OMV : Rainer Seeles Petersburg-Connection

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Großes Kino – darum soll es gehen: Das International Economic Forum in St. Petersburg ist die wichtigste Wirtschaftskonferenz Russlands. Für Kreml-Chef Putin bietet sie die Bühne, zahlreiche Staats- und Regierungschefs zu treffen. Und für Aleksej Miller, unumschränkter Lenker des Energieriesen Gazprom, ist der Event eine gern gewählte Plattform, um öffentlichkeitswirksam den Einfluss seines Unternehmens zu zeigen. In Russland ist Gazprom mit fast 470.000 Beschäftigten nach den Streitkräften der größte Arbeitgeber des Landes.

Als Wladimir Putin am Eröffnungstag die Bühne des Forums betritt und zur Eröffnungsrede des Internationalen Wirtschaftsforums anhebt, lauschen ihm neben Miller der indische Premier Narendra Modi, der moldawische Präsident Igor Dodon und der österreichische Bundeskanzler Christian Kern. Mit Kern sind auch Kammerpräsident Christoph Leitl und OMV-Chef Rainer Seele an die Ufer der Newa gereist. Die österreichische Delegation war dieses Jahr besonders bemüht, bei den russischen Gastgebern einen guten Eindruck zu hinterlassen.

Ziemlich gute Freunde

Für Rainer Seele ging es in St. Petersburg um viel: Lange Monate intensiver Verhandlungen über mehrere Beteiligungs- und Kooperationsprojekte sollten am Rande der Veranstaltung mit Gazprom zu einem positiven Ende gebracht werden. Der OMV-Manager saß gleich am ersten Veranstaltungstag im Diskussionspodium über „Global Gas Markets“: Neben Seele und Gazprom-Chef Miller fand sich auch noch Mario Mehren in der Runde ein, Chef der Wintershall Holding GmbH und unmittelbarer Nachfolger von Seele bei der BASF-Tochter. Eines wird deutlich sichtbar: Der vertraute Umgang von Rainer Seele mit Aleksej Miller zeugt von vielen persönlichen Verhandlungsrunden.

Kurs: Ost

Die Unterzeichnung der neuen Verträge zwischen Gazprom und der OMV fand einen Tag nach der Diskussionsrunde statt. Seele fügte mit seiner Unterschrift damit einen wichtigen Baustein in seine neue Upstream-Strategie ein: Die OMV will nicht nur im Gas-, sondern auch im Ölsektor enger mit den Russen kooperieren. Ein Abkommen wurde mit Gazprom Neft, der Öltochter von Gazprom, unterzeichnet. Dabei soll es vor allem um die Ölförderung im Iran gehen. Der Iran zählt neben Russland und Abu Dhabi zu den drei Zielmärkten der Seelschen Förderpläne. Aber auch in der Ölproduktion von Russland selbst will die OMV stärker Fuß fassen. So sei es ein „übergeordnetes Ziel“, stärker mit Gazprom Neft zusammenzuarbeiten. Dabei geht es vor allem um „Technologietransfer und den Zugang zu Lagerstätten.“ Weiters gibt es eine Kooperationsvereinbarung, um die Gasinfrastruktur in Österreich zu entwickeln: Der heimische Gas-Hub in Baumgarten soll zur Final-Destination ausgebaut werden, zum Endpunkt der Nord-Stream-2-Pipeline. Gazprom verlegt die Pipeline unter Umgehung von Polen und der Ukraine auf eigenen Namen, aber auf viele Rechnungen. Mit dabei: Die OMV, die Gazprom 900 Mio. Euro an Finanzierung zur Verfügung stellt. Im dritten Teil des Petersburger Memorandum of Understanding geht es um eine Zukunftstechnologie: Die OMV und Gazprom wollen künftig bei LNG-Anlagen am Schwarzen Meer kooperieren. Dabei handelt es sich um Anlaufinvestitionen, um mittelfristig moderne Donauschiffe mit Flüssiggas anstelle von Schweröl versorgen zu können.

Gazprom everywhere

Der starke OMV-Auftritt bei der Petersburger Veranstaltung leitet frisches Wasser auf die Mühlen der Seele-Kritiker. Seit Amtsantritt kämpft der Deutsche mit dem Vorwurf, die OMV zu stark in das Fahrwasser von Gazprom und der russischen Energiepolitik zu steuern. Spricht man den promovierten Chemiker auf seine Russlandstrategie an, wirkt der sonst ruhige Seele genervt: „Die Russlandgeschäfte haben in der öffentlichen Aufmerksamkeit eine dermaßen starke Position, die ihnen strategisch nicht zukommt.“ Sein Hauptargument: Nur 15 Prozent des eingesetzten OMV-Kapitals befänden sich künftig in Russland. Der überwiegende Rest der Geschäfte werde in den OECD-Ländern getätigt. Er sehe da „keine Erhöhung des Risikos“.

Die technokratische Argumentation kann Lästerer nicht beruhigen. Präsident Putin hat Erdgas immer wieder als politische Waffe eingesetzt, zuletzt bei der Besetzung der Krim und im Donbass-Konflikt. Die vorangegangenen jahrelangen Streitigkeiten mit der Ukraine unterstreichen das Misstrauen. Ab 2006 ist es mehrmals zu Drosselungen der Einspeisungen und zu Energieknappheit in osteuropäischen Großstädten gekommen. Dass die EU-Kommission ihre Mitglieder dazu aufgefordert hat, für eine größere Energieunabhängigkeit von Russland zu sorgen, ist dabei nur mehr ein i-Tüpfelchen in der Argumentationskette. Dabei hat Österreich in den letzten Jahren seine Erdgaslieferungen diversifiziert. Aktuell deckt Russland 47 Prozent des österreichischen Erdgasbedarfes. 2004 waren es noch 59 Prozent. Grund: Norwegische Importe sind stärker gestiegen als die russischen Lieferungen. Der Anteil des Norwegen-Gases stieg von 9 auf 18 Prozent.

Die nicht nachlassenden Diskussionen über die politischen Risiken ärgern den OMV-Chef. Bei der Panel-Diskussion in St. Petersburg meinte er auch, dass „manche Menschen in Brüssel denken, dass die bloße Diversifizierung der Quellen für Versorgungssicherheit sorgen wird.“ Doch diese Rechnung werde nicht aufgehen. Seele kritisierte ein „nationalistisches Interesse von Individuen“.

Die europäische Russlandskepsis widerspricht seinem Bauchgefühl: Seele macht seit 20 Jahren Geschäfte mit Gazprom – anfangs für Wintershall, heute für die OMV – und seine Unternehmen haben daran stets gut verdient. Seine Beziehungen zu Aleksej Miller und zur russischen Innenpolitik sind mehr als solide und Loyalität wird in schwierigen Zeiten wie heute an Newa und Moskwa höher zurückbezahlt als anderswo. Seele beurteilt die Russlandfrage ausschließlich als Manager. Und genau dies wird ihm vorgeworfen.

Aufbau eines Förderpolsters

Rainer Seele zieht seine Strategie unbeirrt durch. Im März wurde bekannt, dass die OMV von der Eon-Konzerntochter Uniper einen Teil des sibirischen Juschno-Russkoje-Feldes kauft. Kostenpunkt: 1,75 Mrd. Euro. Damit hievt der teilstaatliche Konzern seine Eigenproduktion um 100.000 Fass pro Tag nach oben. Das Juschno-Feld ist eines der größten Erdgasfelder Russlands. Das dort produzierte Erdgas sei die Schlüsselressource für die Pipeline Nord Stream, die russisches Gas direkt nach Deutschland und Österreich transportieren soll. Und es sei ohne große Investition sofort und billig zu fördern, so die OMV-Pressestelle. Das Closing des Geschäftes wird mit Ende 2017 erwartet.

Von diesem Deal nicht betroffen ist der im Dezember finalisierte Einstieg beim Gazprom-Feld Urengoi, das nach Investitionen von 900 Mio. Euro ab 2020 Energie liefern soll. Gehen die Pläne von Unternehmenschef Rainer Seele auf, wird das Juschno-Feld zusammen mit der Achimov-Formation des Urengoi-Feldes Produktionsreserven für über fünf Jahre haben, basierend auf dem Fördervolumen von 2016. Damit haben sich die Gasreserven der OMV verdoppelt. Für Seele wurde damit eines der großen strategischen Defizite des Unternehmens gelöst.

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Sparen ohne Kündigung

Bald nachdem der heute 57-Jährige den Chefsessel von Österreichs größtem Energiekonzern übernommen hatte, schlug er Alarm. Die Kosten seien zu hoch, die Liquidität ungenügend, der Aktienkurs unterirdisch: „Dass wir so stark restrukturieren müssen, war mir am Anfang meiner Tätigkeit nicht bewusst“, meinte Seele im Mai vorigen Jahres gegenüber dem INDUSTRIEMAGAZIN. Er rührte sehr schnell sehr kräftig um. Seele schasste den Personalchef, weil dieser einen Ausflug der Euro-Betriebsräte zum Oktoberfest spendierte – inklusive Shoppingtouren in Trachtengeschäften. Leitende Mitarbeiter, die durch aufwendige Spesenabrechnungen auffielen, wurden subtil, aber bestimmt in den Hintergrund gedrängt. Und es gab Blutauffrischung: In der zweiten Management-Ebene wurden im Bereich der Strategie, im Einkauf, bei Merger & Akquisition und im Investor-Relations-Bereich neue Gesichter geholt.

Fragt man Rainer Seele, welche seiner Maßnahmen er für die wesentlichste seiner OMV-Amtszeit halte, nennt er das Kostensenkungsprogramm: „Wir haben Investitionen stark gekürzt, die administrativen Kosten gesenkt und die Ausgaben in der Exploration verringert.“ Die positiven Ergebnisse aus 2016 und 2017 seien allein diesen Maßnahmen zu verdanken und haben nichts mit den Verkäufen von der türkischen Petrol Ofisi oder der Gas-Connect-Anteile zu tun. Die Ergebnisverbesserungen seien ohne personellen Aderlass umgesetzt worden: „Wir haben bei der Cash-Position der OMV eindeutig die Trendwende geschafft.“ Das fossile Fördergeschäft kennt dafür eine Maßzahl. Sie liegt derzeit bei 35: Das ist der Ölpreis pro Barrel Brent, ab dem die OMV positive Zahlen in der Exploration schreibt. Vor vier Jahren lag die Vergleichszahl bei 65 Dollar.

Ärgernisse

Wer den OMV-Chef reizen will, lässt den Namen Wintershall fallen. Projekt Urengoi – Wintershall ist schon dort. Projekt Juschno – Wintershall ist schon dort. Nord Stream 2 – Wintershall ist dabei. Die Beteiligungen der BASF-Tochter an den Erdgasfeldern wurden noch von Rainer Seele selbst eingefädelt. Zyniker konstatieren, Seele sei bei der OMV deswegen erfolgreich, weil er bei der OMV nur das mache, was er bei Wintershall schon ausprobiert habe. Seele selbst findet das nicht witzig, Zukunftspläne mit Wintershall kontert er kategorisch: „Das ist vollkommen spekulativ. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.“ In anderen Medien bezeichnet er das Thema einer Wintershall-Beteiligung sogar als „geschäftsschädigend“.

Rückenwind für Aktionäre

Die Zahlen sprechen bis heute für den neuen OMV-Kurs. Der Aktienwert verdoppelte sich praktisch von Juli 2015 – dem Zeitpunkt des Seele-Eintrittes – bis heute von 24 Euro auf 47 Euro. Das hat nicht nur, aber auch mit dem Management zu tun. Der Finanzminister konnte sich deswegen neben der Wertsteigerung seiner 31,5 Prozent OMV-Anteile über eine Dividende 2016 von 120 Millionen freuen. Diese Umstände waren hilfreich, Seeles Drei-Jahresvertrag vor wenigen Wochen vorzeitig bis 2020 zu verlängern – und dies, obwohl das Verhältnis zu Aufsichtsrats-Chef und Ex-Siemens-CEO Peter Löscher mehr als angespannt gilt. Bislang planiert der Erfolg die tiefsten Gräben. Weiteren Seele-Auftritten in St. Petersburg steht so nichts im Weg.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum OMV zu keiner "Gazprom-West" werden wird.

Herr Seele, in nahezu zwei Jahren im OMV-Job haben Sie etliche neue Großkooperationen mit der russischen Gazprom auf den Weg gebracht. Kritiker meinen, Sie bauen an einer „Gazprom-West“. Was sagen Sie zu den Einwänden, dass Sie das politische Risiko der OMV stark erhöht hätten?

Rainer Seele Man muss sich das Gesamt-Portfolio der OMV ansehen. Niedrigere Produktionskosten in Westsibirien sind ein wichtiger Aspekt der Strategie. Der zweite, drängendere Grund liegt in der Notwendigkeit, dass die OMV ihre Reserven ersetzen muss. In dem Punkt war die Bilanz der Vergangenheit nicht zufriedenstellend. Durch unsere geplanten Beteiligungen werden wir die Förderreserven der OMV fast verdoppeln.

Die Versorgungssicherheit der OMV und Österreichs wird noch stärker von Russland abhängen...

Seele Die Frage der Risikopositionen wird bei uns sehr intensiv diskutiert. Wir haben unsere Beteiligungen in der Türkei verkauft und durch eine neue Position in Russland ersetzt. Wir sehen dabei keine Erhöhung des Risikos. Wir stützen uns auf eine 50-jährige Geschäftsbeziehung, die wir als Grundlage für die Erweiterung unserer Projekte ansehen. Gazprom verfügt in Russland über eine äußerst starke Position.

Die OMV tauscht die türkische Position gegen eine verstärkte Geschäftsbeziehung mit dem russischen Partner ein – bedeutet dies nicht, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben?

Seele Von unserem Capital Employed (eingesetzten Kapital, Anm. d. Red) befinden sich künftig um die 15 Prozent in Russland. Da sind die neuen Förderbeteiligungen wie an der Achimov-Formation des Urengoi-Feldes und in Juschno-Russkoje bereits inkludiert. Im Umkehrschluss heißt dies, dass die OMV mindestens 80 Prozent der Geschäfte in OECD-Ländern betreibt. Bei diesen Verhältnissen kann ich davon ausgehen, dass die OMV durch die Russlandgeschäfte keine Risikoposition aufbaut, die das Unternehmen in Schieflage bringen könnten.

Der Abtausch der OMV-Anteile an der OMV Norge gegen nicht ganz 25 Prozent am Erdgasfeld Urengoi stößt in Norwegen auf Kritik. Wie beruhigen Sie die dortigen Geschäftspartner?

Seele Beim Tauschgeschäft zwischen OMV und Gazprom sind die wirtschaftlichen Parameter bereits definiert. Wir müssen uns jetzt noch über die Corporate Governance einigen: Welche Aufteilungen gibt es beim Management, wie sind die jeweiligen Organisationsstrukturen der OMV Norge und der westsibirischen Development Company. Wenn wir diese Fragen geklärt haben, werden wir auch den Genehmigungsprozess mit der norwegischen Regierung starten. Dazu wird es noch in diesem Jahr kommen. Ende 2018 sollte der Swap abgeschlossen sein.

Rechnen Sie bei den norwegischen Behörden nicht mit Schwierigkeiten? Schließlich bringt die OMV einen bislang nicht geladenen Gast an den Tisch.

Seele Wir werden beim Energieministerium in Oslo einen Antrag stellen, was seine Zeit dauern wird. Wir werden die gleichen Genehmigungen aber auch bei den Behörden in Russland einholen müssen. In Summe werden wir hier noch reichlich Geduld aufbringen müssen. Aber ich bin sehr zuversichtlich.

Wie sieht die Einigung bei den Inlandsverkaufspreisen aus, die für die Gaseinspeisung von Gazprom an die OMV bezahlt werden?

Seele Wir haben uns darüber verständigt. Aber wir werden uns über die Preise nicht äußern.

Ein weiterer wichtigerer Berührungspunkt zwischen OMV und Russland ist die Frage der Pipeline-Strategie. Die EU-Kommission hat die Devise ausgegeben, Europa von Gaslieferungen Russlands bei Förderung und Transport unabhängiger zu machen. Die OMV finanziert jetzt 900 Mio. Euro für das russische Pipeline-Projekt Nord Stream. Ist hier das OMV-Hemd näher als die EU-Jacke?

Seele Wir reagieren auf Gegebenheiten. Die Pläne zu South Stream und Nabucco existieren nicht mehr. Nur Nord Stream ist Realität. Dort stehen wir in Kooperation mit Gazprom für einen Teil der Finanzierung. Die Final Destination, also der Endpunkt des Nord-Stream-Projektes, soll zu großen Teilen Baumgarten sein. Das wird zu Investitionen, einer Erhöhung des Umschlages und der Liquidität im österreichischen Pipeline-Knotenpunkt führen. Das ist Fakt.

Zuletzt gab es Meldungen, dass South Stream wiederbelebt werden soll. Was ist da dran?

Seele Hier gilt offenbar: Totgesagte leben länger (lacht). Aber im Ernst: South Stream ist eine Pipeline-Linie, die im Schwarzen Meer verlaufen würde – mit Anlandepunkt in Bulgarien. Aber über Details müssen Sie die Gazprom fragen. Über ein Revival von South Stream haben wir nicht geredet.