Frank Brinken im Interview : „Ohne TTIP brechen Dämme“

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Das Klagelied heimischer Werkzeugmaschinenbauer wird lauter. Irgendwie scheint der europäische Markt nicht anzuspringen…

Frank Brinken: Das stimmt. Was wir derzeit in Europa sehen, sind hauptsächlich Ersatzinvestitionen. Wir müssen uns also auf Märkte ausrichten, die wachsen. Und das sind klar Indien, wo man sich von der reinen Dienstleistungsgesellschaft verabschiedet, und die USA. Ein durchschnittliches Produktionsmittel ist dort 20 Jahre alt. Die Goldgräberstimmung in den USA lockt seit einigen Jahren europäische Erzeuger an.

Jetzt bietet sich durch den schwachen Euro zusätzliches Exportpotenzial?

Brinken: Das ist richtig. Wichtiger als auf die temporären Währungsdifferenzen zu schielen wäre jedoch der Abbau von Handelshemmnissen.

Sie sprechen vom Freihandelsabkommen TTIP. Was brächte das Abkommen mittelständischen Maschinenbauern?

Brinken: Der Abbau von Zöllen und Zulassungsverfahren würde europäische Maschinenbauer um mehrere hundert Millionen Euro entlasten. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Sämtliche elektrische Kabel in den Maschinen müssen derzeit amerikanischen Standards der US-Zertifizierungsstelle Underwriters Laboratories entsprechen, obwohl wir in Europa nicht weniger strenge Sicherheitsauflagen zu befolgen haben. Der Mehraufwand beläuft sich auf fast 15 Prozent der Herstellungskosten. Solche Doppelgleisigkeiten ziehen sich durch die gesamte Lieferkette – und belasten vor allem kleinere Unternehmen überproportional.

Droht europäischen Anbietern durch ein Freihandelsabkommen mit den USA nicht auch mehr Konkurrenz? Der in Kalifornien produzierende US-Hersteller Haas Automation etwa attackiert mit Kampfpreisen auch die Märkte Europas.

Brinken: Wenn Haas durch TTIP noch einmal 2.000 Euro spart, ist das margenmäßig durchaus interessant für ihn. Und gut für den Kunden. Außerhalb des Billigstsektors droht aber keine Konkurrenz. In Amerika gibt es meilenweit keine WFL oder Emco.

Taiwan hat aufgrund seiner geopolitischen Lage eine präferierte Stellung am US-Markt. Das ist ein klarer Nachteil für europäische Hersteller. Wie verhält es sich mit Japan und Südkorea?

Brinken: Es gibt bereits seit 2011 ein Freihandelsabkommen der USA mit Südkorea. Den Vorteil wissen die koreanischen Mitbewerber am US-Markt zu nutzen. Parallel zu TTIP laufen derzeit Verhandlungen der USA über die transpazifische Partnerschaft TPP, in die auch Japan mit eingebunden ist.

Was passiert, wenn sich Ihre Hoffnung auf ein Inkrafttreten von TTIP 2016 nicht erfüllt – und TPP vorher in Kraft tritt?

Brinken: Der Währungsvorteil der Japaner ist augenscheinlich. Die Japaner setzen ihn aggressiv ein. Nicht um ihre dünnen Margen zu korrigieren, sondern um Marktanteile vor allem in den USA, aber auch in Europa dazuzugewinnen. Und klar ist: Bei 20 Prozent niedrigerem Einkaufspreis kommen Einkäufer schon ins Nachdenken. Sollten durch das Abkommen TPP auch noch die Handelshemmnisse der japanischen Mitbewerber in den USA wegfallen, könnten Dämme brechen.

Man sagt, die Japaner hätten die Schlacht um die USA längst gewonnen. Im Billigsegment sind sie unschlagbar. Kann Europa im Kampf im mittleren und oberen Preissegment mithalten?

Brinken: Dort, wo europäische Produzenten in den USA mittels „copy and paste“ Schwesterwerke errichten, die mit den gleichen Prozessen und Qualitätsstandards ausgestattet sind wie in der alten Welt, sind die Europäer noch leicht im Vorteil. Die kaufen auch in den USA europäische Maschinen. Aber auch die Japaner fahren aufgrund des tiefen Yen im Topsegment eine aggressive Wachstumsstrategie.

Warum boomt der Billigmarkt eigentlich in den USA so? In Europa besetzen asiatische Hersteller wie Doosan bestenfalls die Nische ...

Brinken: Viele US-Verarbeiter – mechanische Werkstätten oder kleine Komponentenfertiger – kaufen Billiggerät. Das ist nicht nur günstiger, sondern aufgrund geringerer Komplexität auch leichter zu bedienen. Denn ein Riesenproblem der Amerikaner ist die hohe Mitarbeiterfluktuation: Werden an einer Straßenecke zwei Dollar mehr geboten, wechselt man sofort den Job.

Frank Brinken, 66 ist Honorarprofessor an der TU Chemnitz und Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses des europäischen Werkzeugmaschinenverbands CECIMO in Brüssel. Der studierte Maschinenbauer wurde nach beruflichen Stationen in der Schweiz und in Amerika 2005 CEO der Schweizer Starrag Group Holding, Anfang des Jahres wechselte er in deren Verwaltungsrat.