Interview : Strompreisgrenze zu Deutschland: "Die Industrie wird relativ rasch die Auswirkungen sehen"

Laut E-Control ist der Stromverbrauch in Österreich 2017 um zwei Prozent gestiegen. Im Schnitt ging man bislang von rund 0,5 Prozent jährlichen Zuwächsen aus. Sind angesichts dieser Entwicklung die bisherigen Prognosen, plus 18 Prozent mehr Stromverbrauch bis 2050, noch zu halten?

Leonhard Schitter Laut ECA stieg der Stromverbrauch im vergangenen Jahr um 1,4 Prozent, ein Wert, der durchaus den langfristigen Prognosen entspricht, insbesondere wenn man in Betracht zieht, dass der letzte Winter sehr kalt war. Zusätzlich hat sich die Konjunkturlage deutlich gebessert. Das Wirtschaftswachstum liegt laut Wifo-Prognose auch für 2018 wieder bei drei Prozent wie schon 2017 und die Bevölkerung wächst stärker als bisher prognostiziert. Zusätzliches Verbrauchswachstum erwarten wir von der Energiewende, weil es im Bereich Heizung/Warmwasser mehr Wärmepumpen geben wird und weil auch die E-Mobilität viel stärker in Fahrt kommen wird. Das alles wird die Auswirkungen von Effizienzmaßnahmen im Strombereich wahrscheinlich mehr als ausgleichen – was auch richtig ist, denn insgesamt wird ja der Energiesektor sich immer stärker in Richtung Strom entwickeln. Bis 2030 erwarten wir laut Stromstrategie einen Anstieg des Stromverbrauchs von derzeit 65 auf etwa 88 TWh und diese Zahl dürfte auch im Hinblick auf die aktuelle Entwicklung halten. Für 2050 traue ich mir keine genauen Prognosen abzugeben. Da fehlen viele politischen Entscheidungen und technischen Entwicklungen, die wir zum Teil heute noch nicht abschätzen können.

Im Vorjahr gab es nicht zuletzt deshalb Versorgungsengpässe, weil die Wasserführung der Donau nicht gerade berauschend war. Thermische Kraftwerke mussten einspringen, noch mehr Strom, teilweise aus Kohlekraftwerken, musste importiert werden. Wie realistisch ist da noch das Festhalten der österreichischen Bundesregierung, bis 2030 Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien zu bewältigen?

Schitter Es ist aufgrund der Struktur es österreichischen Elektrizitätssystems eine Tatsache, dass wir traditionell bei guter Wasserführung Stromüberschüsse exportierten und im Winter Strom importierten. Bis vor rund eineinhalb Jahrzehnten war Österreich bilanziell übers Jahr aber noch Stromexporteur. Der österreichische Kraftwerkspark enthielt zudem immer eine thermische Komponente, einerseits um die Versorgungssicherheit zu garantieren, andererseits um die Flexibilität des Systems zu stärken. Daher ist die thermische Komponente auch für die Zukunft von enormer Bedeutung. Ein Stromsystem benötigt zur Frequenzhaltung immer einen bestimmten Anteil von rotierenden Massen. Was das von Ihnen angesprochene Ziel – und hier muss man genau sein – „100 Prozent Strom (national bilanziell) aus erneuerbaren Energiequellen bis 2030“ angeht, so ist das aus Sicht der E-Wirtschaft extrem ambitioniert und geht deutlich über das Ziel unserer Stromstrategie hinaus. Auf jeden Fall werden unter dieser Prämisse enorme Aufgaben auf das Stromsystem zukommen, nicht nur was den Bereich Erzeugung betrifft, sondern auch bei den Netzen und beim Thema Speicher. Ich sehe die Energiewende auf jeden Fall als größtes und bedeutendstes Infrastrukturprojekt unseres Landes, das zehntausende von Arbeitsplätzen sichern wird.

Im Oktober fällt der gemeinsame Strommarkt mit Deutschland. Mit welchen Auswirkungen rechnen Sie? Wird Strom teurer und wer wird das zu spüren bekommen?

Schitter Wir rechnen mit einem starken Einfluss auf die Strompreise. Dazu gibt es auch zahlreiche Studien, die eine Verteuerung der Strompreise aufzeigen. Zudem werden an der EEX (European Energy Exchange) bereits Forwards für unseren Teil der Preiszone gebildet, auch wenn diese nicht besonders aussagekräftig sind. Wir wissen aktuell nur, dass die Aufspaltung kommt, die genauen Regelungen aber werden noch festgelegt. Davon wird abhängen, wie stark sich das Preisgefüge auseinander entwickelt. Die ersten, die das spüren werden, sind sicher die Kollegen im Stromhandel. Aber auch die Industrie, die üblicherweise mehrmals im Jahr ihre Preise verhandelt, wird relativ rasch die Auswirkungen sehen.

Wie sieht es aktuell bei den Strompreisen aus?

Schitter Der vor kurzem veröffentliche Preisindex für Haushaltsenergie zeigt, dass Strom aktuell die preisstabilste Energieform ist. Während alle anderen Energiepreise zulegten, verbilligte sich Strom im Verglich zum Vorjahr um 4,8 Prozent. Das ist natürlich sehr gut für die Konsumenten, stellt unsere Energiewirtschaft aber auch vor große Herausforderungen. Schwere Verzerrungen am Strommarkt haben in den vergangenen Jahren zu massiven wirtschaftlichen Problemen geführt. Durch den Verfall der Strompreise am Großhandelsmarkt kann aktuell praktisch keine neu erbaute Anlage ihre Kosten durch die Stromerlöse decken. Die Funktionsfähigkeit des Strommarkts muss daher mit Blick auf künftige Entwicklungen und durch die Integration der zugebauten erneuerbaren Energien in den Markt wiederhergestellt werden.

Mellach und Dürnrohr sollen in absehbarer Zeit endgültig stillgelegt werden. Macht das Sinn? Geht das überhaupt?

Schitter Als Präsident von Oesterreichs Energie spreche ich für die Branche in ihrer Gesamtheit und nicht über einzelne Anlagen. Was wir klar sehen ist, dass der Ausstieg aus der Kohle kommt. Die Betreiber der beiden von Ihnen genannten Anlagen haben ja schon Termine genannt. Was den letzten Teil Ihrer Frage betrifft, führt uns das zu einem ganzen Maßnahmenbündel: Eine österreichische Klima- und Energiestrategie soll bis Ende März vorgelegt und bis zur Jahresmitte beschlossen werden. Parallel soll es ein neues Energiegesetz geben, das weitere wichtige Fragen wie beispielsweise die Ökostromförderung regelt. Es wird darauf ankommen, wie stimmig das Paket ist. Seitens der E-Wirtschaft werden wir uns sehr darum bemühen, dass dieses Paket die Technik der Stromversorgung berücksichtigt, denn Strom ist eine der wichtigsten Grundlagen für das Funktionieren unserer Gesellschaft. Es muss aber auch in Zukunft genug Strom mit guter Qualität und hoher Versorgungssicherheit zu fairen Preisen geben. Aber auf den Hinweis auf die Wichtigkeit der Versorgungssicherheit und den damit erforderlichen Ausbau der Netze wird gerne vergessen.

Ein weiteres Problemfeld der E-Wirtschaft ist das fehlende Stück der 380 KV-Leitung in Salzburg. Wird dieses jemals errichtet werden?

Schitter Ein sicherer und leistungsfähiger Höchstspannungsring ist für Österreich auf jeden Fall von enormer Bedeutung. Mehr erneuerbare Energie im Netz bedeutet nämlich nicht weniger Stromflüsse, sondern immer mehr. Das kommende Jahrzehnt wird nicht nur ein Jahrzehnt der erneuerbaren Energien werden, sondern auch ein Jahrzehnt des Netzaus- und Umbaus. Davor dürfen wir uns nicht drücken.

Was wären die Alternativen? Neue Gaskraftwerke? Inwieweit ist die E-Wirtschaft bereit, hier zu investieren?

Schitter Es wird darauf ankommen, wie die Energiepolitik die Rahmenbedingungen gestaltet. Wir sind für einen Ausbau der erneuerbaren Energien in Österreich, für mehr Wertschöpfung im Land, für Innovation und Forschung.

Man liest immer öfter von einem drohenden Blackout. Ist ein solcher realistisch?

Schitter Unser Stromsystem ist dank der Wasserkraft und der hohen Speicherleistung sehr flexibel. Mit einer Ausfallssicherheit von über 99% liegen wir an der EU-Spitze. Wir gelten hier in der EU als Vorreiter. Im Vorjahr waren die österreichischen Stromkunden im Schnitt nur 24 Minuten ungeplant ohne Strom. Im Vergleich dazu lag Tschechien bei 120,89 Minuten oder Italien bei 94 Minuten. Wir werden uns im Zuge der Energiewende aber sicherlich neuen Herausforderungen stellen müssen. Anders als bisherige Kraftwerke produzieren Windkraft und Photovoltaik den Strom nicht kontinuierlich und so wie man ihn braucht, sondern je nach Wetterlage und Tageszeit. Das führt dazu, dass es häufig zu enormen Schwankungen der Stromeinspeisung kommt, die nicht immer genau prognostizierbar sind. Das künftige Stromsystem wird sich darauf einstellen müssen. Einerseits müssen die Erneuerbaren mehr Verantwortung für die Netzstabilität übernehmen, je größer ihr Anteil an der Erzeugung wird, andererseits muss gezielt darauf geachtet werden, Flexibilitäten zu erhalten oder aufzubauen. Wir wissen, was dafür zu tun sein wird, ich hoffe nur, dass man auch auf uns hört. Für die von der Klima- und Energiestrategie angestrebte Stromversorgung durch erneuerbare Energien bis 2030 sind daher ausreichend und jederzeit abrufbare Kraftwerkskapazitäten, inklusive Kraft-Wärme-Koppelung, bereitzustellen bzw. zu erhalten. Zu diesem Zweck muss eine ökonomische Basis für die Wahrung der Versorgungssicherheit und -qualität geschaffen werden.

Stichwort Energieeffizienz: Das EU-Parlament fordert eine Erhöhung von derzeit national 20 Prozent bis 2020, auf mindestens 35 Prozent bis 2030. Ist das machbar?

Schitter Österreichs E-Wirtschaft steht den Vorstellungen des EU-Parlaments bezüglich der künftigen Effizienzziele kritisch gegenüber. Bisher wurden die Bereiche Mobilität und Raumwärme kaum in die Pflicht genommen. Eine nachhaltige und integrierte Klima- und Energiepolitik muss aber den gesamten Energiesektor einbeziehen.