die nicht mit einem Abschwung rechnen“, fasst Roman Wörner, Senior Manager bei contrast EY Parthenon zusammen.

Digitalisierung soll Personaleinsatz optimieren – Robotics wird größtes Potenzial zugeschrieben

Vier von fünf Unternehmen (80%) erwarten durch den Einsatz von Technologien eine Optimierung des Personaleinsatzes. Besonderes große Unternehmen mit über 200 Mio. Euro Umsatz und mittelgroße Unternehmen mit 51 bis 200 Mio. Euro Umsatz sind diesbezüglich besonders zuversichtlich. Kleinunternehmen mit bis zu 50 Mio. Euro Umsatz sind davon weniger überzeugt. Klaus Haberfehlner erklärt dieses Ergebnis so: „Vor allem kleine Unternehmen sehen einen geringeren Effekt – insgesamt ist hier das umsetzbare Potenzial hinsichtlich Technologieeinsatz deutlich kleiner“.

Die Digitalisierung verändert Branchen, Geschäftsmodelle und Strategien grundlegend – vor allem die Industrie. Besonders Robotics (78%), Machine Learning (63%) und Internet of Things (58%) werden von den befragten Industrieverantwortlichen als Technologien mit hohem Veränderungspotenzial eingeschätzt. Weniger einflussreich wird hingegen die Blockchain-Technologie gesehen, die nur auf Platz 6 (47%) rangiert. Dieser Abwärtstrend hinsichtlich Blockchain ist auch in anderen Branchen beobachtbar – beispielsweise der Energiebranche. Im Rahmen der EY-Stadtwerkestudie haben sich 2018 noch zwei Drittel (68 %) der befragten Energieversorgungsunternehmen für die hohe Relevanz von Blockchain ausgesprochen, 2019 war es nur mehr jeder Dritte (35 %). „Das hängt vor allem damit zusammen, dass der Hype um Blockchain nachgelassen hat und Unternehmen das Potenzial in ihrer Branche nun besser einordnen können. In anderen Wirtschaftszweigen wie beispielsweise im Bankwesen oder im Bereich Logistik ist dafür deutlich mehr rauszuholen – hier gibt es auch bereits viele erfolgreiche Projekte“, so Haberfehlner.

„Unternehmen müssen nun umsichtig und vor allem rechtzeitig von einem Wachstums- auf einen Krisenmodus umstellen. Wichtig ist dabei, dass über viele Jahre kultivierte Potenziale nicht zerstört werden. So müssen sie beispielsweise bereits gut vorangeschrittene Digitalisierungsprojekte weiter vorantreiben – nur dann sind auch wirtschaftlich herausfordernde Zeiten gut bewältigbar. Sind Unternehmen aktuell noch nicht vom Abschwung betroffen, empfehlen wir regelmäßige Bewertungen der Lage und Beobachtung von Frühindikatoren.“, ergänzt Schneider abschließend.