SAG-Chefin Exner-Wöhrer im Interview : "Wir kämpfen darum, die Standorte zu erhalten"

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Gerade wurde bekannt, dass die Salzburger Aluminium AG (SAG) ein Werk in Lend schließen musste, damit verlieren 83 Mitarbeiter ihren Job. Karin Exner-Wöhrer, Chefin der SAG, sprach Ende November im Interview mit IM-Autor Josef Ruhaltinger über die Tatsache, dass das Geschäft in Südamerika und Westeuropa boomt, während sie um heimische Produktionsstätten ringt.

Frau Exner, Sie sind in Zürich geboren und in Sierra Leone eingeschult worden, haben in Innsbruck und Salzburg das Gymnasium besucht und in Wien studiert. Ihr Unternehmen ist im Salzburger Lend zu Hause, Sie selbst leben in Wien. Das Thema „Heimat“ wurde im Präsidentschaftswahlkampf rauf und runter gespielt. Kann eine Bürgerin mit Ihrem Lebenslauf mit diesem Begriff etwas anfangen?

Karin Exner-Wöhrer Der Begriff hat für meine Generation immer noch einen Beigeschmack, der vom Dritten Reich herrührt. Ich bin eine gelernte Europäerin. Ich fühle mich in Österreich sehr wohl, aber ich mag das Bunte und bin gegen das Gleichmachen. Wenn Heimat weiß, katholisch und provinziell bedeutet, dann kann ich damit nichts anfangen. Heimat hat man nicht, man macht sie sich.

Sie sind in vielen Gremien in Österreich die einzige weibliche Vertreterin. Wie sehr nerven Sie eigentlich Fragen nach der Rolle der Frau in der Wirtschaft?

Exner-Wöhrer Ich habe die Geschlechterdiskussion für mich zu einem Nichtthema gemacht. Das soll nicht heißen, dass es in der Frauenfrage nicht noch enorme gesellschaftliche Defizite gäbe. Meine Kinder kennen es nicht anders, als dass ich zwei oder drei Tage nicht zu Hause bin. Aber das gilt auch für alle Väter in vergleichbaren Positionen. Daher will ich dies nicht als außergewöhnlich bezeichnen, nur weil ich eine Frau bin.

Ihr Unternehmen ist Ihr Unternehmen hat sich, seit Sie im Jahr 2000 in den Vorstand eingezogen sind, stark internationalisiert. Es gibt Standorte in den Niederlanden, der Slowakei, Schweden, Frankreich, Mexiko und Brasilien. ist die SAG so global aufgestellt, wie Sie das gerne hätten?

Exner-Wöhrer Die SAG ist so international, wie wir das derzeit darstellen können. Wir sind ein Unternehmen, das immer auf die westlichen Industrieländer ausgerichtet war. Eine Ostphantasie hat für uns, unsere Produkte und unsere Branche eigentlich nie existiert. Aluminium ist ein teurer Werkstoff und verlangt nach einem gewissen volkswirtschaftlichen Wohlstand, damit es seine Vorzüge ausspielen kann.

Antrieb für die Internationalisierung war die Globalisierung Ihrer Kunden. Weil der die Logistik Ihrer Produkte, Lkw- Tanks, über weite Strecken nicht darstellbar ist...

Exner-Wöhrer Die Wünsche der Kunden nach Globalisierung waren in den Boomjahren 2000 bis 2008 extrem drängend. In dieser Phase ging es immer nur aufwärts. Wir haben uns vom kleinen österreichischen Unternehmen aus dem äußersten Rand des Pinzgaus zu einer internationalen Gruppe gewandelt, was auch viele Lehren mit sich brachte. Geschäfte werden in Frankreich anders getätigt als in Schweden, Mexiko oder Deutschland. Letztendlich hat uns die Internationalisierung aber aus dem Krisenloch 2008 und 2009 herausgezogen.

Wie das?

Exner-Wöhrer Daimler wollte von SAG einen Standort im NAFTA-Raum. Ende 2008 haben wir schließlich nach langen Vorbereitungen ein Unternehmen in Mexiko übernommen, obwohl die Krisenprobleme gerade voll zur Entfaltung gekommen sind. Das war im Haus natürlich nicht unumstritten. Der Betriebsrat hat sich – zu Recht – Sorgen gemacht, dass dies unsere ohnehin schon belastete Eigenkapitalbasis schmälern würde. Wir haben das dann trotzdem gemacht. Mexiko war in Folge der erste Standort, der gedreht und wieder positive Zahlen geliefert hat. Diese Tatsache hat uns bei den Banken sehr geholfen. Es hat unterstrichen, dass unser Geschäft wieder anspringt. Das Investment hat sich bis heute sehr gelohnt.

Was bedeutet das für die Zukunft der drei SAG-Standorte in Österreich?

Exner-Wöhrer Wir kämpfen darum, die Standorte zu erhalten. Dabei wird es darauf ankommen, wie sich manche Produktgruppen entwickeln. Das Kernsegment der Fuel-Tanks wird in Österreich weniger. Wir haben einen großen Iveco-Auftrag für Spanien bekommen, den wir in Madrid fertigen. Iveco zentralisiert seine Lkw-Produktion und wir hatten die Wahl, mitzugehen oder einem anderen Lieferanten den Vortritt zu lassen. Es ist Fakt, dass damit Fertigungslinien für Österreich weg sind. Das hat jetzt nichts mit den klassischen Standortthemen wie Steuern oder Arbeitszeiten zu tun als vielmehr mit der Tatsache, dass wir den Kunden von Österreich aus nicht beliefern können. Dazu sind die Logistikkosten zu hoch.

Das klingt nicht danach, dass für Österreich noch viel Fertigung überbleibt...

Exner-Wöhrer Wir fertigen derzeit in Schwarzach für Daimler Fuel-Tanks. Ich rechne aber auch dort damit, dass eine Verlagerung notwendig werden wird. Das wird eine Frage von zwei oder drei Jahren sein. Wir sind in Schwarzach von Daimler gleich weit weg wie Holland. Da kann es sein, dass wir unterm Strich alle Tanks in Holland zentralisieren. Wir werden beim aktuellen Preiswettbewerb auf die Economy-of-Scale setzen müssen, also schauen, dass wir so große Stückzahlen wie möglich an einem Standort konzentrieren.

Bedeutet dies das mittelfristige Aus für SAG-Fertigungen in Österreich?

Exner-Wöhrer Wir kämpfen darum, die Standorte zu erhalten. Wir sind ein Familienbetrieb, der stark auf Innovation setzt. Dabei sind die Mitarbeiter entscheidend. Aber ich will nicht verhehlen, dass wir eine dritte Produktlinie brauchen, um unsere heimischen Kapazitäten nachhaltig zu sichern. Aktuell arbeiten wir daran, die Erzeugnisse, die in Österreich wegfallen, durch neue zu ersetzen. Wir haben etliches in der Pipeline, auch serienreif. Jetzt kommt es darauf an, wie der Markt sich entwickelt, wie stark Diesel in der Lkw-Fertigung gefragt bleibt und ob ein neuer Flüssiggas-Tank, den wir fertig haben, auf eine mengenmäßig interessante Nachfrage stößt. Hier haben wir bereits einen großen US-Auftrag im Haus, den wir in Österreich abwickeln können. Dazu kommt eine zweite Produktlinie eines Luftspeichers, der in Premium-SUVs der BMW-Gruppe zum Einsatz kommt. Auch diese Entwicklung wird aus Österreich kommen.

Was sind die größten Hürden für die Fertigung in Österreich?

Exner-Wöhrer Was uns zunehmend Probleme bereitet, ist der immer stärkere Mangel an qualifizierten Arbeitskräften.

Die SAG findet keine Mitarbeiter?

Exner-Wöhrer Nicht die, die wir brauchen. Wir stehen vor massiven Problemen. Wir sind ständig auf der Suche nach jungen Ingenieuren und Ingenieurinnen für unsere Entwicklung, für Projektmanagement, für Anlagensteuerungen etc. Es ist schon seit geraumer Zeit nicht mehr möglich, unseren Bedarf beispielsweise für die Pinzgauer Standorte zu decken. Wir haben tolle HTLs. Aber zu wenige. Wir spüren den Bildungsknick in den technischen Berufen deutlich. Wenn ich mir die laufende Bildungsdiskussion in Politik und Medien anhöre, dann habe ich nicht das Gefühl, dass ich bald eine Lösung erwarten kann.

95 Prozent des SAG-Umsatzes stammen aus der Lkw- und in kleinen Teilen aus der Pkw-Branche. Nach den Erfahrungen 2009 meinten Sie in einem Interview, künftig die Aktivitäten der SAG stärker diversifizieren zu wollen. Davon ist heute, sechs Jahre später, noch nichts zu merken.

Exner-Wöhrer Das ist uns bei den Produkten noch nicht zufriedenstellend gelungen. Im Pkw-Bereich sind wir aktuell noch nicht so aufgestellt, wie wir das wollen. Wir haben zu viel zu tun, um über das Stammgeschäft hinaus operativ zu werden. Was wir geschafft haben, ist eine Verteilung der Länderrisiken. Der nordamerikanische Zyklus ist ein anderer als der europäische. Davon profitieren wir heute.

Im Sommer gab es im Zulieferbereich das Match Goliath gegen David in Form von VW versus Prevent. Sehen Sie Anzeichen, dass sich die Machtverhältnisse der Autobranche zugunsten der Lieferanten verschieben?

Exner-Wöhrer Genau genommen ist die intensive Arbeitsteilung eine Entwicklung der vergangenen zehn bis 15 Jahre. Die Outsourcing-Rate steigt, die Konzerne und Marken ziehen sich auf die Rolle des Entwicklers und Assemblers zurück. Die Katastrophe von Fukushima hat dies ja unterstrichen. Daimler Fuso konnte über Monate nicht produzieren, weil ihre Wertschöpfungskette gerissen war.

Der Streit im Sommer hat sich ja an Themen wie Knebelverträgen, Forschungskosten und Vertragsbrüchen entzündet. Greifen diese Mechanismen immer noch?

Exner-Wöhrer Der jahrelange Kostendruck von den Einkäufern auf die Zulieferer hat die Unternehmen ausgelaugt. Irgendwann kommt man zu dem Punkt, an dem man sagt: Ich kann nicht mehr. Ob ich das Geschäft schon heute verliere oder erst in wenigen Jahren, macht wenig Unterschied. Ich kenne die Details der Streitigkeiten von VW und Prevent nicht. Aber es muss auf beiden Seiten ein Erwachen geben, dass ständige Kosten- und Preisdiktate mittelfristig jede Zusammenarbeit töten und daraus Innovation nicht finanziert werden kann.

Wird der SAG oft gedroht, ausgewechselt zu werden?

Exner-Wöhrer Ständig. Unersetzbar ist niemand. Aber unsere Tanks sind sehr qualitäts- und logistiksensitiv. Es würde lange dauern, bis ein Konkurrenzteil aus China oder Indien eingetroffen wäre. Gehen wir davon aus, dass die Qualität passt: Der Kunde muss trotzdem aus Sicherheitsgründen für eine Just-in-time- Produktion ein Lager aufbauen, was er in der Regel aber vermeiden will. Aber ich kann nicht sagen, dass die Machtverhältnisse zwischen Herstellern und Kunden fairer geworden wären. Ich glaube auch nicht, dass dies jemals so kommen wird.

Im Krisenjahr 2009 stand die SAG knapp vor der Insolvenz. Ihr Unternehmen verzeichnete Umsatzeinbußen von 70 Prozent. Gibt es etwas, was man aus derartigen Erfahrungen lernen muss?

Exner-Wöhrer Demut. Das ist das Erste, was mir einfällt. Es war unwahrscheinlich, wie schnell damals alles gekippt ist. Binnen zwei oder drei Wochen nach Lehman ist das Geschäft in sich zusammengebrochen. Wir haben alle Handlungsszenarien durchgespielt, die möglich waren – auch zu verkaufen, teilweise zu verkaufen oder auch zuzusperren.

Letztendlich hat man sich dazu entschlossen, 21 Millionen Euro Eigenkapital nachzuschießen. Eine eindeutige Entscheidung?

Exner-Wöhrer Es war für uns und für alle Beteiligten rasch klar, dass unser Geschäftsmodell noch funktioniert. Wir erzeugten und erzeugen Dinge, die auch nach Lehman gebraucht wurden. Alle waren sich einig, dass unser Hauptprodukt, der Dieseltank für Lkw, wieder erfolgreich sein wird, sobald wieder Lkw verkauft werden. Extrem wichtig war, dass die Mitarbeiter an allen Standorten loyal blieben. Die Mitarbeiter haben ein Kurzarbeitsmodell akzeptiert und damit einen wesentlichen Beitrag geleistet.

Karin Exner-Wöhrer (45) ist von Kindheit an unterwegs. Aufgewachsen in Sierra Leone, Matura in Salzburg, Studium in Wien, Insead-MBA in Fontainebleau und Singapur. Nach frühen Praktika in der Creditanstalt verbrachte sie ihr ganzes Berufsleben im Unternehmen, das ihre Eltern 1992 in einem Management-Buy-out von der Alusuisse gekauft haben. Nach langen Jahren als Vorstandsmitglied ist Karin Exner-Wöhrer seit 2015 Vorstandsvorsitzende. Mit im Zweier-Vorstand sitzt ihre Schwester Ditta Dorninger, Vater Josef gibt den Aufsichtsratspräsidenten. 96 Prozent der Aktien wurden in der Familienstiftung St. James geparkt. Karin Exner-Wöhrer ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt mit ihrer Familie in Wien. Die ehemalige Staatsmeisterin in Golf verfügt immer noch über Handicap 5.

Die Salzburger Aluminium Gruppe (SAG) ist ein internationaler Zulieferer von Aluminium-Komponenten für die Automobil- und Nutzfahrzeugindustrie. Die Produktpalette reicht von Energiespeichersystemen (Luftspeicher und Druckluftbehälter) über Kraftstoffbehälter bis hin zu Hochleistungswerkstoffen. An den Standorten in Lend und Ranshofen (Österreich) sowie in den Niederlanden, Schweden, Frankreich, der Slowakei und in Mexiko wird mit 1.200 Mitarbeitern ein jährlicher Umsatz von rund 230 Millionen Euro (2014) erwirtschaftet.