ÖBIB : Kollateral-Schaden

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Der riesige Konferenztisch in der heutigen ÖBIB-Zentrale hat österreichische Wirtschaftsgeschichte gesehen. 14 Aufsichtsratsmitglieder plus ÖIAG-Vorstand fanden einst hier Platz, um über das Geschick der österreichischen Verstaatlichten zu debattieren. Schon in der Kantgasse, der weitaus mondäneren Vorgänger-Adresse der einstigen ÖIAG, hat er das Zentrum des Aufsichtsrats gegeben. Hugo Michael Sekyra referierte hier über die Zukunft der Austrian Industries. Hier genehmigte Aufsichtsratspräsident Peter Mitterbauer 2009 den Verkauf der AUA. Und hier blieben vor gut einem Jahr die fünf Arbeitnehmerplätze frei, als es um die Unterfertigung des Syndikatsvertrages mit American Movil und die Zukunft der Telekom Austria ging. Die entsandten Betriebsräte von Post, Telekom und OMV setzten damals ein starkes Protestzeichen, das in der ganzen Republik gehört wurde. Damit ist es jetzt vorbei.

Ausgeschüttetes Bad

Seit der Umgründung der ÖIAG in eine GmbH gibt es keinen Aufsichtsrat mehr. Für die Arbeitnehmer-Vertreter im ehemaligen Verstaatlichten-Bereich stellt dies ein veritables Desaster dar. Ein ehemaliger ÖIAG-Betriebsrat: "Wir haben mit einem Schlag eine zentrale Informationsplattform verloren." So richtig froh ist bei den betroffenen Betrieben über die ÖBIB-Lösung niemand, auch wenn die APA anlässlich des ÖBIB-Beschlusses der Regierung titelte: "Gewerkschaften, Arbeiterkammer und SPÖ jubeln über Aus für ÖIAG".

Die Umwandlung des ÖIAG-Aufsichtsrates in ein von der Regierung abhängiges Nominierungskomitee aus einem roten und einem schwarzen Staatssekretär (Sonja Steßl bzw. Harald Mahrer), dem Andritz-Chef Wolfgang Leitner sowie VIG-Präsident Günther Geyer machte aus den Holding-Aufsichtsräten wieder limitierte Spartenfunktionäre. Da wurde, wie es ein Gewerkschaftsfunktionär formuliert, "das Kind mit dem Bad ausgeschüttet – und zwar in hohem Bogen."

Es war die Arbeitnehmerseite, die spätestens mit der Anbahnung des America-Movil-Einstiegs Ende 2013 eine ÖIAG-Reform einforderte. Das Konzept des "sich selbst erneuernden Aufsichtsrates" und der "entpolitisierten Staatsholding" sei zu einer "Ausverkaufsgesellschaft zum Vorteil von Spekulanten" geworden, wie es der Zentralbetriebsrats-Chef der Post AG, Helmut Köstinger, in einer Gewerkschaftsaussendung formulierte. Sein Wort zählt in dem Zusammenhang: Köstinger ist Vorsitzenden der ARGE ÖIAG, in der sich die Verstaatlichten-Betriebsräte informell zusammengeschlossen haben. Er war bis März Aufsichtsratsmitglied in der ÖIAG. Für das INDUSTRIEMAGAZIN war er "aufgrund von Kollektivvertragsverhandlungen" nicht zu sprechen, in früheren Wortmeldungen begrüßte er aber offiziell die "ÖIAG neu"-Regelung, da "die Regierung endlich ihre Verantwortung als Eigentümervertreter für die Bundesanteile bei Post, OMV und A1 Telekom Austria wahrnimmt." Inoffiziell haderten seine Betriebsratskollegen mit der neuen ÖBIB-Regelung, die als Machtminderung empfunden wird. Die Kollegen aus der OMV sahen die Entwicklung hingegen etwas entspannter, "da der Einfluss ohnehin endenwollend war", wie ein Mitglied des Konzernbetriebsrats kommentiert.

Alte Denkkategorien

Die handelnden und betroffenen Ex-ÖIAG-Aufsichtsräte scheuen sich, öffentlich zur Thematik Stellung zu nehmen. Denn der offizielle sozialdemokratische Standpunkt zur ÖBIB-Regelung ist die Zufriedenheit, dem "Eigentümer und Steuerzahler in der ehemaligen ÖIAG wieder Gehör verschafft zu haben", wie Werner Muhm, AK-Direktor und wirtschaftspolitischer Berater von Bundeskanzler Faymann, in einer Aussendung kundtat. Muhm gilt als das Mastermind hinter den roten Bemühungen, die Selbsterneuerung des ÖIAG-Aufsichtsrates in das Reich der Geschichte zu überführen. Die rote Reichshälfte sah sich in Verstaatlichten-Angelegenheiten seit dem Schüssel-Haider-Deal im Jahr 2000 stets im Hintertreffen. Auch wenn das ÖIAG-Gesetz de jure eine unbeeinflusste Aufsichtsratsbesetzung vorsah, so gab es rasch eine österreichische Einschleifregelung: Bei allen Neubesetzungen im ÖIAG-Aufsichtsrat hat dessen Präsident davor das Einvernehmen mit dem jeweiligen Finanzminister gesucht. Keiner der neu bestellten Aufsichtsräte in der ÖIAG ist gegen den Willen des jeweiligen Finanzministers (Grasser, Molterer, Pröll, Fekter, Spindelegger) als Eigentümervertreter berufen worden. Dass sich Michael Spindelegger in Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage letzten Sommer vor das Hohe Haus gestellt hat und dabei versicherte, keinerlei Einflussmöglichkeit auf den ÖIAG-Aufsichtsrat zu haben, wurde vom Koalitionspartner als reine Provokation aufgefasst. Muhm & Freunde wollten den Einfluss der SPÖ auf die Staatsholding wieder herstellen. Dies ist gelungen, wenn auch nicht so, wie es sich die betroffenen Betriebsräte ausgemalt hatten.

Ungleiche Räte

Die unterschiedliche Betroffenheit von Post- und Telekom-Betriebsräten sowie den OMV-Vertretern hat noch einen anderen Hintergrund. Im Unterschied zu herkömmlichen Unternehmen gilt bei Post und Telekom (und bei der ÖBB) nicht das Arbeitsverfassungsgesetz, sondern eine spezielle Betriebsverfassung. Diese erlaubt, dass bei Post und Telekom wesentlich mehr Betriebsräte dienstfrei gestellt sind wie bei der OMV oder Verbund. Post und Telekom erkauften sich damit die Zustimmung zum Börsengang, die ÖBB die Zerlegung in Einzelgesellschaften. Zwischen den Betriebsräten in der ÖIAG hat dies immer für atmosphärische Unterschiede gesorgt: Hier die markterfahrenen OMVler, dort die teilprivatisierten Beamten. Bei der Telekom stehen 16.000 Mitarbeitern 50 dienstfrei gestellte Betriebsräte entgegen, bei der Post sind von 23.000 Mitarbeitern 47 dienstfrei gestellte Betriebsräte. Dazu kommen noch 25 vom Unternehmen bezahlte Kanzleikräfte. Bei der OMV sind dies bei 25.500 Konzernbeschäftigten (Österreich: 3.700) insgesamt sieben dienstfrei gestellte Betriebsräte. Dies sorgt für Diskrepanzen. Gleich ist freilich der Verlust für alle Ex-Aufsichtsräte auf der Einnahmenseite: Das Sitzungsgeld für ÖIAG-Aufsichtsräte betrug jährlich 15.000 Euro.

Der Ausbruch: Das Fernbleiben der Betriebsräte bei der Syndikats-Unterfertigung zwischen Telekom Austria und America Movil am 23. April 2014 lässt die latent schwelenden koalitionären Streitigkeiten um die ÖIAG eskalieren.

Die Kränkung: Die SPÖ fordert mehr Einfluss auf die Beteiligungs-Holding in Form eines zweiten, von ihr zu nominierenden ÖIAG-Vorstandes. die ÖVP findet sich damit ab. dann soll – knapp vor der politischen Einigung zu einem ÖIAG- Neu-Gesetz – in einem zweiten Ansinnen AK-Direktor Werner Muhm zum ÖIAG- Aufsichtsratspräsident gemacht werden. die ÖVP schäumt.

Die Eskalation: Mit der Übernahme des AR-Präsidiums durch Siegfried Wolf Ende Juni rückt die ÖIAG immer stärker in die mediale Kritik. im August dringen die Konflikte im OMV-Vorstand immer lauter nach außen. die ÖIAG-Betriebsräte melden sich vermehrt zu Wort und fordern Mitsprache des Eigentümers.

Bleierner Herbst: Im Oktober werden die Verträge von Rudolf Kemler mit Herbst 2015 und Gerhard Roiss (30. Juni 2015) vorzeitig beendet. Die Koalition ringt um eine ÖIAG Neu.

Heiße Phase: Im Dezember kommen die Verhandlungen unter Erfolgsdruck. die Gewerkschafter aus ÖBB und Asfinag machen gegen den ÖVP-Plan mobil, die ÖIAG in eine marktnahe Holding und eine Infrastruktur-Gesellschaft zu erweitern. ein SPÖ-eigenes ÖIAG-Neu-Konzept wird nicht vermittelt. Fix ist nur die Neubesetzung von Vorstand und Aufsichtsrat. Werner Muhm verhandelt (u. a.) für die SPÖ, Infrastruktruminister Alois Stöger nicht.

Die Repolitisierung: Am 12. Jänner wird die ÖIAG neu als ÖBIB vorgestellt: Sie darf wieder zukaufen (SPÖ-Wunsch), ein bis ins letzte ausgetüfteltes Nominierungskomitee übernimmt die Personalpolitik, dafür wird der Aufsichtsrat abgeschafft (ÖVP-Position). Die ÖIAG-Betriebsräte bleiben außen vor. Sie sehen sich als Opfergabe der SPÖ-Parteipolitik.