Standort : Merkel: "Wir sind nicht mehr auf der Höhe der Zeit"

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat eine technologische Aufholjagd in Europa gefordert. Die EU müsse ihre Souveränität zurückgewinnen, sagte Merkel in der Generaldebatte im Bundestag.

"Wir müssen vor allem technologisch wieder in allen Bereichen auf die Höhe der Zeit, auf das, was Weltmaßstab ist, kommen", sagte sie. "Wir sind das nicht mehr." Das müssten sich die Europäer eingestehen.

"Das bedeutet, dass wir überall da, wo wir technologische Rückstände haben, durch Bündelung der europäischen Anstrengungen vorankommen." Dies betreffe die Herstellung von Chips, die digitale Plattformwirtschaft, das Datenmanagement sowie die Batterieproduktion. "Überall muss Europa wieder Souveränität entwickeln", sagte Merkel.

Die Kanzlerin lobte die Aufstellung der neuen EU-Kommission, die global ausgerichtet sei und die Stellung der EU in der Welt stärken wolle. "Ich glaube, das kann ein sehr guter Start sein", sagte sie zu dem Personaltableau, das die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen - früher Verteidigungsministerin in Merkels Regierung - am Dienstag vorgestellt hatte.

Am 1. November soll die neue Kommission ihr Amt antreten. Die Rivalität zwischen den USA und China sowie das geostrategische Erstarken Russlands habe tiefgreifende Folgen für die EU, sagte Merkel. Hinzu komme der Austritt Großbritanniens aus der EU. Dadurch entstehe "ein Wettbewerber vor unserer Haustür", auch wenn man weiter eine enge sicherheitspolitische Zusammenarbeit wolle. Europa müsse deshalb auch in der Verteidigungspolitik selbstständiger werden.

Zudem forderte die Kanzlerin von der EU ein entschiedenes Eintreten für eine multilaterale Weltordnung, "auch wenn diese noch so sehr unter Druck steht". Deutschland habe hier eine besondere Verpflichtung und müsse seine Verteidigungsausgaben weiter erhöhen. Wichtig sei nicht nur eine Reform der Welthandelsorganisation WTO, sondern auch der Abschluss von Freihandelsabkommen mit den USA und Großbritannien sowie ein Investitionsschutzabkommen mit China. "Europa muss einen Fußabdruck hinterlassen bei Konfliktlösungen in der Welt", forderte Merkel.

Sie betonte, Deutschland müsse sich in Zukunft auf deutlich höhere Verteidigungsausgaben einstellen. Es gebe "keinen Automatismus mehr wie im Kalten Krieg, dass die Vereinigten Staaten die Beschützerrolle für uns Europäer übernehmen", sagte sie.

Deswegen sei es "wichtig", dass Deutschland seine "Versprechen" im Rahmen der NATO einhalte und seine Verteidigungsausgaben "in Richtung zwei Prozent" des Bruttoinlandsprodukts erhöhe. Von Deutschland werde "erwartet, dass wir nicht nur eine wirtschaftlich starke Nation sind, sondern dass wir auch für Sicherheit und Frieden einen Beitrag leisten", sagte die Kanzlerin.

Innerhalb der Großen Koalition ist die Frage der Wehrausgaben allerdings umstritten. Alle NATO-Mitglieder hatten 2014 zugesagt, ihre Verteidigungsausgaben binnen eines Jahrzehnts "Richtung zwei Prozent" des BIP zu steigern. Dem Budgetentwurf von Finanzminister Olaf Scholz zufolge wird die deutsche NATO-Quote in den kommenden Jahren sogar sinken.

Europa müsse zudem beim Klimaschutz führend sein, mahnte Merkel. Das bedeute für Deutschland sicherzustellen, dass die Klimaschutzziele 2030 auf jeden Fall eingehalten würden. Erneut sprach sich Merkel für ein Bepreisungssystem für den CO2-Ausstoß über einen Zertifikatehandel und eine Mengensteuerung aus. Auch im Klimaschutz müsse man auf Innovationen setzen, um die Ziele zu erreichen. Zudem müsse in Deutschland aber die Offshore-Windenergie weiter ausgebaut werden. Es brauche neue Stromleitungen und die Verkürzung von Gerichtsverfahren.

Hintergrund ist die hohe Anzahl an Klagen etwa gegen Stromtrassen oder den Bau von Windanlagen. Der Verkehr müsse ebenfalls einen Beitrag leisten, weil in diesem Sektor seit 1990 der Ausstoß von CO2 nicht gesunken sei. "Nichtstun ist nicht die Alternative", sagte Merkel mit Blick auf das für den 20. September angekündigte Klimapaket der deutschen Regierung. Wenn man heute nicht entschieden gegen den Klimawandel arbeite, würden die Kosten in Zukunft nur steigen. (reuters/afp/apa/red)