Interview : Treibacher-Vorstand Rene Haberl: "Wir setzen China etwas entgegen"

Treibacher-Chefs Rene Haberl und Rainer Schmidtmayer
© Treibacher / Puch Johannes

INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Haberl, nach 27 Jahren beim Holzwerkstoffhersteller Fundermax, neun davon in der Geschäftsführung, folgten Sie im vorigen Sommer Alexander Bouvier als Treibacher-Vorstand nach. Ein fundamental neues Betätigungsfeld - oder übersehe ich gerade elementare Gemeinsamkeiten von Holzverarbeitung und Metallurgie?

Rene Haberl: Klar, ich bin Quereinsteiger. Darum geht es letztlich aber nicht. Es gelten überall Marktmechaniken, die es zu verstehen gilt. Und zahlreiche Abläufe in der Produktion sind sich im Kern ähnlich: Es geht hier wie dort um Effizienz. Darum, die vorhandenen Ressourcen bestmöglich zu nutzen. Und es geht um Visionen, die es in einem Unternehmen weiterzuentwickeln gilt. In meiner Quereinsteigerrolle kann ich mich gut einbringen.

Lassen Sie uns über die Implikationen der Pandemie sprechen. In einem Interview meinten Sie, erst 2024 wieder den Umsatz 2019 erreichen zu werden. Ist das jetzt sehr konservativ geschätzt oder sehr realistisch betrachtet?

Haberl: Zumindest in einigen Bereichen ist das durchaus sehr realistisch betrachtet. Die Rückgänge in der Automobilindustrie, vor allem aber auch in der Luftfahrt, wo es ein Minus von 65 Prozent in der Branche gab, trafen uns hart. Das wird in der Luftfahrt sicher noch eine gewisse Zeit so anhalten. Wir haben in anderen Bereichen aber auch sehr stabiles und gewinnbringendes Geschäft, wo es auch neue Perspektiven gibt. Die Stahlproduktion in Europa war stark rückäufig, gleichzeitig war der Zuwachs in China mit 20 Prozent ein ordentlicher. Neue Bauvorschriften wecken neue Bedarfe. Und neue Anwendungsfelder für Vanadium wie etwa die Redox-Speichertechnologie bilden sich heraus. Diese wird aktuell im großen Stil in China installiert und wirkt positiv auf das Vanadium-Geschäft.

Im Legierungsgeschäft hängen Sie stark an der Stahlkonjunktur. Wie sieht es in anderen Bereichen des Portfolios aus?

Haberl: Als ich begonnen hatte, mich sehr intensiv mit der Treibacher Industrie AG zu beschäftigen, war ich überrascht, wie zukunftsorientiert das Unternehmen bereits aufgestellt ist. Mit Zukunftsfeldern wie der Kreislaufwirtschaft, Biotechnologie, Materialien für Implantate, für die Krebstherapie bis hin zum Thema Umweltschutz durch Katalysatoren für Fahrzeuge und Entstickungsanlagen für die Industrie. Oder nehmen Sie die Wasserreinigung. Wir trennen Arsen aus Minenabwässern ab und reduzieren die Belastungen in kommunalen Anlagen. Das macht sehr viel Sinn und ist mit ein Grund, dass ich mich glücklich schätze, im Unternehmen zu sein.

Ganz folgenlos bleibt die Pandemie auch hier nicht...

Haberl: Es gibt auch in diesen neuen Sektoren viele Beeinflussungen durch Covid-19. Untersuchungen im MRT-Bereich werden verschoben, somit kommen weniger unserer Grundstoffe für Kontrastmittel zum Einsatz. Der Einsatz von Zahnimplantaten wird ebenfalls vertagt, das spüren wir im Segment Hochleistungskeramiken. Und auch Projekte in der Luftfahrt zur Entwicklung effizienterer Triebwerke liegen mitunter auf Eis.

Nach Plan läuft es dagegen bei der Verwertung von Raffinerie-Katalysatoren.

Haberl: Ja, das ist ein sehr stabiles Geschäft auf Basis von Langfristverträgen. Kunden legen in der Rohölverwertung auf eine kontinuierliche Abnahme dieser Katalysatoren wert. Wenn die Produkte am Ende ihrer Lebensdauer angekommen sind, führen wir sie einer umweltgerechten Verwertung zu und gewinnen daraus die Wertstoffe Nickel, Vanadium und Molybdän. Man müsste jährlich 500.000 Tonnen Erz behandeln, um auf alternativem Wege die gleiche Menge an diesen Materialien zu gewinnen. Unsere Recyclingquote liegt hier bei mittlerweile 99 Prozent.

Bei Treibacher sind Investitionen von 150 Millionen Euro in der Pipeline, unter anderem geht es um die Errichtung einer neuen Recyclinganlage für die Wertstoffgewinnung aus verbrauchten Katalysatoren. Eine Blaupause, wie Unternehmen mit stabiler Eigentümerstruktur in Krisenzeiten wirtschaften?

Haberl: Auf der einen Seite kommt uns unsere Position der Stärke zugute, wir haben ja doch über die letzten Jahre sehr gut gewirtschaftet. Aber natürlich auch der Eigentümerhintergrund. Die Eigentümerfamilien sind Vollblutunternehmer, die es uns ermöglichen, nachhaltig - und antizyklisch - ins Unternehmen zu investieren. Die Investition entspricht der Leitidee des Green Deals und folgt dem europäischen Ziel einer lokalen Vanadiumgewinnung. Nicht umsonst steht der Rohstoff auf der Liste versorgungskritischer Rohstoffe in der EU.

Wie ist Stand heute der Baufortschritt?

Haberl: Vor Weihnachten erfolgte der Spatenstich. Aktuell rollen die Bagger zur Vorbereitung der Flächen auf. Es lassen sich bereits jetzt die Dimensionen des Vorhabens erahnen.

Auch ein neues Logistikzentrum in Treibach entsteht. Was gab dafür den Ausschlag?

Haberl: Ohne hervorragender Logistik geht es nicht. Und wir nutzen die Möglichkeiten der Digitalisierung, um das Lager effizienter denn je zu bewirtschaften und die Lieferketten für die Zeit nach der Pandemie neu aufzusetzen. Auch wird die Verkehrssituation am Standort entlastet.

Investiert werden auch fünf Millionen Euro in Künstliche Intelligenz. Um die Treibacher-eigene Produktkomplexität beherrschbarer zu machen?

Haberl: Wir spannen den Bogen weiter. Von der Greenfield-Einführung eines neuen ERP-Systems, das künftig den digitalen Kern unserer Prozesse abgeben wird, bis hin zu Onlineanalysen mit nachgeschalteten KI-Rechenmodellen. Ein Anliegen ist, den Parameter Rohstoffausbeute zu optimieren. Ein gar nicht so kleiner Teil unserer Produktion ist von einem digitalen Abbild gar nicht mehr weit entfernt.

Welche KI-Anwendungen können Sie sich für die Zukunft sonst noch vorstellen?

Haberl: Die KI soll chemische Prozesse künftig selbständig optimieren. Derzeit erarbeiten wir dafür die entsprechende Datenbasis. Und auch im Vertrieb sollen zukünftige Bedarfe unserer Kunden über KI in naher Zukunft prognostiziert werden. Dann werden wir vielleicht besser als unsere Kunden selbst wissen, was sie brauchen.

Trägt diese Strategie schon Ihre Handschrift?

Haberl: Ich denke, ja. Ich durfte mich bei Fundermax schon intensiv mit Digitalisierung und der smarten Fabrik befassen. Und ich habe ins neue Unternehmen natürlich einige der Themen mitgebracht. Das fällt hier auf fruchtbaren Boden. Die große Offenheit für Neues zeichnet das Unternehmen aus.

Sie haben bei Fundermax seinerzeit die Internationalisierungsoffensive vorangetrieben. Sehen Sie für Treibacher noch weiße Flecken auf der Landkarte?

Haberl: Es gibt noch neue Segmente und Märkte, in die man treten kann. China ist für uns ein wesentlicher Markt, an dem wir noch stärker partizipieren könnten. Und auch die noch stärkere Durchdringung von Nordamerika ist sicher ein Thema für die nächsten Jahre.

Fehlen Ihnen auf gesamteuropäischer Ebene die zündenden Ideen, Chinas Gestaltungsanspruch etwas entgegenzusetzen?

Haberl: Wir setzen dem als Treibacher ja genau etwas entgegen. Die Recyclingschiene, die wir fahren, bringt uns in die Lage, Vanadium in der EU zu gewinnen, was sonst hier kaum möglich wäre. Natürlich sind wir bei anderen Rohstoffen wie Seltene Erden ein Stück weit abhängig von der Rohstoffversorgung durch China. Aber wir sind erfahren im Rohstoffsourcing aus China. Das macht es beherrschbar.

Wenn Sie kurz Nabelschau betreiben: Wodurch charakterisiert sich am ehesten Ihr Führungsstil? Oder: Was sagen die Kollegen?

Haberl: Die Kollegen würden vielleicht sagen, ich bin ein leidenschaftlicher Weiterentwickler. Ja, wenn ich darüber nachdenke: Dafür bin ich bekannt.

ZUR PERSON

Rene Haberl, 48,

ist seit vorigem Sommer Vorstandsmitglied bei der Treibacher Industrie AG. Haberl, ein ausgebildeter Elektrotechniker, begann seine Karriere 1993 beim Holzwerkstoffhersteller Fundermax, dessen Geschäfte er ab 2011 leitete und wo er maßgeblich Internationalisierung und Digitalisierung vorantrieb. Bei Treibacher teilt er sich die Agenden mit Vorstandskollege Rainer Schmidtmayer. Haberl lebt in einer Partnerschaft und ist begeisterter Sportler.