Dezentrale Datenbanken : So krempeln Blockchains die Produktionswelt um

Blockchain
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Schlaue Köpfe hinter dicken Brillen, Tweed-Anzüge in schrägen Farben, Schrulligkeit als Gütesiegel: Läuft Ende November die Blockchain Expo im Convention Center der kalifornischen Valley-Metropole Santa Clara an, wird wohl wieder das Klischee erfüllt: Tüftler sehen eben aus wie Tüftler – das ist bei der Datenbank-Technologie Blockchain nicht anders. Auffallend oft mischt sich auf Blockchain-Events neuerdings aber eine andere Spezies unter die jugendlichen digitalen Nerds: „Nach dem Banken und Versicherungswesen ist nun auch die produzierende Industrie auf den Plan gerückt“, beobachtet Leif-Nissen Lundbaek.

Bestes Beispiel: Statt unteren Chargen entsendet der Industrieelektronikkonzern GE zur Expo im November mit seiner Innovationschefin gleich einen Hochkaräter. Und auch Industrieriesen wie Airbus und Daimler waren kürzlich auf einem vergleichbaren Event in Berlin, erinnert sich Lundbaek, Gründer des Brandenburger Blockchain-Startups Xain. Auch hier reiste keine Spaßtruppe an. „Das waren Top-Leute der Industrie mit einer klaren Mission – der Verankerung der Blockchain in ihren Unternehmen“, so Lundbaek.

Neue Ära des Produzierens

Seine Sinne täuschen ihn wohl nicht. Die Stunde einer neuen Ära des Produzierens steht unmittelbar bevor: Fertigungsservices und -funktionalitäten zum Festpreis, sicher über die Blockchain geteilt und auf Zeit abrufbar, „könnte die Art und Weise, wie wir heute Produktionsprozesse denken, völlig umkrempeln“, sagt Oliver Gahr, Blockchain-Leiter der DACH-Region beim IT-Unternehmen IBM. Beispiel Maschinenbau.

Servicedienstleistungen, die den allerlei konjunkturellen Widrigkeiten ausgesetzten Neumaschinenverkauf ankurbeln helfen sollen, stehen bei vielen Herstellern derzeit am ökonomisch toten Gleis: Zu kompliziert, zu unsicher, folglich ungeliebt. Die Blockchain, mit der Daten in Netzwerken irreversibel gespeichert und Partnern oder Prozessen vertrauensvoll zugespielt werden können, kommt da als Schlepphilfe gerade recht: Was das Internet für Daten ist, ist die Blockchain für Werte und Transaktionen. Und da sind der Monetarisierungs-Fantasie keine Grenzen gesetzt:

Einstellparameter von Maschinen, die sichere Übertragung von kritischen Daten, schneller Informationsabgleich in der Supply Chain – „wir stellen niemandem eine Blockchain hin, nur weil das Thema gerade neu und schick ist“, stellt Gahr von IBM klar. Derart rationale Standpunkte wurden in der Debatte bisher vermisst. Nun habe man die Technologie und ihre Potenziale „auf hoher Flugebene verstanden“, sagt Steffen Ihlenfeldt, Leiter der Professur für Werkzeugmaschinenentwicklung und adaptive Steuerungen an der TU Dresden. Jetzt folgte der nächste Schritt:

Unternehmen – auch aus der Kleingewerblerecke – müssten ihre Produkte für die Blockchain enablen, gibt Wolfgang Prinz, stellvertetender Leiter des Fraunhofer FIT im westfälischen Sankt Augustin, zu Protokoll. Das sieht auch Thomas Zeinzinger, Leiter des Blockchain Hubs Graz, so: „Hersteller, etwa von Industriesteuerungen, sind jetzt gefordert“, glaubt er.

Maschinenbauer preschen vor

In der Aufwärmphase etwa: Der Maschinenbauer Trumpf. Bis 2018 will Trumpf im 33-Millionen-Euro-Projekt Iuno mit 21 Partnern die IT-Sicherheit vorantreiben. Für die Deutschen geht es nicht um abstrakt-weltanschauliches, sondern um handfeste Resultate: „Konzeption und Vernetzung eines Bezahlsystems für einen Technologiedatenmarktplatz“ – so lautet der Masterarbeitstitel von Christian Görg, der beim Ditzinger Konzern in der Grundlagenentwicklung werkt. Ein Demonstrator auf Basis des dezentralen Bezahlsystems Bitcoin soll erprobt, ein Business-Case für den Handel von Technologiedaten im Segment Laserschneiden modelliert werden.

„Standardsätze liefern wir als Hersteller schon bisher mit der Maschine mit“, erklärt Görg. Und dann lässt er seinen Überlegungen, denn noch handelt es sich um ein Gedankenexperiment, freien Lauf: Spezialeinstellungen, etwa für besondere Szenarien wie das Schneiden sehr dicken Edelstahls oder anderer fordernder Blechjobs, könnten künftig auf Lizenzbasis – etwa für den Zeitraum einer Woche – von Trumpf gemietet werden.

Szenario Zwei: „Wir ermöglichen Maschinenbetreibern, diese Informationen untereinander zu tauschen“, erklärt Görgs Abteilungskollege Hans-Peter Bock. Schon 2018 soll es verwertbare Erfahrungen geben. Und natürlich gibt es beim deutschen Maschinenbauer die Vision ganzer Prozessketten auf Basis smarter Verträge: Denkbar ist, dass Maschinen diese Deals „nahezu vollautomatisiert untereinander abschließen“, heißt es im Unternehmen.

Neue Business-Cases

Die Suche nach neuen Geschäftsmodellen – sie schwingt im Erzählhintergrund vieler mit. Sichere Wege zur Abrechnung fehlen häufig noch. Franz Staberhofer, Leiter des Logistikums Steyr, blickte im Silicon Valley und bei IBM in Zürich hinter die Kulissen der Blockchain-Technologie. Sein Fazit: „Blockchain scheint das Bedürfnis der Industrie nach Sicherheit zu erfüllen“, sagt er.

Die Blockchain könnte etwa den 3D-Druck – „und damit das gesamte Ersatzteilwesen revolutionieren“, glaubt Martin Holland, Experte für Strategie & Business Development beim deutschen Hersteller von Filesharing-Software Prostep. Lizenzen für 3D- Druckjobs würden künftig „in der Blockchain abgespeichert“, so Holland. Was auch verhindere, „dass – nennen wir sie einmal weniger vertrauenswürdige – Lieferanten Teile beliebig oft für ihre eigenen Zwecke drucken könnten“, so Holland.

In einem Projekt mit Airbus und der Daimler-Tochter EvoBus wird die Technologie zur Stunde erprobt, der Halbleiterhersteller NXP entwickelt die Verschlüsselungskomponente. Daten werden – das ist der Clou – erst vor Ort entschlüsselt. Anfragen zur Technologie kann sich Holland in den letzten Wochen angeblich kaum erwehren. „Blockchain ist der Knaller“, sagt er. IBM-Mann Oliver Gahr ist ähnlich euphorisch: „End-to-End-Szenarien im 3D-Druck werden damit möglich“, sagt er.

Effzientere Bezahlsysteme

Für den Halbleiterhersteller Infineon ergeben sich durch Blockchain ebenso neue Anwendungsszenarien. „Wir wollen Finanzinstitute, aber auch Fin-Techs dabei unterstützen, sichere Bezahllösungen mit der Blockchain zu entwickeln“, schildert Stefan Rohringer, Leiter des Infineon-Entwicklungszentrums Graz.

Aktuell verfolge man die Entwicklungen des noch sehr jungen Markts sehr genau und optimiere „etwa bestehende Sicherheitschipslösungen im Hinblick auf die neuen Anforderungen“. Im Bereich der Endpunkte – also etwa Chipkarten, USB Sticks, Mobilgeräte, Wearables oder microSD-Karten, die den einfachen und sicheren Zugriff der Nutzer oder des vernetzten Gerätes auf die Blockchain ermöglichen – wird speziell bei Infineon in Graz aktiv geforscht. Dabei wird zum einen die Kompatibilität verschiedenster Signaturalgorithmen von unterschiedlichen Blockchains überprüft und sichergestellt.

Weiters wer den Sicherheitschips in neuartige Systemarchitekturen eingesetzt, die Blockchain-Benutzerapplikationen vor potenziellen Angriffen aus dem Internet schützen. „ Unsere Sicherheitsprodukte ermöglichen damit die hocheffiziente Generierung und Speicherung der privaten Schlüssel und deren Signatur- möglichkeiten“, sagt Rohringer.

Prototyp statt Drag & Drop

Auch im Mittelstand ist die Technologie – freilich noch nicht in hübschen Drag & Drop- Designs – angekommen. Eric-Jan Kaak, bis Anfang 2018 beim Pinzgauer IT- Dienstleister Icosense verantwortlich für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle bei Kunden, sieht etwa schon das Ende von IT-Projekten klassischen Zuschnitts nahen: „Die Zeit riesiger Schnittstellenprojekte neigt sich dem Ende zu“, glaubt er. Dank smarter Kontrakte könnten Daten bald in Systemen unterschiedlichster Anbieter zirkulieren und Dienste einfach abgerechnet werden.

In einem Projekt mit IBM ergründeten die Salzburger die Möglichkeiten der Blockchain für die Visualisierung von Prozess- und Maschinendaten. „Denkt man den Gedanken zu Ende, könnte eine solche Blockchain-Funktionalität in Produktionsmaschinen neue standardisierte Abrechnungsmodelle generieren“, sagt Kaak. Daran glaubt auch Steffen Ihlenfeldt von der TU Dresden. In Industrieanlagen wären auf Zeit Funktionalitäten wie bei Filmdiensten freischaltbar. „Zusätzlich zu den einfachen Punkt-zu-Punkt-Fahrten könnten Roboter dann beispielsweise auch für einen exakt definierten und messbaren Zeitraum Bahnfahrten oder den Griff in die Kiste beherrschen“, so Ihlenfeldt.

Auditierer stehen Gewehr bei Fuß

Arbeits- und datenschutzrechtlich sind freilich Fragen offen. Allen voran: Wird es für Mitarbeiter eine Entlastung geben? „Oder ist er der Blöde, wenn in den Unternehmen Auswertungen nicht prozesskettenbezogen, sondern personenbezogen erfolgen?“, rätselt ein Produktionsexperte. Hinter das Blockchain-Thema geklemmt haben sich auch große Kanzleien für Wirtschaftsprüfung oder Consulter.

Sie sind in den großen Blockchain-Konsortien wie Hyperledger oder Ethereum Alliance vertreten. „Sie kämpfen um ihr Kerngeschäft“, heißt es in der Industrie. Graben sich Prüfer bei Jahresabschlussprüfungen heute noch tief ins Unternehmens-ERP, könnte die Blockchain einiges umwirbeln. Und die Zertifizierung?

„In Zukunft wird wohl nicht nicht, sondern einfach anders zertifiziert“, glaubt Steffen Ihlenfeldt von der TU Dresden. Ein Beispiel sei die Automatisierung in der Cloud. Eric-Jan Kaak von Icosense will diese Frage jetzt gar nicht erst aufkommen lassen. „Das wäre der Todbringer der Technologie“, glaubt er. Er zieht eine Analogie zum Internet der Dinge, wo sich die Europäer sehr – für seinen Geschmack zu – intensiv mit der Normierung befassen würden: „Die Chinesen und Amerikaner lachen sich darüber schlapp.“