Cloud Computing : Siemens, Microsoft, SAP: Warum Cloud-Plattformen zum Gamechanger im digitalen Industriegeschäft werden

Wer das Stereotyp suchte, wurde herb enttäuscht. Oder wahrscheinlicher: Stand ohnehin nicht auf der Teilnehmerliste. Über 100 Personen – darunter Digital-Epheben und andere Technikfreaks – traten beim Digitalisie- rungs-Hackathon des Kranherstellers Palfinger Mitte März an. Gesucht: Neue zündende Geschäftsmodelle und ihre Technologien dahinter. Der Austragungsort: die Wiener Microsoft-Zentrale am Euro Platz 3 in Wien-Meidling.

„Es ging um die Originalität von Ideen“, erinnert sich ein Teilnehmer. Und auch darum, das Feld für künftige Projekte mit dem Salzburger Vorzeigebetrieb zu bereiten, wie aus der Microsoft-Organisation zu hören ist. Software-Player stehen unter Zugzwang: Nach Millioneninvestitionen in die Cloud-Technologie ist der Erwartungsdruck hoch, sich einen maßgeblichen Teil des Plattformgeschäfts zu holen. Ein zentraler Vektor ist da das Netzwerken. „In kleiner Runde verspricht man sich größere Erfolgsaussichten für vertragliche Abschlüsse“, beobachtet ein Branchen- kenner.

Radikale Öffnung

Der Korridor, in dem sich Schnittmengen für eine Zusammenarbeit von Industrie und Softwareherstellern bilden: Er wird größer. Dafür spricht schon die schiere Quantität an App-Anbietern, die sich neuerdings auf Plattformen tummeln. Mit Partnerunternehmen wie Atos, Microsoft und SAP stellte etwa der Elektronikkonzern Siemens unlängst 50 Apps vor, die im offenen Internet-of-Things-Betriebssystem (MindSphere) angeboten werden. Noch heuer soll der Wurf der Deutschen auch in Microsofts Cloud-Ökosystem (Azure) unterstützt werden. Auch andere Plattformanbieter öffnen sich radikal.

Die Folge sind teils erhebliche Marktunsicherheiten. „Die Dynamik im Markt ist riesig. Welcher Plattformanbieter morgen das Industriegeschäft dominiert, kann heute keiner prognostizieren“, sagt ein Produktionsprofi. Dazu kommt: Die großen Player im Cloud-Plattform-Geschäft kämpfen noch längst nicht mit den Mühen der Ebene, sondern noch mit jenen des Gebirges. Sie stecken großteils selber inmitten der Transformation.

Die Automatisierer: Heute Hersteller, morgen Betreiber

Mit dem Einstieg ins Plattformgeschäft müssen sich die Industriesparten großer Elektronikhersteller neu erfinden.

Antizipierte Marktanteile mit dem Digitalgeschäft, Umsatz- und Gewinnerwartungen: Zu all dem

hüllt sich Ralf-Michael Wagner lieber in Schweigen. Dass den deutschen Industrieelektronikhersteller Siemens, bei dem Wagner COO der Sparte Data Services ist, aber durchaus die Vorstellung einer Marktführerschaft bei digitalen Services beflügelt, darf angenommen werden. Sich strategisch auf ein schönes Stück vom Kuchen zuzuorientieren, kann kein Fehler sein, eine Marktbereinigung im Plattformgeschäft scheint unausweichbar: „Wir glauben, dass im industriellen Internet-of-Things-Umfeld letztlich eine überschaubare Anzahl Betriebssysteme überleben wird“, sagt Wagner. Eine Analogie zu den dahingerafften Anbietern ehemals florierender Handy- oder Laptopmärkte – sie scheint nicht aus der Luft gegriffen.

Entsprechend ernst nehmen die Deutschen das Plattformgeschäft. Schon 2012, als Siemens das Service- geschäft des Industriebereichs neu ausrichtete, wurden die Weichen gestellt: Zu den Break/Fix-Serviceleistungen und dem Ersatzteilgeschäft sollte sich ein weiterer Markt, der für datengetriebene Services auf Basis einer starken installierten Basis, dazugesellen. „Cloud first“ - das war das Motto dieser Zeit, das zusammenschweißte.

Heute sind die Deutschen dem Durchbruch neuer Servicedienstleistungen näher als so mancher andere Industrie-Player: Mit einem cloud- basierten, offenen Internet-Of-Things- Betriebssystem (MindSphere) sehen sich die Deutschen gut aufgestellt, erste Effekte, wie das die Arbeit der Industrieunternehmen verändert, werde man „in drei bis fünf Jahren“ sehen, ist Wagner überzeugt.

Im Oktober geht ein App-Store live, für Apps von Drittanbietern gibt Siemens den Mittler, abgerechnet wird in Speicher und Datenverkehr. Wettbewerb und Kooperationen scheut man nicht, wie ein Case auf der Hannover Messe zeigte: Software zur Fernüberwachung von Mittelspannungsmotoren ist in MindSphere schon aus dem Haus Siemens sowie eines Drittanbieters und Partners (Bluvision) verfügbar. „Unsere Apps müssen sich beweisen“, sagt Wagner.

Die Plattformanbieter: Traffic als höchstes Gut

Lizenzen waren gestern: Neue Abrechnungsmodelle für die Nut- zung von Software sind am Vormarsch.

Digital Natives finden hier wohl ihre Mitte: In der Wiener Microsoft-Zentrale weht der Geist des Gründers. Aber auch „production guys“ sind hier willkommen: Ein Showroom für Fertigungsspezialisten, gerade erst im Aufbau, soll auch sein Geschäft einfacher machen: Robert Rosellen, seit dem Vorjahr für den Bereich Enterprise & Partner zuständig, muss sich bewähren.

Mitbewerber aus dem Cloud-Plattform-Geschäft, hungrige Startups, mit Software- und IT- Budgets sehr achtsam haushaltende Mttelständler: Um einen alten Microsoft-Slogan („We ́re all in“ - nämlich in der Cloud) auch für die Industriekundschaft Gültigkeit erlangen zu lassen, fährt Rosellen einiges auf: Eine Vielzahl an auf die Industrie zugeschnittene Services etwa. Was maschinelles Lernen betrifft, sehen sich die Amerikaner in einer Spitzenposition und sogar so manchem großen Unternehmen in der Industrie überlegen.

Mit einem vorausschauenden Wartungsservice hatte der Softwarehersteller bereits früh beim Aufzughersteller Thyssenkrupp den Fuß in der Tür, kürzlich legte er mit dem Einsatz von Datenbrillen (HoloLens) im selben Unternehmen nach. Auch in Österreich ist man mit dem Digitalgeschäft - in der Fertigungsindustrie läuft dieses traditionell noch gesetzter - auf Wachstumskurs: „Abschlüsse mit namhaften Playern in der Industrie sind in der Pipeline“, heißt es in der Microsoft-Zentrale. Die Schrittfrequenz habe sich erhöht: Gab es früher vier, fünf Release-Zyklen pro Jahr, gelangen jetzt wöchentliche Updates in die Systeme. Viel Zeit, um seinen Vertriebsmitarbeitern diese einzulernen, bleibt Robert Rosellen also nicht.

Die Integratoren: Chancenreich in der Nische

Der Vormarsch von Cloud-Dienstleistungen setzt Integratoren zu. Erste ändern radikal ihr Geschäftsmodell.

Es ist eine Frage, die das Managementboard eines großen IT-Dienstleisters schon länger intensiv beschäftigt: Wie real ist die Gefahr, als System- und Softwareintegrator bald nur mehr Requisiteur eines längst veralteten Stücks zu sein? Oder anders: Wie passt ein Integrator in die neue digitale Welt, in der Software- und Industrieriesen wie Microsoft, Big blue oder Bosch längst sehr direkt den Weg zum Kunden suchen?

Die Marktsignale dazu sind zweideutig. Als „große Gefahr“, im neuen Gefüge auf der Strecke zu bleiben, bewertet ein Manager eines Dienstleisters die Verschiebung der Marktgewichte zu den großen Plattformanbietern. Für ihn ein logischer Schluss: Noch deutlicher Nischen zu belegen, die künftig ertragreich bewirtschaftet werden können - etwa jene der Ressurcenplanungstools (ERP) oder digitaler Beratungsdienstleistungen. Andere sehen Cloud-Plattformen offensiv positiv.

Der IT-Dienstleister Atos bietet auf der Siemens-Plattform (MindSphere) Apps zur Maschinendatenerfassung an und spricht auch gern darüber. „Im Laufe des Jahres wollen wir noch mehr Apps bereitstellen“, heißt es beim 100.000-Mitarbeiter-Konzern.