Produktion und Innovation : SEW-Eurodrive-Technikchef Johann Soder lässt seine Mitarbeiter träumen

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„Innezuhalten ist kein Thema“, sagt Johann Soder, Technikchef von SEW Eurodrive, denn in dem Moment, ein dem sich ein Unternehmen zurücklehnt und glaubt, drei, vier Jahre gut über die Runden zu kommen, ist es auf der Verliererstraße“. Und Johann Soder weiß, wovon er spricht: Jahrelang hatte er voll aufs „Lean“-Prinzip gesetzt und dies nahezu ausgereizt. Die Reduktion der Komplexität stand hinter allem, was Soder tat. Dann war plötzlich vom Internet of Things, von Industrie 4.0 die Rede. Das bedeutete für Soder maximale Automatisierung, was wiederum "definitiv nach deutlich erhöhter Komplexität" klang, sagt Soder.

Fehlerfreiheit durch "Lean Industry 4.0"

Kurz umgedacht, hat er den Lean-Ansatz als Basis genommen, und ihn mit den Grundsätzen von Industrie 4.0 kombiniert: "Lean Industry 4.0" war geboren. Damit schaffte er, wie er selbst sagt, einen "Quantensprung an Fehlerfreiheit". Dabei basierte sein kombinatorischer Ansatz von Lean und Industrie 4.0 von Beginn an auf dem Versprechen an sich selbst, "mir jeden Schritt in Richtung Automatisierung streng zu verbieten. Denn es geht ausschließlich um die Frage: Wie kann ich Technik gestalten, um die Menschen zu unterstützen, sie zu Beteiligten, zu Dirigenten der Wertschöpfung zu machen?"

Soder hat daraufhin "Logistik-Kapseln" entwickelt - und auch selbst zusammengebaut: Selbstfahrende, miteinander vernetzte, frei im Raum operierende Einheiten, die sich selbst ihren Weg zu den Fertigungsinseln bahnen. An Bord: die Ware und alle dazu verfügbaren Informationen. Diese mobile Montageassistenten unterstützen Mitarbeiter, statt sie zu ersetzen, und bringen enorme Fehlerfreiheit in die tägliche Arbeit. So wurde auch Ende letzten Jahres das SEW-Montagewerk in Wien zum "weltweit modernsten der Gruppe" umgebaut und automatisiert. Dabei sind alle Montagelinien für Motoren und Getriebe von der bisherigen Linienmontage auf die neue Inselmontage umgestellt worden, um die "Logistik-Kapseln" frei navigieren zu lassen. "Ich bin in unserem Unternehmen so etwas wie der kreative Zerstörer, der alle paar Jahre die Prozesse auseinandernimmt, um neue zu schaffen", sagt Soder.

Spielend neue Prozesse ausprobieren

Dabei kommt auch der Spaß nicht zu kurz, denn Soder hat auch das Prinzip der "Gamification" für sich entdeckt. Denn Ansätze aus der Gaming-Industrie sind nun auch in den Fabriken am Vormarsch. Bei SEW Eurodrive etwa spielen Fertigungsplaner, von Soder mit Vorliebe "Dirigenten der Wertschöpfung" genannt, alle drei Stunden ein Spiel: "Sie versuchen, Ressourcen in der Linie in jedem neuen Drei-Stunden-Abschnitt so zu planen, dass gute Ergebnisse noch einmal getoppt werden", sagt Soder. Das können personelle Umbesetzungen in der Linie - also ein Hinauf- oder Hinuntergehen mit der Kopfzahl - oder ein Umsteuern auf andere Fertigungseinheiten sein.

Der große Vorteil dabei: Die Resultate können quasi in Echtzeit analysiert werden - drei Stunden später geht das Spiel von neuem los. Bei der Demonstration auf der Hannover Messe wurden mit wenigen Klicks komplexe Befehlsketten - nämlich die optimale Belegung von Transportkisten im Warenausgang einer (fiktiven) Antriebsfertigung - von einem Mitarbeiter in Gang gesetzt. Industriemagazin-Autor Daniel Pohselt erinnerte dies "frappant ans launige Herumkommandieren von Einheiten in Strategiespielen à la Warcraft".

"Nun pilgern die Japaner zu uns"

Nun erarbeitet SEW Eurodrive auch mit anderen Unternehmen Visionen, wie sich Kleinserien zu Bedingungen der Massenproduktion herstellen lassen. Soder meint, dass Unternehmen ihre Logistikaufwendungen durch die intelligente Verzahnung der Wertschöpfungskette etwa halbieren könnten. "Unlängst haben uns 36 Manager aus Japan im Werk Graben-Neudorf besucht, um die Fabrik live zu sehen. In der großen Lean-Welle sind wir alle miteinander nach Japan gepilgert jetzt ist es umgekehrt", erzählt Soder.

Man könnte meinen, das regelmäßige Umkrempeln der Prozesse sei belastend für die Mitarbeiter. Soder antwortet darauf mit der Einbindung und Beteiligung der Mitarbeiter. "Es ist ein permanenter Prozess, der begeisternd und motivierend sein soll. Die Mitarbeiter sind im Rahmen von Projekten aus dem Arbeitsprozess herausgelöst und haben die Möglichkeit zu träumen. Das motiviert."