Verkehr : "Systemrelevante" Tiroler Pendler dürfen weiterhin nach Deutschland

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Die verschärften Einreiseregeln an den deutschen Grenzen zu Tirol und Tschechien, um die Ausbreitung besonders ansteckender Varianten des Coronavirus eindämmen, bieten für bestimmte Berufspendler Ausnahmen. Das teilten das deutsche Innenministerium und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder übereinstimmend mit. Demnach dürfen Pendler aus Tirol nach Deutschland einreisen, wenn sie gebraucht werden, um den Betrieb in systemrelevanten Branchen aufrecht zu erhalten.

Laut der deutschen Bundesagentur für Arbeit (BA) pendeln 22.000 Tschechen und 9.600 Österreicher nach Deutschland, viele davon im verarbeitenden Gewerbe.

Das Einreiseverbot für Tiroler nach Deutschland war in Kraft getreten. Damit will Deutschland die Ausbreitung ansteckenderer Varianten des Coronavirus eindämmen. In Tirol gilt die südafrikanische Mutation aus deutscher Sicht als besonders verbreitet. Die Kontrollen unter dem neuen Regime begannen bei frostigen Temperaturen von mancherorts bis zu 20 Grad unter Null.

"Einreise für Grenzpendler in systemrelevanten Berufsbranchen möglich"

"Systemrelevante" Pendler aus Tirol und Tschechien müssen in den kommenden Tagen ihren Arbeitsvertrag dabeihaben und an der Grenze den deutschen Beamten vorzeigen. Bis Dienstag sollen die deutschen Bundesländer Bayern und Sachsen Betriebe offiziell als systemrelevant definieren und individuelle Bescheinigungen ausstellen, die an der Grenze vorgezeigt werden sollen. "Für Grenzpendler in systemrelevanten Berufsbranchen soll die Einreise möglich bleiben", sagte der deutsche Innenminister Horst Seehofer. "Wir gehen pragmatisch vor, wo immer das möglich ist." Zuvor hatte es Verwirrung gegeben, ob es Ausnahmen für Grenzpendler gibt und welche, ob eine lockerere bayerische Landesverordnung zum Tragen kommt oder eine strengere deutsche Bundesverordnung.

Tirols Landeshauptmann Platter fordert neue Regelung für alle Tiroler Pendler

Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) forderte aber weiterhin eine Ausnahme für alle Tiroler Pendler. Die derzeitige Situation sei "absolut inakzeptabel". Zudem sei derzeit "entgegen anderslautender Aussagen das Durchfahren ohne Stopp über das kleine und große deutsche Eck" nicht möglich. Jemand der von Tirol nach Salzburg oder Wien reisen will, müsse nun "großräumig" ausweichen. "Eine solche Vorgangsweise ist weder verhältnismäßig noch sinnvoll", zeigte sich Platter verärgert.

Kein Durchkommen für Transit-Reisende

Ein Sprecher der Bundespolizeidirektion in München bestätigte gegenüber der APA, dass es für Transit-Reisende bis auf wenige Ausnahmen derzeit kein Durchkommen gebe. Einreisen dürfen etwa deutsche Staatsbürger. Dies sei derzeit aber Gegenstand von Gesprächen und könne sich im Laufe des Nachmittages noch ändern.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann sagte in Schirnding an der Grenze von Bayern zu Tschechien bei einem Besuch an der dortigen Kontrollstelle, zu den Pendler-Ausnahmebranchen zählten etwa Wasser-und Elektrizitätswerke oder die Lebensmittelproduktion, aber etwa auch Unternehmen, die Spezialgläser für Impfstoffe produzieren. Im Einzelnen müsse an Ort und Stelle darüber entschieden werden. Voraussetzung für die Einreise sei dann aber für alle eine Bescheinigung des Arbeitgebers sowie ein maximal 48 Stunden alter negativer Corona-Test. Zudem müssten sie sich digital vor der Einreise anmelden.

Kein Ablaufdatum der Regelung in Bayern definiert

Bayern will die neuen Grenzkontrollen zunächst ohne Befristung durchhalten. "Die Herausforderungen sind eher größer geworden", sagte CSU-Chef Söder in Sachen Corona-Mutationen mit Blick auf die vergangenen Tage in Schirnding. In Tschechien und Tirol werde zu wenig getan, um die Coronavirus-Infektionen einzudämmen. Der Güterverkehr soll demnach aber weiter rollen. Kritik an den Maßnahmen wies Söder zurück.

Zum Schutz vor den ansteckenderen Varianten des Coronavirus dürfen seit Sonntag aus Tschechien und Tirol nur noch Deutsche sowie Ausländer mit Wohnsitz und Aufenthaltserlaubnis in Deutschland einreisen. Ausnahmen gab es bisher nur für Ärzte, Kranken- und Altenpfleger sowie für Lastwagenfahrer und landwirtschaftliche Saisonkräfte.

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Seitens der Bundespolizeidirektion in München hieß es zur APA, bis einschließlich Dienstag müssten Pendler per Arbeitsvertrag beim Grenzübertritt nachweisen, dass sie in einem systemrelevanten Bereich tätig seien. Danach, also ab Mittwoch bei Tagesbeginn, würde eine amtliche Bescheinigung einer deutschen Behörde - etwa dem Landkreis, wo ein Pendler arbeite - nötig sein. Die Abstimmung zwischen den Behörden in Deutschland - Bund, Bayern, Sachsen, usw. - diesbezüglich sei aber noch im Fluss.

In den ersten zwölf Stunden der verschärften Einreiseregeln Deutschlands wurden laut der deutschen Bundespolizei München mehr als 500 Menschen als nicht einreiseberechtigt zurückgeschickt. Mehr als 1.700 Menschen seien kontrolliert worden, davon gut 700 an der tschechischen Grenze.

Kontrollen auch an den Flughäfen Frankfurt und München

Auch am größten deutschen Verkehrsflughafen in Frankfurt am Main werden Flugreisende aus Österreich und Tschechien nun kontrolliert. Der Bundespolizei-Sprecher sagte, die Beamten überprüften, ob es sich bei den über Frankfurt einreisenden Menschen um deutsche Staatsangehörige, EU-Bürger oder Angehörige aus Drittstaaten mit einem gültigen Aufenthaltstitel in Deutschland handelt. Außerdem werde geprüft, ob die Reisenden einen negativen Corona-Test und eine digitale Einreiseanmeldung vorweisen können. waren vier Flüge von diesen Grenzkontrollen betroffen - drei aus Wien und einer aus Prag.

In Tirol gab es mit Stand Sonntag insgesamt 251 Verdachtsfälle der südafrikanischen Coronavirus-Mutation, vier weitere waren im Vergleich zum Vortag hinzugekommen. 219 derartige Fälle wurden bisher durch Voll- oder Teilsequenzierung bestätigt, teilte das Land mit. Unter den Verdachtsfällen bzw. teilsequenzierten Fällen galten 135 Menschen noch als infiziert. Rund 61 Prozent der bestätigten und der Verdachtsfälle traten nach wie vor im Bezirk Schwaz auf, 20 Prozent im Bezirk Kufstein und elf Prozent im Bezirk Innsbruck-Land.

Tirol stemmt sich gegen einen Verkehrskollaps

Wegen der neuen deutschen Einreiseregeln will Tirol den Lastwagenverkehr aus Italien im Vorfeld kontrollieren und drosseln, um einen extremen Rückstau und einen Verkehrskollaps im Inntal zu verhindern. "Wir lassen es nicht zu, dass Tirol der Parkplatz Europas wird. Aus diesem Grund wird in Abstimmung mit dem Bund eine Verordnung erlassen, die uns Kontrollen bereits am Brenner ermöglicht", hatten Platter und Verkehrslandesrätin Ingrid Felipe (Grüne) erklärt.

Für Transitforum Austria-Tirol-Obmann Fritz Gurgiser geht diese Vorgehensweise aber nicht weit genug. Er forderte in einem der APA vorliegenden Brief an das Land Tirol, dass eine Dosierung des Lkw-Transitverkehrs "nicht nur am Brenner, sondern weiter südlich" erfolgen solle und die "Dosierungen bereits in Verona oder noch weiter südlich auf den Überkopfwegweisern der A22 bekannt gemacht werden". Dies soll in Zusammenhang mit den Südtiroler und Trentiner Regionalbehörden ermöglicht werden. Zudem sollen am Brenner nur so viele Transit-Lkw nach Tirol einfahren dürfen, "wie in Kufstein problemlos weiterfahren können". Er erinnerte auch an die Alternativen "auf Schiene oder Straße auf wesentlich kürzeren alpinen Strecken". Gurgiser warnte vor "noch nicht dagewesenen Stausituationen im Pkw- und Lkw-Bereich" und verwies auf die Unzumutbarkeit der Situation für Anrainer und Lkw-Berufskraftfahrer, "die ohnedies unter miesesten und menschenunwürdigsten Bedingungen hinter dem Lenkrad sitzen".

Skepsis in der EU gegenüber der deutschen Linie

EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides hält nicht viel von den schärferen deutschen Einreiseregeln. "Die Furcht vor den Mutationen des Coronavirus ist verständlich. Aber trotzdem gilt die Wahrheit, dass sich das Virus nicht von geschlossenen Grenzen aufhalten lässt", sagte die Politikerin aus Zypern der "Augsburger Allgemeinen" (Montag). Über kritische Bemerkungen seitens der EU-Kommission hatte sich der deutsche Innenminister Seehofer schon zuvor empört.

Die aus Tirol stammende ÖVP-Europaabgeordnete Barbara Thaler erklärte: "Die Maßnahmen, die Deutschland nun an der bayrischen Grenze ergreift, lassen mich als Europäerin, die selbst im Grenzgebiet aufgewachsen ist, jedoch sprachlos zurück. Nach dem unkoordinierten Reisewarnungschaos folgt nun ein deutscher Alleingang, der seinesgleichen sucht. Dass nun die berufliche Aus-und Einreise mit negativem Coronatest nur für 'unabkömmliche & systemrelevante' MitarbeiterInnen möglich ist, versteht niemand." Nach den gestrigen Irritationen über eine generelle Ausnahme für PendlerInnen gebe es nun immerhin Klarheit, so Thaler in einer Aussendung.

Söder sagte, die Grenzkontrollen bedeuteten nicht das Ende des freien Europas, wie manche sagten. "Was für ein Unsinn." Er sei überzeugt, dass es Europa stärke, wenn es jetzt gelinge, eine neue Welle zu verhindern. Sicherheit und Schutz stünden in diesen Zeiten an oberster Stelle. Deswegen sei es richtig, Mutationsgebiete zu erklären und die stationären Grenzkontrollen einzuführen. Aus einer abklingenden zweiten Welle dürfe keine selbst verstolperte dritte werden. "Wir können nicht zulassen, dass die strengen Maßnahmen, das großartige Verhalten der Bevölkerung, im Nachhinein sich als sinnlos erweisen." (dpa/reuters/apa/red)

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