Stahlindustrie : Nach starkem Auftakt: Wachsende Zuversicht bei Thyssenkrupp

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© Peter Martens

Der kriselnde Industriekonzern Thyssenkrupp hat nach einem überraschend guten Jahresauftakt seine Prognose für das Geschäftsjahr 2020/21 erhöht. "Wir spüren Anzeichen einer wirtschaftlichen Erholung und unsere Maßnahmen tragen erste Früchte", erklärte Konzernchefin Martina Merz zum ersten Quartal, in dem Thyssenkrupp operativ schwarze Zahlen schrieb. "Noch sind wir aber nicht über den Berg."

So geht Thyssenkrupp von sich weiter erholenden Märkten und einer steigenden Nachfrage in den Werkstoffgeschäften sowie bei Komponenten für Pkw und Nutzfahrzeuge aus. Das bereinigte operative Ergebnis (Ebit) soll im bis Ende September laufenden Geschäftsjahr nahezu ausgeglichen ausfallen, teilte das Unternehmen in Essen mit. Nach einem Verlust auf Pro-forma-Basis von 1,8 Milliarden Euro im Vorjahr hatte Thyssenkrupp bisher einen Verlust im mittleren dreistelligen Millionen-Euro-Bereich angepeilt.

Gute Nachfrage, aber Risiken bleiben

Finanzchef Klaus Keysberg warnt jedoch vor zu viel Euphorie. "Wir sehen weiter eine gute Nachfrage", sagte er in einer Telefonkonferenz. Es gebe aber Risiken und die Sicht gehe nicht über zwei Monate hinaus. So könne noch keine Entwarnung im Zusammenhang mit der Coronapandemie gegeben werden. "Wir bleiben vorsichtig für die weitere Entwicklung."

Thyssen erwartet trotzdem einen hohen Verlust

Wegen der laufenden Restrukturierungen rechnet der Konzern unter dem Strich im laufenden Geschäftsjahr weiter mit einem hohen Verlust. Dieser soll mit einem hohen dreistelligen Millionen-Euro-Betrag jedoch niedriger ausfallen als der zuvor prognostizierte Wert von mehr als einer Milliarde. Die Restrukturierungskosten dürften sich im mittleren dreistelligen Millionen-Euro-Bereich bewegen. Im Vorjahr war wegen hoher Abschreibungen und Umbaukosten ein Verlust von 5,5 Milliarden Euro aufgelaufen. Der Umsatz soll 2020/21 im hohen einstelligen Bereich zulegen, jedoch noch deutlich unter dem Niveau vor der Coronapandemie bleiben. Bisher wurde ein Plus im niedrigeren bis mittleren Prozentbereich angepeilt.

Operativ schwarze Zahlen im ersten Quartal

Im ersten Quartal konnte Thyssenkrupp operativ schwarze Zahlen schreiben und das bereinigte Ebit des fortgeführten Geschäfts auf 78 Mio. Euro steigern, nachdem im Vorjahr ein Verlust von 185 Mio. Euro angefallen war. Damit fiel das Ergebnis deutlich besser aus als erwartet. Analysten hatten im Schnitt mit einem Verlust von knapp 28 Mio. Euro gerechnet. Dabei profitierte Thyssenkrupp von deutlich besser als erwarteten Ergebnissen bei Industriekomponenten, der Automobiltechnologie und dem zuletzt schwachen Stahlgeschäft. Diese drei Bereiche schnitten ebenfalls stärker ab als vom Markt erwartet. Den Nettoverlust im fortgeführten Geschäft - ohne die im vergangenen Jahr verkaufte Aufzugsparte - verbesserte sich von 449 auf 141 Mio. Euro.

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Der Umsatz sank im Quartal um 4 Prozent auf 7,3 Mrd. Euro. Die steigende Nachfrage bei Industriekomponenten, im Autozuliefergeschäft und im Stahl konnten Rückgänge in anderen Bereichen, unter anderem in der Marinesparte und im Stahlhandel nicht ausgleichen. Das Neugeschäft konnte dagegen zulegen: Die Auftragseingänge stiegen um 6 Prozent auf 7,8 Mrd. Euro. Den Mittelabfluss konnte Thyssenkrupp stoppen und einen positiven freien Zufluss von 32 Mio. Euro erzielen. Im Vorjahr musste Thyssenkrupp einen Mittelabfluss von 2,4 Mrd. Euro hinnehmen.

Das Netto-Finanzguthaben blieb mit 5,1 Milliarden Euro gegenüber dem Bilanzstichtag 30. September 2020 unverändert. Mit flüssigen Mitteln und freien zugesagten Kreditlinien von insgesamt 12,1 Milliarden Euro verfüge Thyssenkrupp "weiterhin über eine sehr gute Liquiditätssituation", erklärte das Unternehmen. "In einem weiterhin unsicheren Marktumfeld hatten wir ein gutes erstes Quartal", bilanzierte Merz. Es brauche jedoch weitere Kraftanstrengungen. Beim Umbau will sie weiter Tempo machen.

Weitere Kündigungen in der Stahlsparte möglich

So könnten etwa im Stahl weitere Stellen abgebaut werden. Die finanziellen Folgen der Coronapandemie machten "weitere signifikante Kostensenkungen notwendig", erklärte Thyssenkrupp. Konkrete Zahlen wurden nicht genannt. Es brauche weitere "Anpassungen", sagte Keysberg nur. Bisher will der Konzern rund 3.000 Arbeitsplätze abbauen. "Die Pandemie hat unsere Finanzlage nochmals dramatisch verschärft", erklärte der Sprecher des Vorstands der Stahlsparte, Bernhard Osburg in einer separaten Mitteilung. "Es muss allen Beteiligten klar sein, dass wir daher auch über weitere Personal-und Kostenmaßnahmen sprechen müssen, wenn wir nicht bisher Erreichtes und Vereinbartes gefährden wollen."

Verkauf oder eine Ausgliederung werden geprüft

Das Unternehmen gab ebenfalls das größte Investitionsprogramm für seine Stahlsparte seit vielen Jahren frei. Bis Ende 2024 soll in den Werken Duisburg und Bochum ein hoher dreistelliger Millionenbetrag für neue Produktionsanlagen investiert werden.

Thyssenkrupp will im März entscheiden, wie es mit der Stahlsparte weitergehen soll. Neben der Sanierung aus eigener Kraft lässt Merz auch einen Verkauf oder eine Ausgliederung prüfen. Als möglicher Käufer steht derzeit nur der Konkurrent Liberty Steel parat. Zunächst ebenfalls ins Visier genommene Partnerschaften mit anderen Stahlherstellern sind Keysberg zufolge derzeit keine Option mehr.

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Erleichterung an der Börse

An der Börse hingegen wurden Zahlen und Ausblick mit großer Erleichterung aufgenommen. Der Kurs der Aktie legte am Vormittag zunächst um fast sieben Prozent zu, bevor er wieder etwas abbröckelte. Der seit Anfang November bereits um mehr als 140 Prozent gestiegene Kurs könnte damit die runde Marke von 10 Euro nun möglicherweise nachhaltig hinter sich lassen. "Der Konzern könnte das Ruder noch rechtzeitig umgelegt haben", erklärte ein Händler. An ein Quartal mit einem positiven Ergebnis im operativen Geschäft könne er sich fast schon nicht mehr erinnern. Ganz so überraschend seien die guten Nachrichten aber nicht, denn andere Industrieunternehmen hätten zuletzt bereits sehr starke Zahlen veröffentlicht.

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"Herausragend" nannte Analyst Christian Obst von der Baader Bank den positiven freien Mittelzufluss im ersten Geschäftsquartal, dies sei eine deutliche Verbesserung im Vergleich zu den vergangenen Jahren. Die gute Nachfrage nach etlichen Produkten und die zu erwartenden Aussagen zum Konzern-Portfolio wirkten unterstützend für den Aktienkurs. Das erste Geschäftsquartal habe die Erwartungen übertroffen, schrieb Jefferies-Analyst Alan Spence in einer ersten Reaktion. Die Jahresziele erschienen nach dem starken Jahresauftakt recht konservativ. (dpa-afx/apa/red)