IoT-Plattformen : Pimp my Platform - wo Autobauer und Zulieferer das Gold der Zukunft schürfen

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Die Dornbirner landeten auf der Shortlist der Gurtener. Ein Erfolg - doch wie intensiv die Zusammenarbeit des Vorarlberger Plattformherstellers Crate.io auch in Berlin und San Francisco domiziliert - mit dem Maschinenbauer Fill ausfallen wird, müssen die nächsten Monate zeigen. Zu verlockend seien jedenfalls die Möglichkeiten in der Cloud, um darauf zu verzichten, erzählt Alois Wiesinger, Leiter Technik bei Fill. Neue Services - neudeutsch Added Values - wolle man Kunden wie Benteler über das verteilte SQL-Datenbankverwaltungssystem CrateDB - integriert vom Wiener Systemhaus Craftworks - bieten. Daten - so erklärt Wiesinger - fließen dabei schon ab Sommer bei ausgewählten Kunden in zwei Richtungen. Zum einen von der Edge, der im Hoheitsgebiet der Kunden stehenden Maschinenebene, über ein sicheres Verbindungsmodul in die Cloud. "Nur jene Daten, die der Kunde freigibt, gelangen in unsere Cloud-Plattform", sagt Wiesinger.

Das könnten aufgezeichnete Motorströme in den jeweiligen NC-Programmen sein, die zur Überwachung oder Optimierung der Produktionsmaschine an den Maschinenbauer übermittelt werden sollen. "Und Garantieverlängerungen unsererseits zur Folge haben könnten", so der Fill-Mann. Über einen Remote-Zugriff Per Ringspeicher werden die Daten kontinuierlich gespeichert. Zugleich aber plant Fill, bereits ab Sommer aus seiner Cloud heraus für seine Standardbearbeitungsmaschinen des Typs Synchromill einen Datenkatalog bereitzustellen, aus dem der Automotive-Kunde Services wählen kann. Die Datenbasis dafür hat Fill in den vergangenen Monaten - unter anderem auch in dem EU-Projekt Boost 4.0 - geschaffen. Das macht sich bezahlt: "So weit wie die Gurtener ist aktuell kaum ein anderer Maschinenbauer", hört man in der Branche.

Pokergame

In der Tat haben die Gurtener - sie ließen ihre Softwareentwicklung all die Jahre kräftig wachsen - eine schlüssige Plattformstrategie gefunden. Die wird es für Zulieferer auch brauchen. Nicht erst seit VW-Boss Herbert Diess mit Amazon-Frontmann Jeff Bezos zum LinkedIn-Selfie (Botschaft: Wir gestalten Zukunft") antrat, ist klar, dass dem Plattformgeschäft die nächsten Jahrzehnte in der Autowelt gehören werden. 30 Prozent Produktivitätsplus etwa soll die Industriecloud von Amazon den VW-Produktionswerken in den nächsten Jahren bringen. Sie dürfte dann auch eine Funktion als Einkaufsplattform erfüllen.

Beim Endverbraucher - dem Fahrzeuglenker - wiederum sollen Softwarekonglomerate wie Microsofts Azure-Cloud weniger ein neues Betriebssystem, sondern Updates over the air, zielgruppentaugliche Dienstleistungen und Fahrzeugvernetzung bringen. Gebündelt in einer Plattformökonomie, wie es schon Internetplattformhändler im Gebrauchtwagenbereich, etwa Autoscout24.de, vorgemacht haben, sagt der Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer. Die Rechnung der großen Plattformanbieter wie Google, Microsoft und Amazon ist dabei bestrickend einfach. Zwar sind die Wachstumraten mit zweieinhalb Prozent in der Automobilwelt immer noch ganz ordentlich, in "IT terms lockt das aber keinen hinterm Ofen hervor", weiß der Automobilberater Engelbert Wimmer.

"Die Autoindustrie sei ein red ocean, der Verdrängungswettbewerb ist allgegenwärtig", sagt er. Im Querschnitt verdiene man etwa einen Euro pro gefahrener Stunde im Auto. Doch die Rechnung der großen Plattformanbieter wie Google, Microsoft und Amazon geht auf, sobald das Automobil nach Home und Work zur dritten Zone - einem autonom gefahrenen, vollvernetzten Kosmos wird. "Dann springt der pro Stunde gefahrene Umsatz in eine Größenordnung von acht bis zehn Euro", so Wimmer.

Ausnahme: Sichere Rechenleistung verrechnen die Plattformanbieter ihren Kunden bereits heute schon erfolgreich mit sattem Gewinn. Grund genug, für Automobilisten nachzudenken, "ob sich die Margen, die sich Betreiber eines Rechenzentrums einstecken, nicht selbst kassieren lassen", heißt es in der Branche.

Millionen Lines of Code. Und alle neu

Doch auch wenn eine riesige Produktroadmap - man denke an einen virtuellen Assistenten, der das private und berufliche Leben bis ins Auto vernetzt - bereits am Heranrollen ist und früher oder später "im Azure-Zentrum von Microsoft als Leistung verdichtet" (O-Ton Engelbert Wimmer) die Kassen klingeln lässt: Noch müssen sich die Unternehmen positionieren. "Statt jetzt mit Elektroautos zu spielen, wäre es für Telekomdienstleister besser, die Weichen für Logistik- und Mobilitätsdienstleistungen zu stellen", sagt der Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer. Unter Zugzwang sind auch die Fahrzeughersteller selbst. Sie müssen ihre bestehende Onboard-Elektronik im Auto überarbeiten, hunderte Millionen Lines of Codes neu schreiben.

Erst eine grundlegend neue Fahrzeugarchitektur wird die Segnungen neuer digitaler Dienste, etwa ein intelligentes Ansprechverhalten von Kameras in der Objekterkennung, aber auch ausreichend Bandbreite für vernünftiges Telefonieren, ins Auto bringen. "Alle arbeiten sie an einem solchen Zentralrechner", heißt es in der Branche. Aber auch die Plattformanbieter wie Amazon schärfen ihre Strategien. Amazon arbeite "mit extremer Logik daran, die Customization von Produkten bis tief in die Fabriken der OEMs hineinzuverlängern", sagt ein Branchenkenner.

Use Cases

Künftig könnte Amazon - mit noch mehr Live-Daten aus Produktionen ausgestattet - bis in den Kofferraum von Kundenautos liefern. Eine Einkaufsmacht ist der Konzern heute schon. Lerneffekte wird es aber geben müssen. Im Cloud-Bereich eine Macht, haben die Amazons und Googles im B2B-Umfeld noch ihre industrielle Kooperationsfähigkeit unter Beweis zu stellen. "Da werden diejenigen, die mit den aus der Consumer-Welt aufgebrochenen zusammenarbeiten, noch ganz schön stöhnen", meint ein Beobachter. Große Lieferanten von Sensorik und IoT-Devices wie etwa Bosch wappnen sich ebenfalls. Viele andere haben sich beim Kapitel Standardisierung und Vernetzung von der "theoretischen Rumblubberei zum Erzeugen von Use Cases" (ein Automobilexperte) aufgemacht. Bis ein IT-Standard durchgreift, braucht es drei bis fünf Jahre. In dieser Zeit wird viel Geld verbrannt.

Globales Spiel

Auch weil Mittelständler sich von kleinen Haus- und Hofberatern Sensoren installieren lassen, "die in proprietäre Clouds Daten schaufeln, ohne konkret brauchbaren Nutzen zu generieren", meint ein Berater. Das Match ist jedenfalls ein globales. Entsprechend gilt das Augenmerk den Regulierungsbemühungen nationaler Player. In China etwa dürften künftig Regulatorien der ICV (Intelligent Connected Vehicle) die Speicherung und Bereitstellung von Fahrzeuginformationen in der Cloud den Druck auf die Player erhöhen. "Das setzt eine Grundhygienefähigkeit, die sie als Automobilist künftig liefern können müssen, voraus", sagt E&Co-Geschäftsführer Engelbert Wimmer. In China brauche es künftig wesentlich mehr als den Verbau eines Modems oder eines Notrufsystems. "Es wird nicht ohne lokalen Provider gehen", sagt Wimmer.

Oder anders formuliert: Für Geschäfte in China, die über cloudbasierte Dienste laufen, die sowohl der ICV entsprechen und mehr sind als ein Feigenblatt, werden Autobauer eine eigene Cloud-Architektur liefern können müssen", sagt er. Szenarien in einem Multicloud-Ökosystem sind alles andere als abwegig. Letztlich geht es in der Welt der Plattformen "ohnehin nur um eins - um Scales", sagt Ferdinand Dudenhöffer, Direktor CAR-Center Automotive Research an der Universität Duisburg-Essen. E&Co-Chef Engelbert Wimmer sieht es ähnlich. "Dienstleister könnten die gefahrene Stunde, also die Mobilitätsleistung, eigentlich verschenken, solange nur ausreichend in den Fahrzeugen konsumiert wird", sagt er.