Digitalisierung : Usability: Erlebnis auf Knopfruck

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In den sozialen Netzwerken kursiert seit einigen Wochen eine Grafik, die für Lacher sorgt. Einer Apple-Bedienoberfläche mit einem Touchbereich wird ein Google-Suchschlitz einer Unternehmensanwendung mit zahlreichen Feldern, Pflichtfeldern und Buttons gegenübergestellt. Ebenso wie jeder so eine überladene Bedienoberfläche kennt, weiß fast jeder die Vorteile der Interfaces der Tech-Giganten aus den USA zu schätzen. Drängen ursprüngliche Consumer-Anwendungen in den Industriemarkt? Die Industrie bemüht sich, adäquate Lösungen bereitzustellen, meinen Usability-Experten. „Dies ist allerdings technisch und wirtschaftlich deutlich schwieriger als beispielsweise in der Telekommunikationsbranche", erklärt Industriedesigner Tom Cadera von Cadera Design.

Härtere Anforderungen

Denn man habe in der Industrie viel geringere Stückzahlen und härtere technische Anforderungen. Gleichzeitig werden sehr lange Laufzeiten von Maschinen erwartet. Die einzusetzende Technik ist deshalb im Industrie-Umfeld häufig sehr viel teurer als die Technik, die – für die hohen Stückzahlen maßgeschneidert entwickelt – in einem Smartphone verbaut werden kann. In der Industrie ist man in der Regel sehr auf industrietaugliche elektronische Standard-Komponenten angewiesen. "Und diese hinken dem aktuellen technischen Stand im Consumer-Bereich immer ein bisschen hinterher, sind größer und langsamer“, sagt Cadera.

Chance für die Industrie

Allerdings tut sich aktuell eine große Chance für die Industrie auf: Die Webtechnologie ermöglicht, wirklich von Consumer-Errungenschaften relativ zeitnah zu profitieren. Die dort erarbeiteten modernen Prinzipien auf html 5 Basis ermöglichen responsive und performante Benutzeroberflächen auch in der Industrie, heißt es bei den Entwicklern von Cadera Design.

Die Usability und User Experience gewinnt an Bedeutung. Deutlich wird das auch in der Robotik-Branche. „Klar, die Safety-Anforderungen müssen alle Cobots erfüllen, wenn sie überhaupt eine Chance am Markt haben wollen. Aber in der Programmierung und Flexibilität lassen sich schnell Unterschiede entdecken. Der Anwender muss selber die Programmierung verändern können, um den Cobot sinnvoll zu nutzen“, erklärt Esben H. Østergaard, Gründer und CTO von Universal Robots. „Wir reduzieren immer weiter die Komplexität, damit auch kleine Unternehmen Cobots schnell einsetzen können“, ergänzt Jürgen von Hollen Präsident von Universal Robots auf der Hannover Messe Preview vor einigen Wochen. Usability und UX gepaart mit einfacher Programmierung wird zum Wettbewerbsvorteil in der Robotikwelt, ein Markt der vor allem mit Cobots zweistellig wächst.

Wandelbare Aufgaben

Das haben auch die Gründer von Drag&Bot erkannt. Aktuell greifen Unternehmen für die Programmierung von Industrierobotern häufig auf teure, externe Dienstleister zurück, berichten die Gründer. Darum konnten Industrieroboter bisher vor allem für monotone Aufgaben mit sehr hohen Stückzahlen kosteneffizient eingesetzt werden – wie beispielsweise in der Automobilbranche. Kleine und mittlere Unternehmen müssen den Industrieroboter flexibler einsetzen können, damit sich die Anschaffung lohnt. Mit der einfachen Roboterprogrammierung von Drag&Bot können Automatisierungslösungen ohne spezifisches Fachwissen und in deutlich kürzerer Zeit an die individuellen Bedürfnisse von produzierenden Unternehmen angepasst werden, versprechen die Entwickler. Damit wird es möglich, dass Roboterzellen beispielsweise am Nachmittag eine andere Tätigkeit ausführen als noch am Morgen.

Drag-and-drop für Industrieanwendungen

Die Idee: Mit der Software können Industrieroboter ohne IT-Know-how instruiert werden. Die Funktionsabläufe werden zunächst in der Cloud-Lösung nach dem Drag-and-Drop- Prinzip zusammengefügt. Bei der Parametrisierung der einzelnen Funktionsblöcke unterstützen verschiedene Bedien- und Eingabehilfen, sogenannte Wizards. Der Nutzer führt zum Beispiel den Roboterarm per Handführung, Teach Pendant oder über die Navigation im System an die gewünschte Position, das Bewegungsmuster erkennt. Anschließend übernimmt der Wizard automatisch diese Information.

Eine der größten Stärken von Drag&Bot ist es, dass auch Kunden und Partner selbst die Software dynamisch erweitern und so an ihre Anforderungen anpassen können, schwärmen die Verantwortlichen. Die programmierten Funktionsabläufe können auf Wunsch über die Cloud mit anderen Mitarbeitern und Produktionsstandorten geteilt werden. Die Software funktioniert unabhängig von der jeweiligen Roboter-Hardware und unterstützt derzeit unter anderem ABB, Kuka, Fanuc, Denso und Universal Robots – an weiteren Kompatibilitäten wird bereits gearbeitet. Mitentscheidend für den Erfolg von Drag&Bot ist die Usability und User Experience der Software.

Bedienerlebnis und Effizienz

„Im besten Fall, bei einem wirklich guten Interface, erwächst eine positive emotionale Einstellung aus einem großartigen Bedienerlebnis mit messbarer Effizienzsteigerung“, erklärt User Experience und Gamification-Vordenker Roman Rackwitz von Centigrade und sein ehemaliger Kollege Jörg Niesenhaus ergänzt: „Benutzerschnittstellen können, wie bereits angedeutet, viele Ziele erfüllen – von der Kaufentscheidung bis zur Effizienzsteigerung in den Arbeitsprozessen. Natürlich gibt es Systeme, die sich vor allem aufgrund ihres User Interfaces verkaufen, aber eine gute Bedienbarkeit wird immer mehr zum Hygienefaktor: Erst wenn eine Benutzerschnittstelle nicht so funktioniert, wie sich die Nutzer dies wünschen, fällt dies negativ auf.“ Niesenhaus arbeitete mehrere Jahre bei Centigrade und wechselte vor wenigen Monaten in die Handelsbranche.

Trend zu webbasierten Frameworks

Und wohin geht die Reise? Noch mehr Integration von Consumerelementen in die Bedienoberflächen? „Wir erleben aus technischer Sicht einen starken Trend hin zu webbasierten Frameworks – unabhängig, ob daraus eine cloudbasierte oder lokale Anwendung entsteht. Darüber hinaus gibt es wieder eine Bewegung hin zu mehr Details und räumlicher Darstellung, nachdem eine Zeit lang probiert wurde, alles möglichst flach zu halten. Generell sehen wir viel Bewegung im Bereich von 3D-Echtzeitdarstellungen in User Interfaces.“ Und Sprachsteuerungen? „Multimodale Benutzerschnittstellen gibt es schon lange und ich glaube daher eher an eine sinnvolle Verknüpfung dieser unterschiedlichen Interaktionsparadigmen. Sprachinteraktion mag in einigen Fällen sinnvoll sein (wenn man die Hände frei haben will), aber in vielen sicherheitsrelevanten Umgebungen (von denen es in der Industrie zahlreiche gibt) ist die sprachbasierte Interaktion nicht sicher und verlässlich genug. Sie könnte daher eher als Unterstützung in spezifischen Nutzungsszenarien angewendet werden“, fasst Niesenhaus zusammen.