Hintergrund : Ökonomen: Die Krise wird die Lieferketten dauerhaft verändern

Die Coronapandemie stürzt die Weltwirtschaft an den Rand des Abgrunds. "Wenn wir diese Krise überwinden, wird die Welt eine andere sein", prophezeit der Chef des weltgrößten Vermögensverwalters Blackrock, Larry Fink. Aber wie könnte die Welt nach der Krise aussehen? Die Nachrichtenagentur Reuters hat dazu drei deutsche Top-Ökonomen gefragt.

Sebastian Dullien

Wissenschaftlicher Direktor

IMK - Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung

"Wir werden eine grundsätzliche Veränderung bei den internationalen Wertschöpfungsketten sehen. Die Unternehmen werden sich weniger auf die Lieferung wichtiger Teile aus dem Ausland verlassen. Die Coronaepidemie ist nach der Finanzkrise, dem Brexit und dem Handelsstreit USA-China nun schon das vierte Großereignis, durch das die Unternehmen ihre Lieferketten überdenken werden. Es wird ein gewisses Zurückdrehen der Globalisierung geben.

Für die deutsche Wirtschaft sehe ich zwei gegenläufige Effekte. Wenn das nicht nur bei uns so passiert, sondern woanders auch, könnten wir als exportabhängiges Land unter Druck kommen. Zugleich bedeutet das aber auch neue Investitionen: Produktionsanlagen müssen dann schließlich neu aufgebaut werden. Davon wiederum könnte unser Maschinenbau deutlich profitieren. Es ist noch nicht klar, wohin das Pendel für die deutsche Wirtschaft ausschlagen wird, ob sie als Gewinner oder Verlierer dastehen wird.

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Es wird nach der Krise auch mehr Homeoffice geben. Es zeigt sich ja in der jetzigen Ausnahmesituation, dass es funktioniert. Das wird einen Schub für mobile Formate geben – auch in Bereichen, in denen das bisher nicht üblich war. Ich könnte mir auch vorstellen, dass wir auf absehbare Zeit weniger Großveranstaltungen haben werden – etwa Messen und Kongresse. Auch kann es zu Strukturverschiebungen kommen. Viele Unternehmen werden die Krise nicht überleben. Reisebüros etwa standen ohnehin schon unter Druck. Wir werden hier einen massiven Verlust von Anbietern sehen."

Jens Südekum

Professor für internationale Volkswirtschaftslehre

Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

"Meine größte Sorge ist, dass wegen Corona die Europäische Union implodiert. Der Schock hat ganz Europa unverschuldet getroffen. Aber nicht alle können so kraftvoll handeln, wie Deutschland es kann. Überhaupt halte ich es nicht für gut, dass jetzt alle Länder alleine für sich handeln. Wir brauchen eine gesamteuropäische Strategie mit gesamteuropäischer Finanzierung – zum Beispiel durch einmalige Coronabonds.

Viele andere Probleme können entstehen. Wenn Deutschland langsam wieder rauffährt, wird es dann eigentlich genug Nachfrage aus dem Ausland geben, woran wir existenziell hängen? Vielleicht stecken die USA dann nämlich noch mittendrin in der Krise. Außerdem kann nach Corona ein Wunsch entstehen, Re-Nationalisierung von Wertschöpfungsketten zu betreiben. Ein gefährliches Unterfangen, zumal für den so stolzen 'Exportweltmeister' Deutschland. Viele, viele Probleme.

Aber es gibt auch gute Nachrichten. Jetzt, wo wir alle täglich in Videokonferenzen hängen, merken wir, dass das auch geht und wir nicht permanent persönliche Meetings abhalten müssen. Vielleicht wird Corona also zum ultimativen Katalysator der Digitalisierung."

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Achim Wambach

Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung

"Meine große Sorge ist, dass die Krise die nationalistischen Tendenzen, die in vielen Ländern zu beobachten sind, noch verstärkt. Eigentlich ist die Lektion nämlich eine andere. Erstens eine globale Diversifizierung statt Rückkehr ins Regionale: Während in Europa die Produktion heruntergefahren wird, kann Asien jetzt wieder liefern, da sie früher als wir von dem Virus betroffen waren.

Zweitens ist es innerhalb Europas gut, wenn Patienten in Kliniken andere Länder gebracht werden und wenn der innereuropäische Warenverkehr hilft, Engpässe zu überwinden. Der Ausstieg aus den Teilschließungen benötigt auch eine europäische Antwort. Es wird schwer, wenn wir kontrolliert hochfahren wollen und in Frankreich die Wirtschaft lahm liegt – oder umgekehrt." (reuters/apa/red)