Managerranking 2012 : Top-1000-Manager: Die neue Elite

Auf dem Wiener Naschmarkt mischen sich die sozialen Schichten. Am Marktgelände trifft das Prekariat auf Hausfrauen beim Wocheneinkauf. In den Szenecafés türkische Fischhändler auf urbane Bobos. Ein Biotop, scheinbar wie geschaffen für Christian Kern. Mit Strickmütze, Wintermantel, Einkaufssack und Tochter Carla-Sophie auf den Schultern spaziert der Mann durch das bunte Gewirr. Die Art, mit der sich Kern, der keine hundert Meter von hier im jungen, schicken sechsten Wiener Gemeindebezirk wohnt, den Weg durch das bunte Wirrwarr bahnt, verkörpert in vieler Hinsicht einen neuen Typus von Manager. Urban Lifestyle statt Hirschjagd, Blues statt Blasmusik und Kaffee- statt Wirtshaustisch – das Gesicht der heimischen Wirtschaft ist ganz offensichtlich in Veränderung begriffen. Granden ohne Nachfolger Seit nunmehr sieben Jahren analysieren die Statistiker der FAS.research im Auftrag von INDUSTRIEMAGAZIN das heimische Firmenbuch und die Vereinsregister auf der Suche nach den einflussreichsten Führungskräften des Landes. Die Umwälzungen, die der Generationenwechsel im Vorjahr mit sich brachte, sind dramatisch. Mit dem Abgang einer ganzen Generation an Firmenlenkern im Vorjahr – neben den Raiffeisen-Größen Konrad und Scharinger haben auch Industriegranden wie Veit Sorger und Claus Raidl den Rückzug angetreten – sind heuer völlig neue, wenngleich nicht unbedingt unbekannte Führungskräfte an die Spitze des jährlichen INDUSTRIEMAGAZIN-Rankings der mächtigsten Manager gestoßen. Mehr noch: Netzwerk-Maschinen wie Raiffeisen, die ihre Spitzenmanager schon lange für gezieltes Networking freispielen, werden durch die Ausfälle geschwächt – und die Frage, wo in Österreich neue Machtzentren entstehen, gehört zu den spannendsten der kommenden Jahre. Klar ist, dass die Vakanzen, die Menschen wie Konrad und Scharinger hinterlassen, nicht ohne weiteres von „Nachfolgern“ übernommen werden können – Netzwerke sind etwas sehr Persönliches. Der Aufsteiger des Jahres Einiges spricht dafür, dass die Netzwerk-Landschaft der österreichischen Industrie zunächst einmal fragmentierter wird, ehe sich neue Machtzentren klar herausbilden. Die Fähigkeit der alten Garde, soziales Kapital anzusaugen, ist bislang unerreicht. Der Raiffeisen-Sektor bleibt dennoch ein zentraler Knotenpunkt: Agrana-CEO Johann Marihart ist in der Dimension „Vernetzung“ fast ungeschlagen, bleibt aber aufgrund der geringeren Umsatzdimension nur knapp in den Top Ten. Mit Reinhard Wolf (RWA) und Josef Pröll (Leipnik-Lundenburger) auf den Rängen 19 und 21 haben sich zwei weitere Raiffeisen-Männer in Stellung gebracht, das Erbe der Machtmenschen Konrad und Scharinger anzutreten. Aufsteiger des Jahres ist jedenfalls Christian Kern. Der – wie manche in der Branche meinen – größte personelle Erfolg der SPÖ seit Hannes Androsch hat in seiner vergleichsweise noch kurzen Amtszeit ein erstaunlich dichtes und vielseitiges Netzwerk etabliert, das weit über seine Branche und über politische Lager hinweggreift. Durchaus möglich, dass sich dies im Ranking 2013 noch deutlicher zeigen wird. Möglich auch, dass Christian Kerns Fähigkeit, mit Macht spielerisch umzugehen und dabei authentisch zu bleiben, ein Zeichen der kommenden neuen Machtelite ist. Hier geht´s weiter

Der Kurzentschlossene Rang 1: Wolfgang Anzengruber, Vorstandsvorsitzender Verbund AG Wolfgang Anzengruber ist ein Mann schneller Entscheidungen. Klaus Woltron, damals ABB-Chef, entdeckte diesen Charakterzug Anzengrubers Anfang der 90er-Jahre. Einmal eröffnete Anzengruber seinem Ex-Chef, dass er wohl bei der Siemens-Tochter Systec den Hut nehmen werde. Er brauche Veränderung. Woltrons Reaktion: „Dann machen wir eben eine neue Gesellschaft für Dich.“ Keine Minute später hatte Woltron Anzengruber überzeugt, Teil des Führungsteams der Österreich-Tochter des ABB-Konzerns zu werden. Die Anekdote fügt sich in die Charakterisierung des Verbund-Chefs ein. Er gilt als schnellentschlossen. Neben dem Vorstandsvorsitz im Energie-Konzern bilden Funktionen in der IV einen Link zur Politik. Der Unangepasste Rang 2: Christian Kern, Vorstandsvorsitzender ÖBB-Holding AG Arbeiterkind aus Simmering, Schulsprecher, VSStÖ-Aktivist, schon früh alleinerziehender Vater – der Werdegang hat Christian Kern geprägt und dazu geführt, dass er authentisch wirkt. Egal ob er mit Verschubarbeitern der ÖBB im Dialekt spricht oder sich im schicken Wiener Naschmarktcafé zu Jugendfreunden setzt. Die offensichtlichen Erfolge ließen die Kritiker an seiner „roten“ Herkunft verstummen. Auch Christian Kern, Vorstandsmitglied der Industriellenvereinigung Wien, baute sein Netzwerk nach Kräften aus: Neben dem Faktor ÖBB-Umsatz sind es auch die Verbindungen zu Politik und Gesellschaft, die den ÖBB-Manager von Rang 28 im Vorjahr diesmal ex-aequo mit Wolfgang Eder auf Platz zwei steigen lassen. Der Charismatische Rang 2: Wolfgang Eder, Vorstandsvorsitzender voestalpine AG Wolfgang Eder beherrscht eine unter Spitzenmanagern seltene Kunst. Er gibt allen Menschen das Gefühl, wahrgenommen zu werden – ob Stahlarbeiter, Reinigungspersonal oder der Werkschef. Kaum ein Top-Manager ist bei seinen Leuten so beliebt wie er. Das Netzwerk des voestalpine-Chefs ist zwar weniger dicht als das von Wolfgang Anzengruber, doch der immense Umsatz der voestalpine wirkt sich im Ranking aus. Und auch Wolfgang Eder ist Teil eines bedeutsamen Netzwerkknotens abseits der Industrie: Er ist Aufsichtsratsmitglied der Oberbank. Verbindungen zur Politik schafft der Präsident der europäischen Stahlvereinigung außerdem durch die Vizepräsidentschaft in der oberösterreichischen Industriellenvereinigung. Hier geht´s weiter

Der Vielgesichtige Rang 4: Hans Peter Haselsteiner, Vorstandsvorsitzender Strabag SE Ein zielstrebiger Patriarch. Ein gestandener Liberaler. In Verhandlungen hart bis zur Brutalität. Kultiviert, sozial engagiert und gebildet. Hans Peter Haselsteiner ist einer der schillerndsten Industriellen des Landes. In einer der härtesten Branchen einen florierenden Konzern aufzubauen, ringt Respekt ab. Soziale und kulturelle Engagements niemals als Marketingmittel zu missbrauchen, ebenso. Als Mitglied der Bundessparte Industrie sowie Ausschussobmann im Fachverband Bauindustrie bekleidet Haselsteiner wichtige Funktionen in der WKO, die Semper Constantia Privatbank führt ihn als Mitglied des Aufsichtsrates. Hinzu kommen starke Vernetzungen im sozialen und kulturellen Bereich. Der Sensible Rang 5: Norbert Zimmermann, Aufsichtsratsvorsitzender Berndorf AG Ein Spitzenindustrieller ohne erkennbare Gegner – das hat Seltenheitswert. Norbert Zimmermann, der Jazzmusiker, der sich nicht zu schade ist, mit rumänischen Straßenkindern zu Roma-Musik zu improvisieren, gilt als einer der gebildetsten, sensibelsten und authentischsten Führungskräfte des Landes. Selbst die Akkumulation von Macht wird ihm nicht negativ ausgelegt: Zimmermann erklärt, Aufsichtsratsmandate nur anzunehmen, wenn er daraus persönlich etwas lernen könne – und man glaubt ihm. Politische Verbindungen scheinen im Portfolio von Norbert Zimmermann nicht auf. Doch auch so ist sein Netzwerk gewaltig: Drei Vorstandsposten in Privatstiftungen, 14 Aufsichtsratsmandate, darunter Allianz Elementar, Gebrüder Weiss, OMV, Oberbank, Schoeller-Bleckmann und Siemens. Der Stahl-Netzwerker Rang 6: Franz Kainersdorfer, Vorstandsmitglied voestalpine AG Mit dem Vorstand und Leiter der Division Metal Engineering landet ein weiterer voestalpine-Manager unter den Top Ten: Franz Kainersdorfer bekleidet im Stahlbereich nicht weniger als einen Vorstands-, zwei Geschäftsführer- und zehn Aufsichtsratspositionen. Neben der dahinterstehenden Umsatzmacht ist es die Vorstandsmitgliedschaft in der IV Steiermark, die für einen Spitzenplatz sorgt. Hier geht´s weiter

Der urbane Aristokrat Rang 7: Peter J. Oswald, Vorstandsvorsitzender Mondi AG Papierherstellung ist keine Wissenschaft, sie gilt als Kunst. Ein Selbstverständnis, das die Leader der Branche mit einem Hauch von Aristokratie behaftet: Konservativ, ohne parteigebunden zu sein. Mächtig, ohne es betonen zu müssen. „Papieraristokrat“ Peter J. Oswald verfügt via IV über gute Verbindungen in die Industriepolitik. Die Präsidentschaft bei respACT sowie die Kuratoriumsmitgliedschaft im Institut für Wirtschaftsforschung bringen Oswald in direkten Netzwerkkontakt mit Industrie, Energiewirtschaft, Finanz und Politik. Der Altmeister Rang 7: Veit Sorger, Aufsichtsratsvorsitzender Mondi AG Was für Peter J. Oswald gilt, verkörpert Veit Sorger in Reinkultur: Sorger steht nahezu automatisch im Mittelpunkt, ohne auf sich aufmerksam machen zu müssen. Sein Netzwerk-Portfolio ist „Old School“ im erfolgreichsten Sinne: Unter anderem für Mondi, Constantia Industries, Lenzing, Semperit und Soravia Group sitzt Sorger laut Firmenbuch im Aufsichtsrat. Seine Aktivitäten in der WKO verzahnen ihn mit der Politik. Hinzu kommen das Wifo oder auch der Unirat der TU Wien. Trotz seines Rückzugs aus den operativen Funktionen in der Industrie und der IV bleibt Veit Sorger im Ranking top. Der Untypische Rang 9: Johann Marihart, Vorstandsvorsitzender Agrana-Beteiligungs AG In Sachen Vernetzung wird der Agrana-Chef nur noch von Christoph Leitl geschlagen: Johann Marihart verfügt über ein perfektes Portfolio an Kontakten in den unterschiedlichsten Bereichen. Manche davon entsprechen den gängigen Klischees der Raiffeisen-Welt – andere (Ludwig Boltzmann Gesellschaft, Ökosoziales Forum Österreich) korrespondieren mit Mariharts Ruf als ausgewiesen urbanliberaler Mensch. „Bescheiden, fleißig, klug, sozial“ beschreibt ihn ein enger Mitarbeiter. Die Pionierin Rang 10: Gabriele Payr, Vorstandsvorsitzende Wiener Stadtwerke Holding AG Gabriele Payr gilt als selbstbewusstes Energiebündel. Eine Eigenschaft, die angeblich auch schon beim Abschmettern politischer Wünsche hilfreich war. „Auf Versuche der Einflussnahme jenseits fachlicher Rechtfertigung reagiert sie ausgesprochen unwillig“, erzählt ein Mitarbeiter. Im IM-Ranking setzt die Multi-Aufsichtsrätin übrigens eine Pioniertat: als erste Frau, die es unter die Top Ten geschafft hat. Das Netzwerk Österreich Die Netzwerk-Spezialisten rund um FAS.research-Gründer Harald Katzmair haben für INDUSTRIEMAGAZIN das Netzwerk der österreichischen Industrie transparent gemacht. Grundlage des Rankings bilden das Firmenbuch und die Netzwerk-Datenbank von FAS.research. Diese enthält die Funktionen von mehr als 95.000 Personen in über 20.000 Unternehmen, Interessenverbänden und Institutionen. Aus diesem Datenschatz wurden die 1000 Führungskräfte mit den meisten Funktionen in den umsatzstärksten Industrieunternehmen identifiziert. Das komplette Ranking finden Sie in unserer Datenbank.