Automotive-Konjunktur : Sichtfahrt

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Die Stadt wird wohl kein Touristenmagnet mehr. Rund eine Autostunde vor Sao Paulo gelegen, bietet Indaiatuba einen hübschen Park, ein Wasser- und ein Eisenbahnmuseum sowie ein Dörfchen im – nun ja – „Schweizer Stil“. Weitaus spannender: In der Stadt mit der Einwohnerzahl von Graz produzieren Riesen wie GM, Toyota und Honda. Und seit Sommer auch die oberösterreichische Miba. Die Laakirchener übernahmen im Juni die restlichen 60 Prozent an einem brasilianischen Sinterhersteller, der nun unter Miba Sinter Brasil firmiert. 340 Mitarbeiter erwirtschaften hier Jahresumsätze um die 30 Millionen Euro. „Globale Präsenz“, sagt Miba-Chef Franz-Peter Mitterbauer, sei „unumgänglich, um in den globalen Programmen wirklich mitspielen zu können“.

Der Vorgang passt ins Bild. Österreichs Automotive- und Zulieferbetriebe haben ein weiteres gutes Jahr hinter sich und Investieren wieder mit breiter Brust in Anlagen und Mitarbeiter. Und noch besser als das Vorjahr soll das laufende Geschäftsjahr werden: Laut einer aktuellen PwC-Studie rechnet die Hälfte der Firmen 2017 mit Umsatzsteigerungen zwischen fünf und zehn Prozent. Während die Automotive-Branche ihrem Ruf als Herzstück der heimischen Industrie also gerecht wird, bleiben Zweifel an der Nachhaltigkeit der Entwicklung.

Alle Indikatoren im Plus

„Wir haben unsere gute Ausgangslage verspielt. Wir schenken Potenzial her.“ Geht es nach Herwig Schneider, Geschäftsführer des Industriewissenschaftlichen Instituts in Wien, müsste Österreich als Automotive-Standort zwischen dem dritten und dem fünften Platz in Europa liegen. Tatsächlich sieht er den Standort gerade noch im Mittelfeld, „und dass wir in den vergangenen Jahren nicht noch weiter zurückgefallen sind, ist zu begrüßen – es wäre allerdings auch eine Kunst gewesen.“

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Aus der Branche selbst tönt es derzeit anders – und auch Herwig Schneider räumt ein, dass die Wirtschaftsforscher vor allem auch hinsichtlich der Haltbarkeit des konjunkturellen Aufwindes skeptischer sind als die Unternehmen selbst. Im „Konjunkturtest Automotive Zulieferindustrie“ weisen jedenfalls sämtliche Indikatoren nach oben. Die vom WIFO durchgeführte Befragung zeigt in ihrer jüngsten Ausgabe, dass die Produktion zuletzt deutlich anzog – dass vor allem aber auch Zuwächse für die kommenden Monate erwartet werden. Und das Bild wiederholt sich. Auftragsbestände, Auslandsaufträge, erwartete Personalaufstockungen, Prognose der eigenen Geschäftslage: Die Charts des Konjunkturtests wirken beinahe euphorisch.

Daumenschrauben

Der grundlegende Optimismus spiegelt sich auch in den Ergebnissen der von PwC erstmals durchgeführten Automotive-Studie unter 60 Unternehmen. Die Berater fragten allerdings auch nach den potenziellen Risiken für diesen Aufschwung – und erhielten interessante Antworten. Ein möglicher konjunktureller Knick wird erwartungsgemäß an erster Stelle genannt, doch knapp dahinter folgt die Angst, die OEM könnten die Daumenschrauben noch heftiger anziehen. Die Zulieferer befürchten hier vor allem weitere Preisreduktionen auf laufende Serien, weiteren Zwang zur Offenlegung von Kosten- und Preiskalkulationen, sinkende Vergütungen für Entwicklungsleistungen sowie Vorrabatte bei neuen Aufträgen.

Der Mangel an Fachkräften bereitet den Unternehmen ebenfalls Sorge. Signifikantes Detail: Derzeit nennen die Firmen Leihagenturen als erste Quelle für neue Arbeitskräfte, erst an zweiter Stelle Schulen und Universitäten. „Man muss sich wirklich klarmachen, dass der eigentliche Wettbewerb in der Industrie auf der Ebene der Facharbeiter stattfindet“, sagt Herwig Schneider. Das Duale System, mittlerweile bereits Exportartikel, helfe, „aber wir orientieren uns zu stark an Rankings, die die Akademikerquote bewerten.“ Besonders beunruhigend: Selbst im Industriekernland Oberösterreich herrscht Facharbeitermangel – „ein wirklich bedenklicher Indikator“. Laut der PwC-Studie sehen fast 60 Prozent der Unternehmen die Gefahr, durch den Fachkräftemangel könnten neue Aufträge gefährdet sein. Mögliche Konsequenz? Neben der Wachstumsbremse im Inland vor allem: der Aufbau neuer Werke im Ausland.

„Handlungsspielraum ausgereizt“

Für den internationalen Standortvergleich sorgt wie in jedem Jahr das World Economic Forum, das 26 Länder anhand von 31 Indikatoren bewertet. Dass Österreich nach jahrelangem Abstieg zuletzt stabil blieb, verdankt sich ausgerechnet zwei verbesserten Indikatoren, auf welche die Unternehmen selbst Einfluss haben: Korruption und Innovationskraft. Für kontinuierlichen Rückfall im Ranking sorgen hingegen in erster Linie mangelnde Flexibilität bei der Lohn- und Gehaltsfestsetzung, die Hürden bei Unternehmensgründungen sowie die Steuerlast. Dietmar Schäfer, der Vorsitzende der ARGE Automotive Zulieferindustrie (und im Brotberuf Chef der iSi Automotive) klingt denn auch wenig euphorisch: Die Tatenlosigkeit der Politik führe zu einem „langsamen und stetigen Abdriften“. Die Unternehmen selbst, sagt Schäfer, hätten ihren Handlungsspielraum jedenfalls ausgereizt.

Und das könnte angesichts Industrie 4.0 noch gefährlicher werden. Die Unternehmen selbst, das ergibt die PwC-Studie, nehmen das Thema ernst. Über 40 Prozent geben an, Lösungen oder Komponenten für Industrie 4.0 seien bereits Teil ihrer Aktivitäten. Knapp die Hälfte arbeitet daran, und nur zwei Prozent interessiert das Thema überhaupt nicht. Angesichts der marginalen Bedeutung, die dem Thema etwa im laufenden Wahlkampf eingeräumt wird, darf man jedoch daran zweifeln, dass Österreich demnächst überraschend zum Industrie-4.0-Vorzeigestandort wird.

Dass Österreichs Automotive-Branche den Handlungsspielraum so weit ausreizen kann, hat nicht zuletzt mit ihrer Diversität zu tun. Rund zwei Drittel der Unternehmen, sagt Dietmar Schäfer, ist auch in anderen Sektoren tätig. Eine Vernetzung, die auch die enormen volkswirtschaftlichen Effekte der Branche erklärt. Die wiederum auffallend zurückhaltend ist beim Verkaufen ihrer eigenen Bedeutung. Herwig Schneider erklärt das mit einer generellen „Wirtschafts- und Industriefeindlichkeit“ im Land. „Ich bin immer wieder empört darüber, welches Image Unternehmer bei vielen Menschen haben. Ich kenne viele Unternehmer, und ich habe nicht den Eindruck, dass die sich die Taschen vollstopfen. Ich sehe vielmehr sehr hohe soziale Kompetenz und Verantwortung. Wie wenig das die meisten Unternehmen verkaufen, ist allerdings phänomenal."