Wirtschaftspolitik : Sabine Herlitschka: Bei Firmenübernahmen in Europa nicht immer nur zuschauen

Die Vorstandsvorsitzende von Infineon Österreich, Sabine Herlitschka, plädiert für mehr europäisches strategisches Denken in der Industriepolitik und eine europäische Übernahmeprüfung. "Wir bräuchten eine Instanz, die Übernahmen strategisch prüft. Wenn es um wesentliche industriepolitische Themen geht, soll Europa nicht einfach zustimmen", so Herlitschka gegenüber dem "Kurier".

"Wir halten in Europa den Wettbewerb noch immer sehr hoch, aber in den USA und China wird das in dieser Form nicht mehr gemacht", mahnt die Managerin. Europa müsse aufpassen, nicht auf der Zuschauertribüne zu landen.

Technologien kommen aus Europa - aber das Geld machen Firmen in Übersee

Die EU habe zwar Mikroelektronik als systemrelevante Schlüsseltechnologie definiert, man müsse aber auch die Konsequenzen daraus ziehen. "Durch die Übernahme der niederländischen NXP durch Qualcomm gibt es in Europa nur noch zwei relevante Player in der globalen Halbleiter- Industrie - Infineon und STM." China setze extrem auf Übernahmen, die USA wollten wieder selber Kompetenzen aufbauen.

Die von Infineon angestrebte Übernahme des US-Chipherstellers Wolfspeed sei von den US-Behörden aus Gründen der nationalen Sicherheit verwehrt worden. Mehr dazu hier: USA blockieren Infineons großen Deal mit Wolfspeed >>

Hingegen habe die Übernahme der niederländischen NXP durch den US-Konzern Qualcomm oder des deutschen Paradeunternehmens Kuka durch Chinesen in Europa kaum zu strategischen Diskussionen geführt. "Wir haben in der EU keine Instanz, die auf die Einhaltung strategisch-wirtschaftlicher Interessen schaut", kritisiert Herlitschka.

Produktion auslagern, Forschung behalten: "Das ist naiv"

Die Managerin plädiert dafür, dass Europa stärker europäisch agieren sollte. "Wir müssen darauf achten, die Kompetenzen, die Innovation und die Wettbewerbskraft in Europa zu halten. Technologie und Innovation sind längst zu einem geopolitischen Faktor geworden. In der Wissensökonomie ist Innovation die neue Währung." Dazu brauche man auch qualitativ hochwertige Produktion in Europa.

"Es ist naiv zu glauben, nur die Produktion auszulagern und die Forschung zu behalten; mittelfristig wird die Forschung immer der Produktion folgen." Europa müsse stärker Wertschöpfungsketten-orientiert agieren. "Fairer Wettbewerb kann nicht heißen, dass wir ständig wichtige Kompetenzen verlieren", mahnt sie.

Die Digitalisierung sei eine Chance für Europa, hoch qualitative Jobs und Branchen zu stärken. "Bei der Digitalisierung geht es nicht mehr um die billigsten Hände, sondern um die besten Köpfe." Die Digitalisierung könne einen wesentlichen Beitrag zur Wertschöpfung in Europa schaffen.

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Die verweigerte Übernahme des US-Chipherstellers Wolfspeed könnte für Infineon Österreich eine Chance bedeuten: Der Standort Villach könnte das - ursprünglich für die USA geplante - globale Kompetenzzentrum für neue Halbleiter-Materialien bekommen. Dabei gehe es um die künftige Halbleiter-Produktion mit Materialien wie Galliumnitrid oder Siliziumcarbid, um noch höhere Schaltfrequenzen zu erreichen. "Das ist eine große Chance für den Standort Villach, an der wir aktuell intensiv arbeiten."

An die österreichische Bundesregierung richtet die Managerin den Appell, die wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die sich die Regierung im Jänner vorgenommen hatte, auch einzuführen. "Das sind wichtige Einflussfaktoren für die Standortwahl, wir stehen schließlich im globalen Wettbewerb, da bemühen sich alle Regionen darum." Konkret geht es etwa um den Beschäftigungsbonus oder flexiblere Arbeitszeiten.

Eckdaten zum Hersteller

Infineon mit Sitz in München ist mit mehr als 36.000 Mitarbeitern weltweit einer der führenden Entwickler von Hochleistungs-Chips. Sabine Herlitschka ist Vorstandsvorsitzende der Infineon Technologies Austria AG mit 3.600 Mitarbeitern an fünf Standorten, davon 3.044 am zentralen Forschungs- und Produktionsstandort in Villach in Kärnten. (apa/red)

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