100-Tage-Bilanz : Palfinger-Chef Andreas Klauser: „Es wird ein neues Setup geben“

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Herr Klauser, vor wenigen Wochen ist Fiat-Chef Sergio Marchionne überraschend verstorben. Sie waren lange Jahre Chef der LKW- und Landmaschinenensparte von Fiat. Wie nahe waren Sie an dem legendären Fiat-CEO dran?

Andreas Klauser Ich habe seit 2006 regelmäßig mit ihm zusammengearbeitet. Die letzten Jahre verbrachten wir jeden Monat ganze Arbeitswochenenden miteinander.

Ein ganzes Wochendende pro Monat? Da wächst man schon zusammen…

Klauser Sergio Marchionne hat dies mit seinen Bereichs-Chefs immer so gehalten, ab und an waren wir dabei auch in Oberösterreich und ich erinnere mich gerne an seine fast kindliche Liebe für Marillenpalatschinken. Er hat oft bei der Mayrwirtin in St. Ulrich bei Steyr um 1:00 Uhr in der Früh nachgefragt, ob er noch eine Marillenpalatschinke von ihr bekommt. Es war mir eine große Ehre, als ich dieser Tage aus dem Fiat-Führungskreis gebeten wurde, einen offiziellen Nachruf auf Sergio Marchionne für den deutschen Sprachraum schreibe.

Wie beurteilen Sie Marchionnes Managementleistung?

Klauser Ich bin befangen: Aber aus meiner Sicht hat er Fiat gerettet.

Was hat Marchionne als Manager ausgemacht?

Klauser Marchionne war durchsetzungsstark und zielorientiert. Ich weiß: Das sagt man von jedem Manager, wenn er was taugt. Aber was mir gefallen hat, war, wie er die Stärken der einzelnen Nationalitäten im Konzern maximal eingesetzt hat. Das Design, das Engineering, das Styling kamen von den Italienern, die Robustheit und Praxisbezogenheit von den Amerikanern. Marchionne hat hier immer wieder nicht nur Synergien, sondern wirklich Best Practices genutzt. Wenn beim Alfa Giulia technische Probleme auftraten, dann ist einer der Quality-Verantwortlichen von Chrysler Detroit nach Süditalien geflogen und hat die Sache mit dem Rückenwind aus Turin geregelt. Und so hat der Turn around von Fiat begonnen.

Was war Ihr Beitrag?

Klauser (denkt nach): Meine Leistung war wohl, aus zwölf Marken wie Steyr, Case. New Holland, aber auch Iveco oder Magirus eine funktionierende Wirtschaftseinheit zu machen. Diese Aufgabe hat Marchionne keinem Italiener geben können und keinem Amerikaner. Da wären, gewollt oder ungewollt, einseitige Entscheidungen nicht ausgeschlossen gewesen – und auf alle Fälle unterstellt worden. Marchionne hat einen Neutralen für die Konsolidierung gebraucht. Und er hat gesehen, dass ich relativ rasch mit der Umsetzung von Lösungen bin. Irgendwann hat jede Diskussion ein Ende.

Sie sind seit Juni operativ bei Palfinger. Das Unternehmen kämpft derzeit mit dem Luxusproblem, dass die vollen Auftragsbücher Lieferzeiten von neun Monaten und mehr bereiten. Stammkunden reagieren darauf allerdings ziemlich nervös…

Klauser Es stimmt. Es gibt Zulieferprobleme. Unsere Partner kommen in Zeiten der Hochkonjunktur mit der Produktion und Auslieferung nicht nach.

Kann dem das Management nicht vorbauen. Gibt es keinen Plan B?

Klauser Ein Beispiel: Hydraulikkomponenten sind Gleichbauteile, die auch in Baumaschinen verwendet werden. Ein hydraulisches Steuergerät, das Palfinger verwendet, wird beispielsweise auch bei Caterpillar eingesetzt, das dreißigmal so groß ist. Der Zulieferer beliefert in Notzeiten seinen Hauptkunden eher als seinen Kleinkunden. Eine derartige Situation ist nicht vorhersehbar.

Das heißt, Sie und ihre Kunden müssen sich damit abfinden?

Klauser Wir intensivieren das Supplier Management. Der CEO spricht mit dem CEO, ein Vorstand spricht mit dem Vorstand. Wir verstärken unsere Kontakte. Man sucht das Gespräch mit den Kollegen, schaut, welche Zugang man wohin hat. Wir bauen jetzt an einer globalen Organisation, die alle Entscheidungsträger wieder näher an die Wirklichkeit in Verkauf und Produktion bringt.

Hat Palfinger denn Konsolidierungsbedarf?

Klauser Konsolidierung beschreibt auch die Art, wie Management in Zukunft gelebt wird. Da gibt es vieles zu bereden.

Womit müssen Ihre Manager rechnen?

Klauser Es wird ein neues Set-up geben. Dabei werden weder mehr noch weniger Leute eine Rolle spielen. Es werden nur die Spieler besser ins Spiel gebracht. Das ist eine Coaching-Frage: Sie haben eine Vielzahl von guten Fußballspielern. Aber leider sind derzeit Stürmer in der Verteidigungsposition eingesetzt und vice versa. Das gilt es zu ändern: Es werden Manager auf neue Positionen gestellt.

Konsolidierung kann allerdings auch als Sparen und als Synergien nutzen verstanden werden…

Klauser Gleichmacherei wäre für ein Unternehmen, das Premiumprodukte herstellt wie Palfinger, fatal. Wir dürfen und werden nicht die Individualität und den Fokus der einzelnen Geschäftsbereiche verlieren. Ein Premiumprodukt von Palfinger braucht Qualität, Innovation, Service, et cetera. Wenn ich in einem der Bereiche zu sparen beginnen, dann verliere ich Kompetenzkunden, Fokus und Kundennutzen. Bei Synergien muss ich immer darauf achten, dass ich durch die gemeinsamen Komponenten nicht die Individualität des Produktauftrittes verliere. Nur wenn Palfinger beim Kunden etwas Besonderes leistet, kann ich einen Premiumerlös erzielen.

Ihr ehemaliger Boss Sergio Marchionne war ziemlich bekannt dafür, dass er Manager entlassen hat, die seine Anordnungen hinterfragt haben. Ist er diesbezüglich ein Vorbild?

Klauser Das ist nicht meine Art. Aber auch ich will ein Team, das die neuen Ziele wirklich zu 100 Prozent umsetzt und Einsatz zeigt. Diese Spieler sind in der Mannschaft. Und alle, die vielleicht dran zweifeln oder eher nur Probleme sehen, die werden dann wahrscheinlich kein Teil mehr davon sind.

Wann werden Kunden wieder mit normalen Lieferzeiten rechnen können?

Klauser Wir werden 30 Prozent der Lieferengpässe durch die aktuellen Maßnahmen abfedern können. Von den verbleibenden 70 Prozent werden wir einen gewissen Prozentsatz bis zum ersten Quartal 2019 produzieren. Dann müsste eigentlich wieder Normalität eingekehrt sein.

Die Produkte von Palfinger hatten stets den Anspruch ‚ahead of the curve‘ zu sein. Ihr Vorgänger Ortner gilt als Vordenker der digitalen Produktion und Anwendung von Last- und Hebetechnik. Was kann der Kran der Zukunft?

Klauser Es wird mehrere Schritte und Werkzeuge brauchen, um der Automatisierung in vollem Umfang gerecht zu werden. Im Schritt eins wird der Kranführer den ersten Baumstamm noch selbst auf den Lkw heben. Unser Steuergerät speichert den Vorgang und lädt die nächsten 30 Stämme selbsttätig. Dabei sind wir nahe an der Serienreife. Schritt zwei bringt uns zum Thema Telemetrie. Unser Kran analysiert seine eigenen Systemwerte wie Öldruck oder Stundenanzahl und zeichnet sie auf. Und wenn irgendeinen kritischen Messung verzeichnet wird, dann informiert der Kran selbst den Händler.

Der selbständig agierende Kranroboter sind noch nicht in Reichweite?

Klauser Dafür fehlt noch das technische Missing Link. Wir gehen in Phase drei, in der Tätigkeiten noch weiter vereinfacht werden. Dabei ist aber immer noch der Mensch im Spiel. Ich rechne damit, dass wir diesen Schritt in spätestens ein bis zwei Jahren getan haben.

Wie schafft Palfinger die Kurve vom mechanischen Hydraulikspezialisten zum softwaregetriebenen Digitalkonzern?

Klauser Die Kompetenz am Produkt haben wir selbst. Alles, was mit Sensorik und IT zu tun hat, wollen wir aber mit Partnern lösen. Ich bin überzeugt, dass es in naher Zukunft zur Symbiose von Old und New Economy kommt. Sergio Marchionne hat es geschafft, das erste autonome Google- Auto auf die Basis eines Chrysler Pacifica zu stellen. Google hatte kein Interesse, sich mit Antrieb und Chassis eines Autos herumzuschlagen. Da hat Elon Musk ganz anders gedacht. Marchionne hat auch ihm eine Kooperation angeboten. Musk hat entschieden: "Das machen wir alles selber." Und wenn sie sich Tesla heute ansehen, sehen sie, was dabei rausgekommen ist.