Interview : Künstliche Intelligenz: „Gegen Ängste hilft nur Wissen“

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INDUSTRIEMAGAZIN: Frau Stöttinger, der Physiker Stephen Hawking warnte vor wenigen Wochen davor, dass Künstliche Intelligenz katastrophale Konsequenzen für die Zivilisation haben könnte. Und Alibaba-Chef Jack Ma meint, der „Time“-CEO des Jahres 2050 werde wohl ein Roboter sein. Müssen wir uns fürchten?

Barbara Stöttinger: Diese Diskussion entsteht bei jeder disruptiven Technologie. Man kann und soll eine solche Entwicklung meiner Meinung nach nicht abdrehen. Aber natürlich muss man genau hinsehen. Und dann versuchen, unerwünschte Abweichungen in den Griff zu bekommen. Dafür brauchen wir allerdings noch viel mehr öffentliche Diskussion. Wo zu wenig Wissen ist, da entstehen Ängste, und dann macht sich statt des Wissens nur Emotion breit. In diesem Sinne tut die derzeitige Polarisierung dem Thema Künstliche Intelligenz durchaus gut.

Irgendwann muss aber auch entschieden werden, muss man einen gesetzgeberischen Rahmen ziehen.

Stöttinger: Der Gesetzgeber kann aber nicht agieren, solange die Grauzonen nicht ausgeleuchtet sind. Noch dazu haben wir es hier mit einer Technologie mit disruptivem Potenzial zu tun, womit Entwicklungen der Vergangenheit nicht linear fortgeschrieben werden können. Die Verantwortung liegt nun also bei Gesellschaft und Politik. Gerade der gesellschaftliche Ausgleich ist doch eine Stärke Europas, einer unserer Kernwerte. Uns ist eben nicht egal, wie es etwa den Arbeitnehmern geht. Versuchen wir doch, die Dinge mutiger anzugehen!

Angesichts des zu erwartenden Impacts muss die Diskussion über Künstliche Intelligenz aber wohl sehr eingehend geführt werden.

Stöttinger: Das wird sie ja bereits. Ich habe jedoch den Eindruck, dass die möglichen Folgen bisweilen übertrieben werden, etwa hinsichtlich des Arbeitsmarktes. Selbstverständlich wird es da Gewinner und Verlierer geben. Sollten selbstfahrende Lkw so perfektioniert werden, dass man keine Fahrer mehr benötigt, dann stirbt eine Berufskategorie aus. Da sind wir als Gesellschaft gefordert, diese Härten abzufedern, zu überlegen, wo diese Menschen ihr Potenzial und ihre Erfahrung entfalten können. Aber die Idee hinter der Künstlichen Intelligenz ist doch vor allem, Datenmengen zu beherrschen, mit denen der Mensch überfordert ist. Überall dort, wo interpretiert werden muss, wo es in die Semantik geht, da wird es sehr schnell sehr komplex. Wo man Kontextwissen braucht, Erfahrungen, Intuition – da erwecken die bisherigen Anwendungsfälle bei mir nicht den Eindruck, dass wir auch nur annähernd so weit wären, durch diese Systeme CEOs zu ersetzen. Nicht zu unseren Lebzeiten.

Der Weg von der Datenanalyse zur Interpretation ist aber ein kurzer. Selbstlernende Systeme interpretieren bereits Röntgenbilder.

Stöttinger: Und wenn sie das eines Tages treffsicherer tun als Menschen – warum denn nicht? Einerseits wird kein Gesetzgeber der Welt den Ärzten den wesentlichen Schritt – die Entscheidung – aus der Hand nehmen. Und andererseits ist das doch eine wunderbare Möglichkeit, ein Berufsbild sinnvoll zu transformieren. Sollten Ärzte eines fernen Tages die Diagnostik an Maschinen abgeben, dann haben sie vielleicht wieder mehr Zeit, sich mit den Menschen zu beschäftigen. Was übrigens interessante Folgen für ihre Ausbildung hätte: Vielleicht muss man als Arzt dann eben nicht mehr alles wissen und stattdessen besser werden in menschlicher Kommunikation, in der Kreativität, in der Fall-Lösung.

In meinem Bereich ist das doch ähnlich: Bei standardisierten Prüfungen kann die Maschine vieles übernehmen, kann sie die Benotung objektiver machen. Wir müssten also weniger prüfen, könnten dafür mehr unterrichten und forschen. Die Künstliche Intelligenz hat in meinen Augen großes Potenzial, menschliche Kreativität freizusetzen.

Das gilt auch für Führungskräfte?

Stöttinger: Gerade für die! Perfektionierte Datenanalyse kann die Qualität der Entscheidungen doch nur verbessern. Die so genannten „Entscheider“ haben ja viel mehr Aufgaben, als zu entscheiden. Sie müssen motivieren, Visionen vorgeben, Muster durchbrechen – das kann ich mir mit Künstlicher Intelligenz nicht vorstellen. Beziehungen zu Mitarbeitern, zu Kunden: Das können Sie nicht ersetzen.

Sie leiten eine Elite-Ausbildung für Führungskräfte. Ist Künstliche Intelligenz bei Ihnen ein Thema?

Stöttinger: Natürlich, wobei unser Ansatz ist, es ein wenig von den aktuellen Entwicklungen zu entkoppeln. Wir wollen hier nicht die neue Sau durchs Dorf treiben. Wir engagieren Guest-speakers, führen Diskussionen – unser eigentliches Ziel ist aber, die Führungsverantwortung so zu schärfen, dass die Absolventen grundsätzlich mit den Herausforderungen disruptiver Entwicklungen umgehen können.

Und wie ist das Feedback Ihrer Teilnehmer?

Stöttinger: Die meisten spüren, dass wir in einer Zeit des Umbruchs leben, dass die Veränderungszyklen radikal kürzer geworden sind. Das betrifft auch die Frage, wie Unternehmen generell aufgestellt sind: Ist das hierarchische Modell noch passend für die Zukunft, oder müssen wir mehr ins Entrepreneurship-Denken gehen? Viele haben in ihrem Berufsleben erlebt, wie man eben nicht mit Menschen umgehen soll, und ihre Reaktion darauf beinhaltet immer öfter ethische und philosophische Aspekte von Führung. Genau das wird für ihren Umgang mit Künstlicher Intelligenz sehr hilfreich sein.

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Barbara Stöttinger ist Dekanin der WU Executive Academy und akademische Leiterin des Professional MBA Marketing & Sales. Sie absolvierte ihr Doktoratsstudium an der WU Wien und habilitierte sich 2003 im Fachbereich Internationales Marketing. Davor war Barbara Stöttinger im Marketing eines internationalen Konsumgüterherstellers und in der Beratung tätig.