Antriebstechnik : SEW-Eurodrive-Technikchef Johann Soder über Europas technologischen Führungsanspruch: "Jetzt pilgern die Japaner zu uns"

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INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Soder, Sie leiten weltweit zwölf Hocheffizienzproduktionen, Ihre betrieblichen Prozesse sind schlanker als die der Mitbewerber. Eigentlich könnten Sie sich entspannt zurücklehnen und schauen, was die Konkurrenz so treibt. Stattdessen experimentieren Sie mit Logistik-Kapseln und neuartigen Montagesystemen und treiben die intelligente Verzahnung der Wertschöpfungskette. Ist das Ihre Interpretation von wettbewerblichem Denken?

Soder: Innezuhalten ist kein Thema. In dem Moment, in dem sich ein Unternehmen zurücklehnt und glaubt, drei, vier Jahre gut über die Runden zu kommen, ist es auf der Verliererstraße. Und dann braucht es viel Kraft, diesen Rückstand aufzuholen.

Von wo droht Gefahr? Asien?

Soder: In der Antriebstechnik entstehen weltweit tagtäglich neue Wettbewerber, die uns im Komponentengeschäft bedrängen.

SEW zog deshalb frühzeitig das Systemgeschäft hoch. Und jetzt sind Sie sogar missionarisch unterwegs - mit Beratungsdienstleistungen zur Fabriktransformation.

Soder: Wir erarbeiten mit Unternehmen gemeinsame Visionen, wie sich Kleinserien zu Bedingungen der Massenproduktion herstellen lassen. Das heißt, wir müssen weg von starren Techniken hin zu mobilen, leicht veränderbaren Systemen. Bei Audi sind bereits SEW-Fahrzeuge unterwegs, die flexibel und punktgenau die logistische Andienung machen. Und aktuell laufen mit mehreren Firmen Gespräche, bei einer Handvoll ist man bei der Visionsplanung.

Welche Effizienzsteigerungen sind realistisch?

Soder: Wenn ich sage, Unternehmen können ihre heutigen Logistikaufwendungen halbieren, ist das sicher nicht zu hoch gegriffen. Wir zeigen den Unternehmen, dass ein großes Stück Wettbewerbsfähigkeit gewonnen werden kann, wenn wir die Wertschöpfungskette intelligent verzahnen. Unlängst haben uns 36 Manager aus Japan im Werk Graben-Neudorf besucht, um die Fabrik live zu sehen. In der großen Lean-Welle in den neunziger Jahren sind wir alle miteinander nach Japan gepilgert, jetzt ist es umgekehrt. Das ist doch schön, oder?

Sind die Lean-Philosophien aus den Neunzigern in Zeiten der Vernetzung überhaupt noch zeitgemäß?

Soder: Wir erreichen mit Lean-Konzepten nicht mehr denselben Quantensprung wie noch vor zwei, drei Jahrzehnten. Damals haben wir nach den 5S-Prinzipien aufgeräumt, optimiert, fließenende Prozesse und Kanban eingeführt. Jetzt ist es an der Zeit, einen neuen Weg zu gehen: Kombiniert mit neuer unterstützender intelligenter Technik bringen die Konzepte der schlanken Fertigung den nächsten Produktivitätsschub.

Mittels "kreativer Zerstörung" krempeln Sie Prozesse im Unternehmen um - das klingt nach einem Belastungstest für Mitarbeiter.

Soder: Wir alle arbeiten am Unternehmen, um Wohlstand für unsere Familien zu sichern. Das sage ich auch meinen Mitarbeitern: Es ist ein permanenter Prozess, der begeisternd und motivierend sein soll. Die Beteiligung der Mitarbeiter ist dabei entscheidend. Sie sind im Rahmen von Projekten aus dem Arbeitsprozess herausgelöst und haben die Möglichkeit, zu träumen. Interdisziplinäre Teams entwickeln neue Arbeitsprozesse - das motiviert.

Stichwort Schnittstellen: Glauben Sie eigentlich an ein versöhnliches Ende? Noch sind sich Unternehmen in den Standardisierungs-Zirkeln zur Vereinheitlichung der Protokolle ja noch nicht wirklich grün.

Soder: Das wird noch ein harter Kampf. Proprietäte Systeme werden uns wohl noch länger begleiten. Eine stärker standardisierte Fertigungswelt ist aber definitiv wünschenswert.