Automotive : Wie die Auslastung im Automobilbau zurückkehrt

Kuka Robioter in Produktionshalle
© Kuka

Es waren zähe Wochen, mit dramatischen Einbrüchen des Autogeschäfts, nicht so einfach wegzustecken. Lässt Ronald Naderer den Jahresverlauf Revue passieren, sieht er jedoch auch die erfreulicheren Seiten: Autobauer planten vorsichtiger, das ja, „Budgets aber wurden durchgebracht“, erzählt der Geschäftsführer des Linzer Roboterherstellers FerRobotics. So wurde ein Projekt zur Lieferung einer automatisierten Komplettlösung für die Nachbearbeitung von Schweißnähten im Karosseriebau eines OEM ab Anfang März verhandelt. Grünes Licht gab es dafür zwar erst 16 Wochen später, aber dennoch eine erfreuliche Anekdote. Die heikle Phase (O-Ton Naderer: „Im Oktober lief die Kurzarbeit aus“) habe man zudem genutzt, um über neue Produkte - etwa Cobots - nachzudenken. Freilich: Es sei von Vorteil, 2019 ein sehr gutes Jahr erwirtschaftet zu haben. „Wir legten Reserven an, die uns jetzt in Sicherheit wiegen“, so Naderer.

Krise - und Hoffnungsfelder

Vergleichsweise gelassen können die Linzer auch auf die Antriebswende blicken. Der Werkstoff Aluminium ist bei Elektroautos - zumindest bei Premiumherstellern - häufig erste Wahl. Auch hier werden Fehler an der Karossererie aufgespürt und robotikunterstützt entfernt. Dabei bieten die Linzer Autobauern einiges an Flexibilität: Mit Wechselsystemen für den Tausch von Schleifpapieren und Polierpads punkten sie am Shopfloor. Gelassenheit ist auch das Metier von Elon Musk: Der zieht in Berlin-Brandenburg allen konjunkturellen Warnsignalen zum Trotz ein Automobilwerk hoch, das bisherige Autofabriken in Europa beim Automatisierungslevel in den Schatten stellen könnte. Nicht nur schaltet Tesla Linienstücke kürzer hintereinander und generiert so mehr Flexibilität. „Statt einer Risikoorientierung verfolgt Musk bei der Fabrikautomatisierung einen radikalen Ansatz der Chancenorientierung“, beobachtet E&Co-Automobilberater Engelbert Wimmer.

Perfekte Maschinenwelt

Eine Strategie, die stellvertretend für eine Zeit steht, in der sich die Automobilisten wieder einmal die Frage beantworten müssen: Wieviel Automatisierungstechnik braucht es in hochvolatilen Phasen, wieviel Robotik in Zeiten sprunghafter Auslastung? Und welche Rolle soll fortan die Digitalisierung spielen? Für Tesla ist die Frage offenbar klar beantwortet. Kernkomponenten seiner Fabrik will Musk nicht nur „in seiner Tiefe beherrschen“, sagt Automobilberater Wimmer. Die Fabrik sei die zentrale Waffe, analog zu Toyota in den Achtzigern damit also „eine taktische Komponente“, so der Automobilexperte. So erntete Musk für den Versuch, selbst das Verlegen von Kabelbäumen von Robotern erledigen zu lassen, in der Branche zwar Spott. „Doch mit einer neuen Topologie eines Kabelsystems für das Modell Y gelang ihm dieser Coup am Ende dennoch“, sagt Wimmer.

Hinzu kommt, dass Tesla seit der Übernahme der Maschinenbauschmiede Grohmann aus der Westeifel 2017 einen Automatisierungsprofi im Konzern hat, auf dessen Systemen er die Skalierung voll beherrsche. Auch andere Autobauer und deren Zulieferer betreiben aktuell einigen Aufwand für eine perfekte Planung der Maschinenauslastung. „Man geht gegen Kaskaden von Mikroverlusten vor“, sagt Wimmer. Und es geht auch darum, mithilfe von Sensorik und IOT etwaige Übernahmen angeschlagener Mitbewerber auslastungsseitig zu optimieren, beobachtet Wimmer. „Es gibt gerade eine Reihe von Zombieunternehmen, die als Übernahmekandidaten gehandelt werden“, so Wimmer.

An den richtigen Schräubchen drehen

Digitalisierung schaffe Zulieferern die jetzt so dringend benötigte Flexibilität, ist Rainer Ostermann, Geschäftsführer des Industrieautomatisierers Festo Österreich, überzeugt. Natürlich müsse jede Art der Fertigung auf lange Sicht produzieren, um unterm Strich rentabel zu sein. Zwischen null und einhundert Prozent Auslastung gebe es aber viele Abstufungen "und Schräubchen, an denen gedreht werden kann", ist Ostermann überzeugt. "Sind diese Schräubchen digitaler Natur, geht das oft wesentlich einfacher".

Sein Lieblingsbeispiel: Der Einsatz eines digitalen Zwillings. Oder: Umfassendes Condition Monitoring, "wie es früher undenkbar gewesen wäre", so Ostermann. Auch der Einsatz von KI rückt in den Vordergrund. Findet sie doch Anomalien, ohne diese vorab genau spezifizieren zu müssen. "Hochinteressant" sei das für den Automotive-Bereich. Denn selbst unscheinbare Komponenten können in der straff durchgetakteten Automobilfertigung problematisch werden, "wenn es unerwarteterweise irgendwo hakt", sagt der Festo-Manager. Mit Resolto habe man seit zwei Jahren ein auf KI-Lösungen spezialisiertes Unternehmen in der Gruppe.

Mensch-Maschine-Kooperation zieht

Breiter wird auch das Portfolio des Augsburger Roboterbauers Kuka. Von Robotern bis hin zu AGVs (Automated Guided Vehicle) mit bis zu 1.500 Kilo Traglast und intelligenten Softwarelösungen für das Managen ganzer AGV Flotten im Produktionsprozess ist der Bogen gespannt. "Autonom fahrende Vehikel sind in der Autoindustrie "weiter am Vormarsch", sagt Wolfgang Wagner. Er leitet bei Kuka Deutschland die Business Unit Automotive und weiß, dass nur diese Konzepte den Anforderungen nach höchster Flexibilität in der Produktion gerecht werden können. Konventionelle, relativ starr verkettete Produktionskonzepte sind zwar wunderbar zu takten und zu steuern, bieten der Automobilindustrie jedoch eine zu geringe Flexibilität, um der zunehmenden Modellvielfalt und den unterschiedlichen Antriebsvarianten gerecht zu werden.

Etwa „beim Materialtransport innerhalb der Fabrik, beim Bestücken von Produktionszellen oder der Handhabung von Anbauteilen im Karosseriebau wird Flexibilität durch AGVs immer wichtiger", so Wagner. Die Elektromobilität habe dagegen relativ geringe Veränderungen in den Automatisierungsstrategien der Karosseriebauer gebracht, sagt er. Die etwas andere Fahrzeugbodenstruktur im E-Fahrzeug-Bereich hätte die Prozesse nur marginal umgekrempelt. Sehr wohl aber beobachtet er einen neuen Trend im Elektromotorenbau, der Batteriefertigung und der Endmontage. "Das Thema Automatisierung mit Mensch-Maschine-Kooperation zieht dort an", so Wagner.

Automatisierter Materialfluss

Auf automatisierte Transportsysteme aus dem Hause Siemens setzt man im Porsche-Stammwerk Zuffenhausen. So wurde die neue Produktionslinie für den Elektrowagen Taycan - Produktionsstart war September 2019 - inmitten der Fabrik errichtet. "Obwohl dort zeitgleich die Sportwagenproduktion auf Hochtouren lief", hört man am Standort. "In der Fahrzeugmontage haben wir uns sehr umfangreich der Technik von Siemens bedient", gibt Reiner Luth, Projektleiter Produktion bei Porsche, zu Protokoll. Um die nötige Flexibilität zu erreichen, entschied sich der Autobauer gegen starre Fließbänder und für ein hochflexibles System mit fahrerlosen Transportsystemen mit Siemens-Technik.

Die sogenannte FlexiLine ermöglicht, die Taktlängen an den Bedarf anzupassen. "Und so etwa ein FTS für automatisierte Tätigkeiten anzuhalten und im Anschluss daran zur nächsten Station zu beschleunigen", heißt es bei Siemens. Die Fördertechniklösungen von Siemens kommen mittlerweile in der gesamten Fahrzeugmontage zum Einsatz. Neben den fahrerlosen Transportsystemen und der Türenfördertechnik werden Dreh-Hub-Gehänge für ergonomisches Arbeiten eingesetzt. So lassen sich die Karosserien um 110 Grad in beide Richtungen für eine bessere Erreichbarkeit drehen. Zudem wurde die Endmontage auf Basis des Portfolios Simatic automatisiert.

BMW mit hochautomatisierter neuer Benzinerlinie

Flexibilität zählt im BMW-Motorenwerk Steyr ebenfalls als hohes Gut. Um die Fahrzeugwerke der Gruppe mit hoher Varianz bedienen zu können, wurde das neue Montageband für Benzinmotoren, in das dreistellig investiert wurde, "mit dem Fokus auf maximale Flexibilität geplant", hört man am Standort. Ein wesentliches Element sei dabei der so genannte Flex-Lecktest, eine vollautomatische Dichtprüfanlage, die mit dem Montageband verkettet ist. "Ein Roboter bedient dabei Prüfmodule und es bedarf dabei keinerlei manueller Eingriffe", heißt es am Standort. Durch dieses automatische Rüsten wird BMW Steyr "im Endausbau vollautomatisch zwischen mehr als zehn Motortypen in beliebiger Sequenz variieren können".

Für Wartungsarbeiten oder Reparaturen sind die flexiblen Abdichtmodule aus der Anlage ausfahrbar. Es gibt so keinen Stillstand der Anlage. Auch die Integration neuer Typen sei nun offline - also ohne Betriebsunterbrechung - möglich. Auch sonst ist der Automatisiertungslevel hoch. Das neue Montageband ist mit rund 50 Industrierobotern ausgestattet, beinhaltet die neueste Automatisierungstechnik und die aktuelle Kameratechnik für Qualitätsprüfungen. Alle Motorenmontagebänder der BMW Group sind für eine Produktion in Losgröße 1 gerüstet - ohne Stückzahlverluste.

Automatisches Rüsten und automatisierte Anpassen der Positionen und Parameter garantieren die maximale Flexibilität. "In Kombination mit der Parallelproduktion der 3-, 4- und 6-Zylinder-Ottomotoren auf unseren drei Baukastenmontagen sind wir in der Lage, "jederzeit auf kurzfriste Stückzahländerungen und Motorverlagerungen zu reagieren", hört man in Steyr.

Individuelle Lackierungen

Auf Flexibilität setzt auch die ABB-Produktrange. Auf der Robotikmesse in Shanghai, der CIIF, stellten die Schweizer Mitte September eine Palette neuer Produkte, Lösungen und Services für die digitale und robotergestützte Automatisierung vor. „Automatisierung war noch nie so wichtig wie heute“, sagt Sami Atiya, Leiter des Geschäftsbereichs Robotik und Fertigungsautomation von ABB. Und auch noch nie so flexibel, wie er am Beispiel des IRB 1300 beschreibt. „In China entwickelt und gefertigt, ist ABBs neuer in Sachen Traglast, Reichweite und Bahngenauigkeit in seiner Klasse führend“.

„Er bediene zudem die Nachfrage nach einem schnelleren, kompakteren Roboter, der schwere Lasten mit komplexen oder unregelmäßigen Formen kann“, heißt es bei ABB. In Zahlen ausgedrückt: Mit 60 Prozent weniger Gewicht, einer um 83 Prozent kleineren Stellfläche und einer um 27 Prozent kürzeren Zykluszeit hat der Sechsachser genau die richtige Reichweite und Traglast, um den Hochlastanwendungen in der Automobilproduktion würdig zu begegnen.

Wie schnell die Robotik den Fahrzeugbau mittlerweile macht, sieht man im Werk Yi-Chang der chinesischen Guangzhou Automobile Group (GAC). Dank einer innovativen, robotergestützten Automatisierungslösung von ABB entsteht dort alle 46 Sekunden eine neue Fahrzeug-Karosserie. Die Fertigung der Chinesen ist mit einer Reihe flexibler Lösungen ausgestattet, die neben Leistung und Qualität auch ein flexibles GateFramer-Montagesystem, eine flexible ABB-FlexTrack-Verfahrachse sowie Arbeitsstationen zum Verkleben und Zusammenbauen von Teilen.

„46 Sekunden sind ein Zeitlimit, an das wir uns noch nie herangetraut haben", sagt Zhengghao Dong, Globaler Produktmanager für die roboterbasierte Karosserie-Produktion bei ABB. Topmodern übrigens auch ABBs eigene neue Fabrik in Shanghai die gerade ensteht. Die flexibelste Roboterfabrik der Welt soll 2021 eröffnen.