Digitalisierte Prozesse : Wie an der FH Joanneum mit digitaler Innovation Zukunft geschrieben wird

© Kanizaj | 2018

Barbara Mayer kennt die Projekte am Smart Production Lab bis in die Tiefenstruktur, alles andere wäre eine Überraschung. Mit 20 Partnern sind enge Bande geknüpft, so hochkarätige Unternehmen wie Hoerbiger, Pankl, SAP oder Voestalpine geben sich am Institut der FH Joanneum die Klinke in die Hand. Sie treiben digitale Innovation in Zeiten, in denen Daten ganze Geschäftsmodelle begründen, voran. Ein Case aus dem Sommersemester 2020 gefällt der technischen Mathematikerin und Leiterin der 2018 eröffneten Lehr- und Forschungsfabrik für Industrie 4.0 besonders gut, wohl auch, weil es die Dynamik in der Industrie, sich digitale Technologien zu eigen zu machen, gut einfängt.

Das Beratungsunternehmen KPMG beauftragte das Institut Industrial Management mit der Erstellung eines Use Cases für die Datenintegration von mobilem Produktionsequipment wie AGVs in der Cloud. Die angewandten Forscherinnen lösten die Aufgabe kreativ: Wie Daten mit erheblichem Informationsgehalt in Echtzeit – und visuell ansprechend aufbereitet – von der Anwendung bis hinauf zum global abrufbaren Dashboard oder der Smart-Watch eines Vorstandsmitglieds eines Unternehmens durchgepusht werden können, demonstrierten die Steirer anhand eines selbstfahrenden und dank künstlicher Intelligenz selbstlernenden Vehikels. Die Stoßrichtung dahinter ist so einleuchtend wie frappierend: „Information wird in Echtzeit überall auf der Welt und im Unternehmen verfügbar, und so könnten beispielsweise ganze Fuhrparks um einiges effizienter gemanagt werden“, sagt Mayer.

Es braucht die IT – und die IT-Versteher

So schillernd der Use Case und so „fancy“ Technologien wie Big Data oder KI auch sind, dies darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Unternehmen noch einiges an Arbeit in ihr Datenfundament legen müssen. Der Nukleus der Aufmerksamkeit war bisher stets die Maschine, innerhalb dieser Systemgrenzen wurde optimiert. Jetzt – digital vernetzt – öffnen sich die Technologien in der Produktion/am Shopfloor, und das findet Befürworter und Nachahmer, was erfreulich ist. „ Alle reden über KI“, beobachtet Martin Tschandl, Institutsleiter Industrial Management an der FH JOANNEUM. In Unternehmen brauche es aber auch das Bewusstsein, dass die digitale Transformation nur im Dreisprung funktioniere. „Neben schlanken Prozessen und digital ausgebildeten Mitarbeitern auf allen Ebenen ist es vor allem eine gut abgesicherte, standardisierte IT-Infrastruktur, die digital sturmfest macht“, so Tschandl. Darauf könne man dann – je nach Anforderungen und Fähigkeiten – unterschiedliche I4.0-Use-Cases bis hin zu KI und neuen, digitalisierten Geschäftsmodellen wirkungsvoll aufsetzen. So hat es sich das Smart Production Lab im Gründungsjahr zum Ziel gemacht, Unternehmen, und hier vor allem den Mittelstand, in der IT-Integration an die Benchmark heranzuführen – oder sogar darüber hinaus.

Wissenstransfer neu gedacht

Dies umfasse etwa den flächendeckenden Einsatz von WLAN und ITNetzwerken mit allen sicherheitstechnischen Features in Produktion, Verwaltung und Außendienst, aber auch das digitale Retrofitting der wesentlichen Anlagen „und die durchgehende Nutzung von integrierter betrieblicher Software wie ERP und MES als Daten- und Prozessbasis“, sagt Tschandl. Erfolgreiche Unternehmen setzen auf Softwarekompetenz im eigenen Haus, und hier auf klassische ITIntegration gekoppelt mit neuen IoT-Pfaden, um eines zu erreichen: Transparenz über die Produktion. „Denn das ist Basis für sämtliche Optimierungsschritte“, meint Barbara Mayer. Den nötigen Wissenstransfer im Kapfenberger Labor erzielt Mayers Team, indem man speziell auch industrienahe ITDienstleister wie NTS oder auch Softwarehersteller wie den Grazer Augmented-Reality-Spezialisten CodeFlügel mit heimischen Produktionsunternehmen – Early Adoptern wie etwa Pankl – zusammenspannt. Dazu zählen neben gemeinsamen Implementierungsprojekten auch regelmäßige Netzwerktreffen sowie das unternehmensübergreifende Beschreiten neuer digitaler Pfade.

Change Management

Die Produktion bis zur Fertigungsgröße 1 zu flexibilisieren, digitalisierte Geschäftsmodelle mit den „neuen“ Daten zu finden und umzusetzen – all das kommt in Organisationen auch nicht von ungefähr. Dass eine aufbauorganisatorische Verankerung der Digitalisierungsverantwortung an einer einflussreichen Stelle – etwa dem CDO-Posten – als Erfolgsfaktor eines Change-Projekts gelte, ist für Institutsleiter Martin Tschandl in sich schlüssig.

Zusätzlich sei deutlich mehr in die IT-Ausbildung der Mitarbeiter zu investieren. Und ganz wichtig: Mit Involvierung in den Transformationsprozess und mit Equipment zum Ausprobieren – beispielsweise einer AR-Brille oder einem kleinen 3D-Drucker im Sozialraum mit einem Lehrling im 3. Lehrjahr als Beauftragten – seien „Mitarbeiter zu Interessierten statt Befürchtern zu machen“, sagt Tschandl. Schließlich sollte der digitale Change auch systematisch geplant sein, mit einem digitalen Statuscheck („Wo stehe ich?“) und einer strategischen Roadmap („Wo will ich hin?“). Dann, nur dann, würde die Plattformökonomie als mächtige und für Produzenten gefährliche Geschäftsmodellvariante ihre latente Bedrohlichkeit verlieren – und als Chance ergriffen werden.

In der Folge drei Porträts von Unternehmen, die mit der FH Joanneum die Prozesswelt optimieren.

CodeFlügel, Graz: Die aufstrebenden Prozessvirtualisierer

In der Augmented-Reality- und App-Entwicklung perfektioniert, sind die Grazer im Ökosystem der FH nicht mehr wegzudenken.

Den Grazer Software- und App-Hersteller als einen der Pioniere von Augmented-Reality-Lösungen zu bezeichnen, ist keine Übertreibung, sondern Notwendigkeit: 2011 als TU-Spin-off gegründet, habe das Unternehmen die Entwicklung von AR-Lösungen zu einer Zeit als Geschäftsgegenstand definiert, „als die Technologie in der Wahrnehmung vieler längst noch nicht so cool war, wie sie heute ist“, schildert CCO Silviu Reghin. Ihr volles Potenzial erleben Unternehmen heute etwa im Smart Production Lab: Das Grazer Unternehmen – heute 20 Mitarbeiter stark – schuf ein appbasiertes, frei begehbares, virtuelles Abbild des Labors, das – egal wo auf der Welt – potenzielle F&EPartner oder Studierende zu einem 360-Grad-Rundgang einlädt.

„Im nächsten Schritt wird das Tool für Webbrowser ausgelegt“, sagt Reghin. Dass das Unternehmen längst den Habitus einer „Hardcore-Entwicklerbude“ abgelegt habe, sei nicht nur Teil der Reifung, sondern auch einer bewusst herbeigeführten Transformation in Richtung Consulting-Services und Use-Case-Generierung gewesen. Segmente, mit denen die Grazer gut fahren. So leitet Reghin aktuell nicht nur die FFG-geförderte und am Labor laufende Qualifizierungsinitiative „Augmented Reality für die Baubranche“. Projekte mit den Big Names der Industrie nehmen zu. So ist auch ein mit dem Industrieelektronikhersteller Siemens erarbeiteter Showcase zur Visualisierung innovativer Sicherheitslösungen per 3D-Brille – es geht um Arbeitsradien von Robotern und Sicherheitszonen – im Kapfenberger Labor zu finden.

Pankl, Kapfenberg: Die entschlossenen Produktionsoptimierer

Die Partnerschaft zwischen dem Antriebs- und Leichtbauspezialisten Pankl und der FH Joanneum ist facettenreich – und höchst produktiv.

Spricht man Stefan Seidel auf ein aktuelles Projekt zur Erprobung von Augmented Reality (AR) in der Instandhaltung im Werk Kapfenberg an, objektiviert er: „Nur ein Puzzleteil der Digitalisierung“. Und recht hat er, von dem Aufsetzen einer IoT-Plattform über die Verkettung von Maschinen bis hin zu neuen Anwendungsszenarien für Additive Manufacturing hat das Hightech- Unternehmen Pankl zuletzt eine ganze Reihe an Hebelpunkten für den Einsatz neuer digitaler Technologien ausgemacht. Tief in der Unternehmens-DNA ist dieses Streben nach innovativen Lösungen verankert, was den steirischen Traditionsbetrieb, der mit der FH JOANNEUM seit längerem zusammenarbeitet, zu einem wesentlichen – weil alles andere als technologiescheuen – Partner in der Industrie macht. Was nicht heißt, dass sich Pankl allzu sehr von den Hypezyklen leiten lässt – im Gegenteil: „Lieber setzen wir uns im Team zusammen und erarbeiten Lösungen, die uns nachhaltig überzeugen“, sagt Seidel.

Dass in der eigenen F&E-Schmiede, aber etwa auch im Smart Production Lab der FH Joanneum besonders gute Atmosphäre dafür herrscht, dafür legen die Fortschritte etwa in punkto IoT-Plattform Zeugnis ab. Über die Erfassung wesentlicher Maschinendaten und deren Visualisierung per Dashboard seien Maschinenbediener nach einem ausgiebigen Technologiescreening in der Lage, stets über alle Betriebszustände topaktuell informiert zu sein „und so die Stillstandszeiten zu reduzieren“, erklärt Seidel. Augmented Reality hingegen solle auch in die Überlegungen zu neuen Geschäftsmodellen einfließen – vorerst aber solle sich diese in der Instandhaltung bewähren. „Hier erwarten wir den schnellsten Benefit“, so der CTO.

NTS, Raaba-Grambach bei Graz: Die fabelhaften Netzwerkerrichter

Sichere Netzwerklösungen bekommen in dervernetzten, dezentral gesteuerten Fabrik eine neue Bedeutung. Der Netzwerkspezialist NTS ist Vorreiter bei Lösungen dafür.

Er pflegt beste Kontakte in die Cisco-Welt. Gewiss kein Nachteil in Zeiten, in denen Produktionsnetze mit der klassischen IT Synergien eingehen – ja, eingehen müssen, wenn der nächste Effizienzschub in der Produktion erwartet wird oder ein datengetriebenes Geschäftsmodell, dessen Fundament am Shopfloor begründet liegt, abheben soll. Und so ist die Partnerschaft auf Augenhöhe mit Alexander Albler, Mitgründer und CEO des Netzwerkspezialisten NTS, auch für die FH JOANNEUM eine nachweislich lohnende Tangente: Das in Grambach bei Graz domizilierte Unternehmen lieferte dem Smart Production Lab das Netzwerk samt dazugehöriger sicherer Konfiguration.

In diesem Kontext seien, wie Albler schildert, zwei spannende Use Cases entstanden: einerseits eine zentrale Datenplattform zur Visualisierung der Maschinendaten mit entsprechender Anomaliedetektion. Andererseits das Tracking von fahrerlosen Transportsystemen innerhalb der Produktionsstraße über WLAN-Knoten und Triangulation. Für das Institut Industrial Management eine tolle Sache, für NTS laut Albler ein großartiger Erkenntnisgewinn: „Die Möglichkeiten für Tests in einer Produktionsstraße, die nicht wirklich produktiv gehen muss, aber dennoch live alle Parameter richtig abbildet, sind enorm“, sagt er. Enorm ist wohl auch das Wachstum, das NTS – auch dank neuer Use Cases in stark vernetzten Produktionsumgebungen mit Fokus auf der dezentralen Steuerung oder dezentralen Wertschöpfung – hingelegt hat. Mit 420 Mitarbeitern und rund 149 Millionen Euro Jahresumsatz ist das steirische Unternehmen längst in der Kernzone der heimischen Industrie angekommen.