Automatisierte Prozessoptimierung : RHI Magnesita: Wenn Daten zirkulieren

Zwei Techniker in Lagerhalle mit gemeinsamen Tablet
© RHI Magnesita

Seine Kinder, erzählt Gregor Lammer lachend, müssten sich seine Schwärmereien zuweilen immer noch anhören: Für die Archäologie, aber auch für die antiken Disziplinen Altgriechisch und Latein. Studien, die Lammer nach seiner Reifeprüfung an der Uni inskribieren wollte. Und die der heute 49-jährige dann in weiser Voraussicht durch eine technische Ausbildung mit unvergleichlich besseren Jobaussichten substituierte: Seine Masterarbeit auf dem Gebiet der Systemoptimierung auf Basis genetischer Algorithmen schrieb der ausgebildete Mechatroniker für den Luftfahrtkonzern EADS. Es folgten Jobs beim Chiphersteller ams und Magna. Seit nunmehr 2008 ist Lammer bei RHI Magnesita tätig.

Seine Leidenschaft für die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz erlosch nicht. 2014 nahm er einen ersten Anlauf, KI in die Vorhersagequalität bei der Bestimmung der Lebensdauer von Feuerfestmaterialien einzubeziehen. Er kontaktierte weltweit Unis, auch Reaktorforscher des MIT, doch ein Projekt blieb Möglichkeitsform, auch weil die finanzielle Einstiegshürde zu hoch schien. An der TU Graz wurde schließlich ein Professor gefunden, der mit zwei Studenten auf Vertragsbasis die Grundlagen erarbeitete. Bahnbrechende Grundlagen, muss man heute sagen. Denn die Lebensdauer von Feuerfestmaterialien punktgenau Wochen im voraus zu ermitteln, bringt der Feuerfestbranche und seinen Kunden beachtlichen Spielraum beim Effizienzgrad.

Und man könne als Anbieter von Feuerfestlösungen ganz nebenbei auch sich selbst "die Besuche bei Kunden um einiges angenehmer gestalten, wenn die Gefahr gebannt ist, dass unerwartet eine Stahlschmelze überkocht", spitzt Lammer zu.

2018 entstand Prototyp

Gebündelt hat RHI Magnesita die Aktivitäten und Produkte, die die Materiallebensdauer erhöht und die Latte bei Prozessstabilität und -sicherheit infolge besser abgestimmter Wartungszyklen bei überschaubaren Schulungsaufwand höher legt, in der Abteilung APO(Automatisierte Prozessopzimierung) & AI, der Lammer vorsteht. Sein Team sitzt verteilt auf der Welt: Data Scientists in Shanghai und Belo Horizonte in Brasilien, Lösungsarchitekten sowie operative Führung, aber auch Vertrieb und Marketing, in Wien.

"Die Hemmschwelle, Daten zu teilen, ist spürbar abgesenkt."
Gregor Lammer, Head of APO & AI, RHI Magnesita

- © RHI Magnesita

"Maßgeschneiderte Machine-Learning-Plattformen sind die Basis."
Hilda Kosorus, Head of Data Insights, Crayon

- © Crayon

2018 gelang mit einem Pilotprojekt bei Voest Alpine in Linz und einem ersten funktionsfähigen, wenngleich noch nicht cloudbasierten Prototypen beim brasilianischen Stahlhersteller Gerdau ein Bilderbuchstart. Mittlerweile ist die Technologie, bei der ein digitaler Zwilling der Feuerfestmaterialien das Kernstück bildet, in 17 Stahlwerken im Einsatz. Speziell die Pandemie habe die Hemmschwelle, Daten zu teilen und digitalen Tools zu vertrauen, "abgebaut", beobachtet Lammer.

Sichere Peer-to-Peer-Netze

Das gilt gleichermaßen für den Lösungsansatz des Startups Tributech, den RHI nutzt: Das Produkt der Linzer, DataSpace Kit getauft, ermöglicht den selektiven und nachvollziehbaren Austausch der Prozessdaten zwischen dem Kunden und RHI. Ein integrierter Trust Layer auf Blockchainbasis stellt sicher, dass den Daten vertraut werden kann. Und somit "die Basis für geschäftskritische Machine-Learning-Lösungen bietet", schildert Tributech-CEO Thomas Plank. Ist Tributech der Lieferant von Daten, Microsoft jener Softwarehersteller, der die Cloud-Plattform bereitstellt, entwickelt Crayon mit RHI Magnesita für Kunden unterschiedlichster Branchen "maßgeschneiderte, skalierbare Machine-Learning-Plattformen" schildert Hilda Kosorus, Head of Data Insights beim Wiener Machine-Learning-Spezialisten.

Mit den nun vorhandenen Methoden und Tools sei es möglich, selbst aus überschaubaren Datenmengen - 5.000 unverrauschte, vollständige Datensätze sind in der Industrie ein sehr guter Wert - für Kunden ein Modell "in wenigen Wochen zu trainieren", erzählt RHI Magnesita-Experte Gregor Lammer.

Weitere Branchen im Blick

Ein automatisiertes Vorschlagswesen für die Wartung von Hochtemperaturprozessen wie Stahl oder Zement könnte übrigens ebensogut auf die Branchen Glas- oder Kupferherstellung übertragen werden. Denkbar ist auch, Daten zur Steigerung der Produktgüte beim Kunden - etwa der Stahlqualität - partnerschaftlich im Netzwerk zirkulieren zu lassen. Übrigens auch ganz stark in Asien: Rund 60 Prozent der globalen Stahlproduktion finden mittlerweile in China statt. Lammer jedenfalls ist sicher, dass es noch viele weitere Geschäftsideen rund um APO geben wird: "Die kommen beim Blick auf die Daten von fast ganz alleine", sagt er.