Disruption : Logistik-Start-ups: Bits für Effizienz

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Die Logistik-Branche ist in Bewegung, immer mehr Start-ups mischen mit innovativen Ideen den Markt auf. Zwar fallen laut Austrian Startup Monitor offiziell lediglich 4,1 der Start-up-Gründungen auf den Bereich Transport, Verkehr und Logistik. Doch entdecken immer mehr Entrepreneure aus anderen Bereichen, etwa der Softwareentwicklung, das Potenzial der Branche als Zielgruppe. Und auch etablierte Logistiker versuchen sich an radikalen neuen Ideen. Wo geht die Reise hin? Das INDUSTRIEMAGAZIN hat sich sieben heimische Durchstarter genauer angesehen.

Smarter Untersatz

Wie viel liegt auf Vorrat? Tedalos entwickelt Sensoren für die Lagerlogistik.

Es erstaunt Thomas Tritremmel immer wieder: „Bei vielen Unternehmen, auch bei solchen, die in der Produktion längst auf High-Tech setzen, läuft Lagerlogistik heute immer noch gleich ab wie vor 50 Jahren. Oft hängt an der Wand eine Papierliste. Wer etwas entnimmt, trägt sich händisch darin ein. Alle paar Wochen wird die handschriftliche Liste abgetippt und digital verarbeitet. Digitale Unternehmensprozesse vertrauen auf ungenaue und veraltete Informationen.“ Ein System, das nicht nur unnötig aufwendig, sondern auch fehleranfällig ist. Also gründete Tritremmel gemeinsam mit Rudolf Stadler und Jan Röhl das Start-up Tedalos. Ihr Produkt, ein an sich unauffälliger oranger Untersatz, etwa in Form einer Palette, hat es in sich. Die im orangefarbenen Gehäuse verbauten cloudbasierten Sensoren sammeln Infos zu stückgenauer Menge, Zustand und Ort der Ware und vernetzen sie im Internet der Dinge. Sensoreinheiten in verschiedenen Größen und Formen erfassen dabei quasi alles: von sperrigen Großpaketen, über tonnenweise Schrauben bis hin zu einzelnen Kaffeekapseln in der Büroküche. Namhafte Kunden wie Voestalpine, Engel, Miba, Magna und Canon verwenden heute die Tedalos-Sensoren mit integrierter Energieversorgung und eingebauter Funktechnik. In enger Absprache mit den Kunden werden laufend Sensoren in neuen Formen entwickelt: Erst im April hat das Trio neue Modelle präsentiert, die größenvariabel und für spezielle Lagersituationen optimiert sind. „Gleichzeitig forschen wir nach Sensor-Lösungen, die noch weniger Infrastruktur brauchen“, erzählt Tritremmel und verweist auf Forschungspartner an heimischen Hochschulen wie der FH St. Pölten. Oberste Priorität habe bei aller High-Tech die Nutzerfreundlichkeit. „Die Menschen, die mit unserem Produkt arbeiten, sind nicht selten Hilfskräfte. Dass unsere Technik auch für Nicht-Techniker verständlich ist ist und die Arbeit erleichtert, ist ausschlaggebend.“

Mehr als ein Orientierungshelfer

Wo geht’s lang? Insider Navigation bietet ein Indoor-Navi: ohne GPS, mit Augmented Reality.

In einer großen Produktions- oder Lagerhalle immer den kürzesten Weg zu finden, ist oft gar nicht einfach. Hier kommt die Firma Start-up Insider Navigation von Clemens Kirner und Florian Reiterer ins Spiel. Anhand von Markern und Computer Vision SLAM (durch die Kamera versteht das Mobile Geräte die Bewegung im Raum) übersetzt ihr System Räume in Daten. Die in Folge berechneten Navigationsrouten oder Zusatzinfos werden im Raum verortet und via App am Handy oder Tablet als Augmented Reality sichtbar. „Unser System funktioniert ohne große Hardware und ohne GPS. Wir haben ein Software Development Kid und sind kompatibel mit anderen Systemen, unter anderem Oracle und SAP, was speziell für Logistiker interessant ist”, sagt Gründer Kirner. Tatsächlich ist die Gebäudenavigation vielseitig einsetzbar: Die Use Cases reichen vom Museumsguide bis zur Wartung großer Schiffe. Volkswagen und F/List verwenden Insider Navigation ebenso wie die Messe München oder Jones Lang LaSalle. Im April des Vorjahres ist der deutsche Energie-Konzern Innogy bei Insider Navigation eingestiegen und investierte gemeinsam mit Bestandsinvestor Merit Immobilienmanagement einen niedrigen siebenstelligen Betrag. Wo wird das Geld eingesetzt? Kirner: „Einerseits verwenden wir es, um die Plattform weiterzuentwickeln, um Vertrieb, Partnermanagement und Entwicklung voranzutreiben. Andererseits bauen wir unser weltweites Netzwerk aus.“ Für die Investoren stünden Wachstum und die Erschließung neuer Märkte derzeit im Vordergrund, mit dem Break Even habe man keine Eile. Tatsächlich ist die Nachfrage nach dem Indoor-Navi mit AR-Funktion auch außerhalb Europas groß: Abnehmer sitzen in den USA, Australien, Singapur, Thailand, Hong Kong, Indonesien, Niederlande, Dubai, Abu Dhabi und England. „In Mexiko beginnen wir gerade die Verhandlungen“, sagt Kirner, der die Fragen des INDUSTRIEMAGAZIN auf Dienstreise telefonisch von Hong Kong aus beantwortet.

Luftfahrtlogistik per Wahrscheinlichkeitsrechnung

Der günstigste Flug? Die Software von Flightkeys berechnet die Antwort.

Der Luftverkehr ist komplex: Je nach Wetter und Beladung variiert der Kerosinverbrauch eines Flugzeuges, je nach Time-Slot und Route weichen Fluggeschwindigkeit und Ankunft ab. Das Start-up Flightkeys hat sich vorgenommen, das Flugmanagement zu optimieren. „Wir haben im Laufe der letzten vier Jahre ein komplett neues System entwickelt und setzen dabei auf einen hohen Grad an Automatisierung, auf das sogenannte Dark Cockpit Konzept und auf probabilistische Daten“, erklärt Flightkeys-Mitbegründer und Co-Geschäftsführer Christoph Prinz. „Flightkeys ermöglicht Management by Exception, der Flugplaner muss kaum mehr eingreifen.“ Weltweit gebe es neben Flightkeys nur fünf vergleichbare Anbieter – „allerdings mit signifikant älteren Systemen“. Flightkeys System basiert auf Wahrscheinlichkeitsrechnung und berücksichtigt Daten zum gesamten Flugverkehr. Mit Arinc Direct, Tochter des amerikanischen Luftfahrtkonzerns Rockwell Collins, hat das Start-up einen renommierten Pilotpartner gewonnen, der sich in der Projektphase auch finanziell einbrachte. „Arinc Direct wird unser System in der Businessjet-Operation Sparte einsetzen. Die Projektphase haben wir abgeschlossen, jetzt wird implementiert.“ Parallel dazu wird das System gerade bei drei Airlines installiert und läuft bei einem globalen Carrier in einer Proof-of-Concept-Phase. Zwei weitere große Kunden sollen im kommenden Jahr dazu kommen, Kernmärkte sind Europa und Nordamerika. Mit der 2018 gegründeten Tochterfirma Spacekeys spezialisiert auf Receiver Autonomous Integrity Monitoring, will das Team nebenbei nun auch die Satellitennavigation aufmischen. Finanziert wurde die Entwicklung des Spacekeys Produktes mit Fördergeldern der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Für die Mutter Flightkeys ist das Thema Investoren vorerst abgehakt: „2019 erreichen wir Break-Even“, ist Prinz zufrieden. Das Unternehmen ist inzwischen auf 40 Mitarbeiter angewachsen – und es wird weiter rekrutiert.

Schlauer Schnellleser

Welche Nummer steht am vorbeirasenden Waggon? Anyline liest mit.

Ein Smartphone kann heute fast alles. Was es lange nicht konnte, war nicht-digitale Texte lesen. Das 2014 gegründete Wiener Unternehmen Anyline – „aus der Start-up-Phase sind wir herausgewachsen“, wie Mitgründer und CMO Jakob Hofer betont – schließt diese Lücke. Durch Einsatz einer Künstlichen Intelligenz (KI) ermöglicht Anyline sogenannte Optical Character Recognition. Buchstaben- und Zahlenkombinationen, etwa Nummernschilder von Autos oder Seriennummern in der Logistik werden optisch erkannt und verwertbar gemacht – ganz ohne Internetverbindung. So nutzt die Polizei in Österreich und Bayern die Smartphone-App um etwa in Verkehrskontrollen Kennzeichen und Ausweise zu scannen, statt die Daten mit der Hand abzuschreiben. Swisscom verwendet die Anyline-App für elektronische Signaturen, Tyrolit scannt damit seine Wareneingänge und auch andere namhafte Kunden wie etwa Canon, Porsche, Thomas Cook oder die UNO arbeiten mit der Anyline-Technologie. Der Umsatz lag zuletzt im siebenstelligen Bereich und hat sich 2018 das dritte Jahr in Folge verdreifachen. Erst im Februar hat Anyline von seinen Bestandsinvestoren und dem Münchner Venture Capital Fonds Senovo frisches Kapital in Höhe von zwei Millionen Euro erhalten. „Wir investieren dieses Geld einerseits in Markterschließung, andererseits in die Produktentwicklung, also um das neuronale Netzwerk der KI zu trainieren und noch schneller zu werden“, erzählt Hofer. In Sachen Markterschließung ist man nun dabei, die Logistikbranche zu erobern. „Wir entwickeln Industriekameras, um beispielsweise bei Güterzügen schnell vorbeifahrende Waggons ablesen zu können. Ein Smartphone würde das nicht schaffen.“ Vorerst liegt der Fokus auf Logistik-Schlüsselkunden in Europa, „hier finden wir eine gute Infrastruktur vor“. Langfristig soll die Anyline-KI aber auch in strukturschwachen Regionen zum Einsatz kommen: schließlich ist ihr großer Vorteil, dass sie offline funktioniert.

Zwilling für Brücken, Tunnel und Schiffsschornsteine

Alles solide? Mit Sensoren, Drohnen und KI sorgt Strucinspect für Sicherheit.#

Die besten Ideen entstehen oft im Team. Das hat man sich auch in der Innovationsabteilung „21st“ des Salzburger Kranherstellers Palfinger gedacht und sich kurzerhand mit dem Bauingenieurbüro VCE Vienna Consulting Engineers ZT und dem Vermessungsbüro Angst Group zusammengetan. Palfinger Structural Inspection, kurz Strucinspect, heißt das Joint Venture, das man im heurigen Februar zusammen aus der Taufe gehoben hat. Wo heute noch Ziviltechniker Brücken und andere Konstruktionen mühevoll „abgeklopfen“, um ihren Zustand zu prüfen, sollen in Zukunft digitale Helfer per Sensoren, Drohnen und Künstlicher Intelligenz übernehmen. „Vier Referenzprojekte in Wien, Tschechien und Nordrhein-Westfalen laufen bereits“, erzählt Strucinspect-Co-Geschäftsführer Albrecht Karlusch. Kern der neuen Technologie ist eine KI, mit der Strucinspect einen digitalen 3D-Zwilling erschafft. Die Prüfer erhalten so ein präzises Bild vom äußeren und inneren Zustand des Bauwerks, können seine Leistungsfähigkeit bemessen und bekommen eine belastbare Vorschau der Lebensdauer. „Brücken sind nur der Anfang. Ob zur Kontrolle der Schornsteine bei großen Schiffen, zur Wartung von Straßen, Tunneln und Lärmschutzwänden: Die Technologie lässt sich in vielen verschiedenen Bereichen einsetzen“, ist Karlusch zuversichtlich. Der große Vorteil des Corporate Incubators? „Wir sind schneller als ein klassisches Start-up, weil wir alle Ressourcen haben, die wir brauchen“. Gleichzeitig musste sich das Team im Joint Venture erst kennenlernen und einspielen. 13 Personen sind im Unternehmen mit Sitz im Wiener Start-up-Zentrum WeXelerate – um die radikale Innovation zu befruchten, suchte die Tochter räumlich Abstand zu den Muttergesellschaften – inzwischen an Bord. Karlusch: „Bis Herbst werden wir auf 20 Leute anwachsen.“

Wenn der Postmann keinmal klingelt

Paket sicher zugestellt? Mit Tapkey kommen Lieferanten schlüssellos ans Ziel.

Statt den Schlüsselbund mitzuschleppen, Türen zu Gebäuden, Autos und Paketboxen einfach mit dem Smartphone aufsperren – das verspricht die Technologie von Tapkey. Via Bluetooth oder NFC stellt die Zugangssoftware des Start-ups eine Verbindung zwischen Smartphone und kompatibler Hardware von Partnern wie DOM, Witte und Datamobile her. „Dank Lock SDK, API und Mobile SDK lässt sich das System unkompliziert integrieren. Wir legen den Fokus derzeit auf drei Bereiche“, berichtet CEO Gilbert Hödl, der Tapkey 2014 gemeinsam mit Gregor Zehetner, Jochen Schurich und Markus Minichmayr gegründet hat. Das sei erstens der schlüssellose Zugang zu Fahrzeugen. Mit Blick auf Carsharing- und Mietwagen-Anbieter ein gefragtes Marktsegment: Erst im Herbst hat der deutsche Automobilzulieferer Witte Automotive seine Beteiligung von 16 auf 20 Prozent aufgestockt und so eine sechsstellige Summe an Kapital locker gemacht. „Zweitens bieten wir mit Tapkey Digital Access eine Lösung für den Gebäudezutritt“, so Hödl. Damit richtet man sich an Storage Places, Logistikzentren, Sharing-, aber auch Commercial Offices, die ihre Räumlichkeiten in schwach frequentierten Zeiten weitervermieten möchten. Der dritte Bereich betrifft schließlich integrierte Zustellszenarien. Beim sogenannten Unattended Delivery hinterlegt der Zusteller die Lieferung je nach Größe in bereitgestellte Boxen oder Container. Auch sicher geparkte Autos können beliefert werden. Gute Chancen sieht Hödl in der Übernacht-Zustellung: „Eine Lieferung in der Nacht kann mitunter effizienter erfolgen als wenn der Lieferant morgens im Frühverkehr steckt. Ein Projekt mit einem auf Overnight Delivery spezialisierten Anbieter ist derzeit in der Testphase.“ Langfristig will das Team außerdem, ähnlich wie Amazon mit Amazon Key in den USA, in den Home Delivery-Endkundenbereich vordringen.

Fitnesstracker für Produktionsanlagen

Reicht das Material? Icosense vereinfacht die Supply-Chain-Analyse.

IT-Firmen gibt es viele, der IT-Dienstleister und Cloud-Spezialist Icosense deckt jedoch mehr als die klassische IT-Infrastrukturbetreuung und Software-Entwicklung ab. Unter dem Sammelbegriff „Daten und Digitalisierung“ entwickeln die Pinzgauer Lösungen für Datenintegration und -migration, Business Intelligence, ERP und Digitalisierung. Ein Beispiel? „Steht in einer Fabrik eine Maschine still, hat das in vielen Fällen nicht technische, sondern organisatorische Gründe. Etwa weil nicht richtig kalkuliert wurde und es an Material fehlt“, erklärt Geschäftsführer Philipp Schmitzberger. Die Lösung: Ein Programm zur Echtzeit-Datenauswertung in Produktionsbetrieben. Am Markt gebe es heute zwar diverse Lösungen zur Maschinendatenerfassung. „Die meisten davon sind jedoch mit sehr hohen Kosten verbunden“, sagt Schmitzberger. Viele Mittelständer – in Österreich sind laut Wirtschaftskammer 99,6 Prozent der Unternehmen KMU – könnten sich das schlicht nicht leisten. Icosense Peak2pi füllt die Marktlücke als kostengünstiger „Fitnesstracker für Maschinen“, deren Daten das Programm erfasst, verarbeitet und daraus abgeleitet die Gesamtanlageneffektivität auswertet. Entwickelt hat das Team um Icosense-Gründer Manfred Ausserbichler Peak2pi 2015 in enger Abstimmung mit Pilotkunde Blizzard Sport. Inzwischen ist Peak2pi auch über die Landesgrenzen hinaus erfolgreich. Schmitzberger: „Erst kürzlich haben wir einen deutschen Hidden Champion aus dem Automotive-Bereich als Neukunden gewinnen können.“ Was sind die nächsten planmäßigen Meilensteine? „Unser Fokus liegt aktuell stark auf Machine Learning. Ziel ist es, die Daten von Anlagen an verschiedenen Standorten vergleichbar zu machen. Analog funktioniert das bereits, künftig sollen die Daten über die Cloud laufen.“