Supply Chain Management : So hält die heimische Industrie ihre Lieferketten aufrecht

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Michael Schernthaner, CEO von Schur Flexibles, hat in einem Zwiegespräch mit Saubermacher-Gründer Hans Roth beim INDUSTRIEMAGAZIN Podcast, von Herausforderungen erzählt, die auch ein Unternehmen, das zur „kritischen Systemkette“ zählt, hat. Das Unternehmen musste etwa den Transportweg aus dem griechischen Werk von der Fähre auf die Schiene verlagern, was ein bis zwei Tage mehr Zeit koste. "Wir hatten einige Probleme, an der Grenze durchzukommen. Wir haben auf EU-Ebene für eine priorisierte Abfertigung an den Grenzen gekämpft." Das hat man nun geschafft: "Unsere Waren dürfen nun als Teil der Supply Chain der kritischen Infrastruktur die Green Lanes nutzen. Davor kam es immer wieder zu Schwierigkeiten und Stillständen“, berichtet Schernthaner.

Der Warmwasserspeicherhersteller Austria Email hat seinen Lean-Ansatz in der Bestandsführung vorübergehend ausgesetzt und hortet große Bestände an Vorprodukten im Werk Knittelfeld. „Das hält uns in den nächsten Monaten lieferfähig“, sagt Geschäftsführer Martin Hagleitner. Das Knittelfelder Produktionswerk von Austria Email - Kurzarbeit ist hier derzeit kein Thema - fertigt Produkte wie energieeffiziente Warmwasserspeicher, Boiler und Isolierungen, aktuell zu einem Auslastungsgrad von über 80 Prozent. Dafür haben die Steirer sich mit Vormaterialien eingedeckt. „Lean can be mean“, sagt CEO Martin Hagleitner. Die Tugend, mit möglichst geringen Beständen zu fahren, ist in den vergangenen Wochen kurzerhand über Bord geworfen worden.

Eine Kombination mehrerer Faktoren machte das möglich. Unmittelbar vor dem Shutdown in der Lombardei Mitte März legte ein bedeutender Lieferant der Steirer in der besonders virusgeplagten Stadt Cremona eine Wochenendschicht hin, um eine vorerst letzte Tranche von Stahlrohren, für den Einsatz in Glattrohrtauschern bestimmt, zu produzieren. Zusätzlich wurden Alternativlieferanten aktiviert, erzählt der Leiter Verkaufsinnendienst in Knittelfeld, Gerd Schwandter. Und noch im März langten zehn weitere Lkw-Lieferungen am Standort ein. Da war auch eine Menge Glück dabei. Aufgrund guter Konjunktur und einer höherer Sanierungsrate dank Faktoren wie Dekarbonisierung und Klimaschutzpaketen hatten die Steirer bei Speichern zu Jahresbeginn entsprechend mehr disponiert. Jetzt hat man die Läger - und nicht nur diese - voll. Das Unternehmen sehe dabei auch aktuell keinen Grund, auf andere Transportmittel umzurouten. Man setze auf die Straße, „da läuft es weiterhin sehr gut, es kommt zu keinen Verzögerungen an den Grenzen“, schildert Austria-Email-Mann Gerd Schwandter.

Auch bei Greiner sei die Versorgung mit Rohstoffen und Vormaterialien sichergestellt. "Wir sind sehr froh, dass all unsere Lieferanten verlässlich produzieren, sodass wir uns derzeit mit keinem Mangel an Rohstoffen konfrontiert sehen. Besonders erfreulich ist, dass auch unsere Kernlieferanten, die sich in Krisengebieten wie etwa Norditalien befinden, ohne Unterbrechung weiterproduzieren", so Helmut Haberleitner, Global Procurement Director bei Greiner Packaging. "Aufgrund unserer Systemrelevanz priorisieren uns einige Lieferanten, dafür sind wir sehr dankbar. Was die Logistik angeht, haben wir mit denselben Herausforderungen zu kämpfen wie alle Unternehmen derzeit. Grenzschließungen, Fahrermangel und Quarantänebestimmungen werden aber zum Glück immer weniger." Man erarbeite Back-Up-Szenarien, um für den Ausfall einzelner Lieferanten im Ernstfall vorbereitet zu sein. "Im Bereich Logistik haben wir fallweise Rohstoff-Transporte aus dem Ausland eigenständig mit österreichischen Spediteuren organisiert. Es ist uns bewusst, dass Lieferzeiten aufgrund der logistischen Probleme im grenzüberschreitenden Verkehr nicht rigoros eingehalten werden können. Eine besonders enge Abstimmung entlang der gesamten Lieferkette sind in dieser Situation also unbedingt notwendig. Aber auch ein gewisses Maß an Toleranz."

Bei Greiner Bio-One setze man im Bereich der Rohstoffversorgung, also etwa Kunststoffgranulat, "seit jeher – so wie auch in dieser Zeit – auf und langfristige Partnerschaften. Wir arbeiten mit globalen Lieferanten zusammen, welche uns aus unterschiedlichen Produktionsstandorten lokal versorgen können. Somit ist auch bei einem Ausfall eines Werkes die Versorgung weiterhin sichergestellt", erklärt Tobias Wieser, strategischer Einkäufer bei Greiner Bio-One.

Beim Transferzentrenhersteller Anger Machining ist der Betrieb beträchtlich eingeschränkt. Projekte in europäischen und amerikanischen Kundenwerken wurden gestoppt, „auch einzelne Projekte in Traun sind betroffen, „weil die Lieferkette unterbrochen ist“, berichtet Dietmar Bahn, Leiter des Business Developments in der Trauner Unternehmenstochter des taiwanesischen Maschinenbaukonzerns Tongtai. Die Kurzarbeit wird auch hier kommen. Doch Aufträge sind nach wie vor im Haus. „Die Fertigung einzelner Maschinen schreite voran, die Serienfertigung von Komponenten für Batteriewannen für den Volkswagen-Konzern sei im Dreischichtbetrieb „weiterhin in vollem Gang“, sagt Bahn. Weiters liefen im Frühjahr 2021 Elektromobilitätsprogramme von Premiumherstellern zur Serienfertigung an. Die Anlagen dazu würden jetzt bestellt. „Als Anbieter von schlüsselfertigen Lösungen und viel Erfahrung mit Batteriewannen und Profilen sowie Strukturbauteilen sei man hier „gut positioniert“, sagt Bahn - zumindest ein Stück weit Normalität also.

Der Herstellers von Roboterkomponenten, Ferrobotics, sei voll lieferfähig, wie Geschäftsführer Ronald Naderer betont. 90 Prozent der Lieferanten seien im Umkreis von 25 Kilometern angesiedelt. „Die Bestände für die nächsten Wochen sind ausreichend“, so Naderer. Er erlebt weniger einen Versorgungsengpass als einen Nachfrageeinbruch in China – und voraussichtlich auch Deutschland. „Wir haben ausreichend Bestände, allerdings sind die Kunden im Augenblick eher abwartend“, sagt Naderer. Aufgrund langer Projektzeiten seien Anlagenbauer längerfristig ausgelastet. „Unsere Auftragsbücher sind zwar gefüllt und unsere Liquidität ist gut aufgestellt, daher können wir gut durchtauchen.

Günter Eichhübl, Geschäftsführer von Traktionssysteme Austria, zweifelt eher daran, ob Corona etwa an der grundsätzlichen Beschaffungsgeografie ändern werde. „Eine Rückverlagerung einst gegen Ost outgesourcter Beschaffungen schließe ich im großen Stil aus. Dazu ist die Arbeitsteilung weltweit zu sehr fortgeschritten und die Stückkostendifferenzen sind noch zu groß, als dass sich da was ändern würde.“ Auch der gefürchtete Corona-Einbruch der Beschaffung aus China habe nicht stattgefunden. „Immerhin kaufen wir zehn Prozent unseres Beschaffungsvolumens in China zu und bis auf ein paar wenige Produkte kommt das Bestellte pünktlich an. Der zeitlich eingepreiste Transportweg per Schiff wurde auf die Schiene - Stichwort neue Seidenstraße - verlagert. Das hat den Corona bedingten Stillstand unserer Lieferanten in China fast gänzlich ausgeglichen.“

Start-up entwickelte Coronavirus-Disruption-Map

Ein österreichisches Start-up tut sich in Sachen Supply Chain und Coronavirus hervor: Prewave hat bereits Ende Januar auf die Ausbreitung des Coronavirus in China reagiert und eine Coronavirus-Disruption-Map entwickelt, die einen Echtzeit-Einblick in die Auswirkungen des Coronavirus auf die globalen Lieferketten gibt. Diese KI-generierte Karte zeigt an, welche Produktionsstätten und Zulieferer weltweit momentan noch aktiv oder bereits geschlossen sind. Auch von der Schließung gefährdete Standorte werden eingezeichnet.

Die Technologie basiert auf fünfjähriger Forschung an der TU Wien. Durch Machine-Learning-Technologie analysiert Prewave Daten aus sozialen Medien und Nachrichtenmedien, um Vorhersagen über Risiken in der Lieferkette von Unternehmen zu treffen. Dabei durchsucht die künstliche Intelligenz von Prewave sämtliche öffentlich verfügbare Medienkanäle weltweit nach Hinweisen auf über 60 verschiedene Risikokategorien. Das beinhaltet u.a. Naturkatastrophen, politische Unruhen, Blockaden, Arbeiterstreiks, oder unternehmensstrategische Änderungen wie Fusionen.

Als Anfang des Jahres China immer mehr vom Coronavirus betroffen war, erweiterte Prewave seine Technologie um die Risikokategorie “Coronavirus-Risiken”. Dabei überwacht Prewave nicht nur direkte Auswirkungen des Coronavirus, wie Infektionen bei Mitarbeitern, sondern auch sekundäre Risikofaktoren wie Standortschließungen, Kurzarbeit und Insolvenz. So soll auch die Wiedereröffnung und Inbetriebnahme von Produktionsstätten prognostiziert werden, um bei Unternehmen für etwas mehr Planungssicherheit zu sorgen.