Einkaufsmanagement : Unternehmen haben ihre Supply Chain kaum im Griff

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So steht es im Lehrbuch: Gute Einkäufer tragen einen wesentlichen Teil zum Erfolg eines Unternehmens bei. Sie sorgen dafür, dass die Ausgaben nicht explodieren, oder anders ausgedrückt: Sie erhöhen durch ein umsichtiges Kostenmanagement den operativen Cash-Flow. Besonders wichtig ist ein funktionierender Einkauf in der verarbeitenden Industrie, wo die Materialintensität bei über 50 Prozent liegt. Missmanagement wirkt sich dort ganz unmittelbar auf die Geschäftszahlen aus.

Umso erstaunlicher ist, was das Beratungsunternehmen Deloitte in seiner jüngsten Umfrage erhoben hat. Rund 500 Einkaufsleiter aus 39 Ländern wurden zum Beschaffungsmarkt interviewt. Das Ergebnis ist alarmierend: Demnach haben nämlich nur die wenigsten Firmen einen umfassenden Überblick über ihre gesamte Lieferkette. 65 Prozent der befragten CPO gaben an, abseits ihrer Direktlieferanten lediglich begrenzt bis gar nicht Bescheid zu wissen. Dabei wäre, so heißt es bei Deloitte, die Nachvollziehbarkeit nicht nur für die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften, sondern auch für die Risikoplanung von essentieller Bedeutung.

Für Franz Staberhofer, Leiter des Bereichs Logistikmanagement der FH Steyr, ist dieses Ergebnis keine große Überraschung. „Mich wundert, dass es nur 65 Prozent sind. Ich hätte auf mehr als 90 Prozent getippt“, sagt der Logistik-Experte und liegt mit dieser Einschätzung goldrichtig. Denn lediglich sechs Prozent der Befragten, so Deloitte, haben die gesamte Supply Chain vollständig im Griff. Der Rest schlägt sich irgendwie durch.

„Die Firmen fördern dieses geschäftsschädigende Verhalten, indem sie die Einkäufer nach dem, was diese an Kosten einsparen, bewerten und entlohnen. Andere Kriterien wie etwa Wiederbeschaffungszeit und Bestände spielen im Denken von Unternehmen oft gar keine Rolle. Die Einkäufer haben sich damit arrangiert und orientieren sich nur noch an diesen Kennzahlen“, sagt Staberhofer.

„Ein lückenhafter Überblick über die Lieferkette kann ein großes Geschäftsrisiko darstellen“, verweist auch Alexander Kainer, Partner bei Deloitte Österreich, auf diese unterschätzte Gefahr: „In den letzten Jahren ist die Einbindung von Lieferanten in die Produktentwicklung in vielen Industrien zurückgegangen, Beziehungen gehen meist nicht mehr über den Tier 1, also Direktlieferanten, hinaus.“

Mit dem fehlenden Überblick sammelt sich zumeist auch ein Konvolut unnötiger Artikel – und Lieferanten an. Das Datenmaterial wird erdrückend, es gibt keine Transparenz.

René Svatek, Leiter des technischen Einkaufs und Energiemanager der Pfeifer Group, einer der Teilnehmer der Deloitte-Umfrage, relativiert: „Im direkten Einkauf leben wir eine sehr hohe Transparenzkultur, was bei einer rohstofflastigen Industrie wie der unseren enorm wichtig ist. Im indirekten Einkauf ist das ungleich schwieriger, was nicht zuletzt auch der zunehmenden Internationalisierung der Lieferketten geschuldet ist.“ Ein besserer Überblick über die Lieferkette könne in dem Fall nur über eine Lieferantenreduzierung und Produktvereinheitlichung erfolgen, so Svatek.

„Wenn ich wissen will, wie es um die Einkaufspolitik eines Unternehmens bestellt ist, dann frage ich die CPO, in welchen Abständen sie bei ihren Lieferanten sind. In der Regel bekomme ich dann als Antwort: Wieso ich? Die kommen zu mir“, sagt Staberhofer und skizziert damit zugleich auch das Dilemma des Berufsstands. Es fehle die Bereitschaft zu lernen, sich aktiv mit dem Business des anderen auseinanderzusetzen. An kooperativen, nachhaltigen Lösungen sei kaum jemand interessiert. Hauptsache es ist billig und wird fristgerecht geliefert.

Apropos billig: Auch hier besteht, so geht aus den aktuellen Erhebungen hervor, Aufholbedarf. Nachdem der Einkauf von vielen Unternehmen nur als „Bestell-Abteilung“ gesehen wird, sitzen dort in der Regel oftmals die am schlechtesten bezahlten Firmenmitarbeiter. Mangelnde Ausbildung wird durch ein nicht vorhandenes Weiterbildungsangebot potenziert. Die Investitionen in Mitarbeiterschulung sinken kontinuierlich, heißt es dazu bei Deloitte. Nur 16 Prozent der Befragten würden sich auf die Verbesserung der Qualifikation ihres Teams konzentrieren. Alarmierende Zahlen, angesichts der zunehmenden Digitalisierung im Beschaffungsbereich, heißt es bei Deloitte.

Gleichzeitig ist das Vertrauen in die Fähigkeiten der Mitarbeiter enden wollend. So glauben nur drei Prozent der CPO, dass ihre Mitarbeiter die entsprechenden Fähigkeiten besitzen, um das Potenzial der Digitalisierung voll ausschöpfen zu können. Eine Aussage, die den Logistiker Staberhofer auf die Palme bringt: „Ja, das ist typisch. Die eigenen Ängste, das eigene Unvermögen wird auf die anderen, die Untergebenen übertragen. Die Einkaufsleiter schicken ihre Leute so gut wie nie auf Schulungen, weil das ja Geld kostet. Gleichzeitig regen sie sich dann über die mangelnde Kompetenz ihres Teams auf. Diese mangelnde Kompetenz ist auch ihre. Nicht selten kämpfen CPO unternehmensintern selbst mit mangelnder Anerkennung. Zugeben wird das freilich keiner. Im Traum sind wir alle John Wayne.“

Dass es auch anders geht, beweist man bei der Pfeifer Group. „Um unseren Mitarbeitern Technologien näher zu bringen, haben wir in ein eigenes IT-Schulungsequipment investiert und machen den Großteil der Schulungen inhouse. Wir sind davon überzeugt, dass ein Training in gewohnter Umgebung und ohne lange Anreise die Hemmschwelle bei den Mitarbeitern verringert und deshalb deutlich mehr und intensivere Schulungen möglich sind“, sagt Svatek. Parallel dazu hätte man bereits vor zwei Jahren die Plattform „Pfeifer 4.0“ ins Leben gerufen, wo sich Mitarbeiter aus allen Ebenen beteiligen können, um gemeinsam an neuen Geschäftsmodellen, Produkten oder digitalen Prozessabläufen zu arbeiten.

Wie wichtig derartige Maßnahmen sind, zeigt nicht zuletzt auch die Deloitte-Umfrage. Eine ähnliche Herausforderung wie eine transparente Lieferkette stellt offenbar nämlich auch eine Strategie für ein digitales Beschaffungswesen dar. Fazit des Beratungsunternehmens: Wer im internationalen Wettbewerb bestehen will, muss sich um diese bislang vernachlässigten Wachstumsfelder kümmern.