Produktion : Knapp, Miba, Rosenbauer & Co.: So fährt die Industrie die Produktion wieder hoch

Verbrennungsmotor mit Schutzmaske
© Grafik Industriemagazin

Viele gute Kontakte. Dazu die eine oder andere Sonnenstunde am Roten Meer. Auf die Blitzvisite im Endmontagewerk in König-Abdullah-Wirtschaftsstadt freut sich Daniel Tomaschko seit Wochen. Doch aus dem Trip in die arabische Welt Anfang März wird nichts. Ein Virus löst eine Etikette - die der wertschätzenden Besuche ausländischer Konzernstandorte - durch weniger erfreuliche Gepflogenheiten ab. Statt einem Lächeln im Gesicht tragen die Rosenbauer-Monteure der drei heimischen Werke in Leonding und Neidling nun Schutzmasken, die nicht unbedingt die Lebensart heben. Bald gibt es im Unternehmen die ersten Fälle positiv auf COVID-19 getesteter Mitarbeiter. „Wir haben wirklich alle Phasen dieser Pandemie durchgemacht“, sagt der Rosenbauer-CTO.

Nach Quarantänemaßnahmen, einem zweiwöchigen Betriebsurlaub und dem Wiederanlauf der Produktion in den Werken Mitte April (O-Ton Tomaschko: „Wir nahmen die Arbeitsdichte heraus“) ist dem 37-jährigen, der 2016 von MAN zu Rosenbauer wechselte, dennoch nicht der Optimismus abhanden gekommen. „Jetzt auch mental stark zu sein, ist wichtiger als alles andere“, sagt er. Ein dicker Auftragspolster sichert den Werken in den nächsten Monaten die Auslastung. Die Rückkehr großer Lieferanten wie MAN und Volvo in den Regelbetrieb gibt Zuversicht. Und manches - metaphysische Grundstimmung hin oder her - könne Tomaschko jetzt, „so seltsam das auch klingen mag, regelrecht genießen“. Momente etwa, die zeigen, wie unkompliziert die Fahrzeugabnahme durch Kunden über Handy-Video-App erfolgt. „Daran habe ich meine helle Freude“, so Tomaschko.

Vier harte Wochen. Abgehakt

Zuversicht, so scheint es, verdrängt dieser Tage vielerorts die Nervosität. Na, schönen Dank auch, rief so mancher angesichts des Dichtestresses, der ständigen Rechenexerzitien zu Covid-19-Fallzahlen und der Sorge um Familie, Freunde und Kollegen genervt aus. Wochen liegen zurück, die auch ein Schlaglicht auf den Umgang miteinander warfen.

Von leitenden Produktionsmanagern in Automobilwerken erfuhr man, die „ihrem Moralkonsens folgend“ (O-Ton am BMW-Standort München) erst dann von Bord gingen, als sie ihre Mitarbeiter sicher zuhause wussten. Haute Couture am Shopfloor wurde zum Überraschungshit. Im Corporate Design gestalteter Atemschutz stärkt etwa bei Fischer Edelstahlrohre in Griffen nun „das Zusammengehörigkeitsgefühl“ (O-Ton Geschäftsführer Heinz Paar). Über Argwohn, der die falschen traf, staunte man. Reinigungstrupps machten sich auf den Shopfloors nicht rar, wie manche vermeinten. Die Saubermacher wichen nur verantwortungsvoll in Früh- und Spätschichten aus.

>> Hören Sie auch den Podcast mit Heinz Paar: "Für mich ist Corona eine berufliche und private Befreiung"

Und es ist auch die Zeit der Prozessanpassungen. Radiusarm aus dem Home Office oder in Kurzarbeit fahren Unternehmen ihre Fertigungen hoch und steuern ganze Werke digital. Denn nichts motiviert mehr als der Ausblick auf eine längst fällige Sonderkonjunktur.

Soft Opening. Weil die Welt sich weiterdreht

Eine solche dürfte nun den Landtechnikhersteller Pöttinger bald erfassen. Mitte März, als unklar war, ob die Grieskirchner Produktionseinheit schließen muss, hielt die 700 Mitarbeiter starke Produktionstruppe des Landtechnikherstellers Poettinger für einen Moment inne. „Wir haben eine Woche herausgenommen um den Prozess neu zu strukturiert“, erzählt Jörg Lechner, der Geschäftsführer für Produktion und Materialwirtschaft. Er will nichts beschönigen. Es gab die ganze emotionale Bandbreite. Mitarbeiter, die zerknirscht waren, in „Zwangsurlaub" geschickt zu werden genauso wie Kollegen, die vor einer möglichen Ansteckung Angst hatten und nicht mehr arbeiten wollten. Alle „Kontaktpunkte in der Fertigung zu entflechten“, um die erforderlichen Mindestabstände einzuhalten, habe letztlich für Vertrauen gesorgt.

So etwa wurde die Mannschaft in der Vormontage, in der sich Mitarbeiter zu nahe kommen, halbiert und auf zwei Schichten aufgeteilt. Programmierer bezogen Einzelarbeitsplätze. Im Verladebereich lösten sich die Teams zwischenzeitlich im Wochenrhythmus ab. „Mittlerweile brauchen wir dort wieder mehr Output“, sagt Lechner. Aus der „Frühbezugssituation vor Corona“ (O-Ton Lechner) gehe man nun in die Hauptsaison über - und damit in die kritische Phase des Pöttinger-Saisongeschäfts. In wenigen Tagen erfolgt beim Mähen der erste Schnitt. Spätestens jetzt müssen alle Grünlandgeräte zur Auslieferung gelangen, sagt Lechner. Der Verladebereich wurde deshalb aufgewertet, man fährt hier nun auch in zwei Schichten. Die Abstimmung in den Teams funktioniert trotz der Distanzpflicht - und der schlagartig mehr gewordenen Arbeit - gut.

Das ist keine Selbstverständlichkeit. Mit der Resilienz, der Widerstandsfähigkeit von Systemen in wilden Phasen, ist das so eine Sache, hört man in der Industrie. Dereinst wurden die Lehren stereotyp von den Management-Boards gekapert, um für eigentlich selbstverständliche Führungseigenschaften neuen Wind zu enffachen. Nun erleben diese am Shopfloor „ihre Wiedergeburt in reiner Form“. In einer Zeit, in der andere im Handling von Papierrollen, Desinfektionsgels und Entsorgungssäcken grob überfordert sind, würden Unternehmen herausstechen, deren Fertigungen „nach innen weiterhin robust und nach außen agil sind“, meint Thomas Bauernhansl, Leiter des renommierten Fraunhofer-Produktionsinstituts IPA.

Die „klar kommunizierte Führungsaufgabe sei, Verhaltensregeln selber vorzuleben“, schildert Franz Almhofer-Amering, der die Themen Sicherheit und Gesundheit bei Miba leitet. Die Reinigungsintervalle an den Konzernstandorten wurden verkürzt, Regeln zur Prävention erarbeitet. Maskenpflicht gebe es am Standort Laakirchen - dank unbeengter Platzverhältnisse - etwa nicht bei allen Arbeiten, hört man im Unternehmen.

Einen Eindruck davon, was Robustheit nach innen bedeutet, gibt auch das Treiben in der Werkstraße 2. Beim Zutritt des Geländes des Filtrationstechnikherstellers Lenzing Technik erfolgt eine Temperaturmessung, auch der obligatorische Mund-Nasen-Schutz wird ausgehändigt. Die Werkzeug- und Lagerausgabe für die rund hundertköpfige Produktionsmannschaft erfolgt - wie im Supermarkt - hinter Plexiglasscheiben. Dazu kommt Schichtbetrieb sowie eine kontaktlose Schichtübergabe. Bei Stillstandsarbeiten oder dem Umbau von Anlagen schlüpfen Mitarbeiter in Ganzkörperschutzanzüge.

Die Auslastung im Werk sei „nach wie vor gut“, erzählt Geschäftsführer Stefan Hofmayr. Aktuell fertige man im Auftrag der Konzernmutter am Standort Kernkomponenten der Faserproduktion des neuen - mit einer Jahreskapazität von 100.000 Tonnen dann weltweit größten - Lyocellwerks östlich von Bangkok. „Dieses Projekt hat im Konzern absolute Priorität“, sagt Hofmayr. Per Videokonferenz schwor der Vorstand seine Truppe darauf noch einmal gesondert ein.

Ferngesteuerte Prozesse. Weil sie Mitarbeiter schützen

Dabei dient die Digitalisierung jetzt als zuverlässigste Akut-Versicherung gegen das Virus. Am Simea-Standort von Siemens in Wien-Floridsdorf zehre man etwa an einer schlagartig höheren Nachfrage aus Asien. „China hat den Aufholprozess gestartet“, erzählt Simea-CEO Stefan Petsch. Der Industrieelektronikhersteller hält derzeit ohne Kurzarbeit am geplanten Jahresausstoß von viereinhalb Millionen Stück Geräten und elektronischen Flachbaugruppen fest - selbst jetzt, wo Prozesse eigentlich festfahren sollten. Die Kopplung cyberphysikalischer Produktionsmodule, die sich untereinander flexibel verbinden, gewinnt am Standort gegenüber den „harten Konfigurationen“ an Relevanz, sagt Petsch.

Und mit der digitalen Spiegelung von Fabrikprozessen - Siemens hat hier seit dem Zukauf des texanischen Softwareherstellers UGS 2007 sein Softwareportfolio gestärkt - lassen sich nicht nur Mitarbeiter an Maschinen anordnen, um möglichst hohe Auslastung zu schaffen. Genausogut kann eine Anordnung auch nach dem Gesichtspunkt der Gesundheit erfolgen. „Wir simulieren die Belegung von Produktionsmaschinen aktuell so, dass Mitarbeiter einer Risikogruppe Schutz erfahren und trotzdem ein Produktivitätsmaximum erreicht wird“, sagt Petsch.

Dass digitales Handwerk einen goldenen Boden hat, ist auch im Thüringer Produktionswerk des Industrieautomatisierers Weidmüller sichtbar. Wo Millionen von Gerätesteckverbindern und Kabel produziert werden, hat man die Unwägbarkeiten der Immobilisierung längst ausgeschaltet. „Wir haben Wege ohne Ende“ eingespart“, erzählt Patrick-Benjamin Boek, der Digitalisierungsspezialist im Konzern. In der Montage erfolgt die Mengenbuchung oder das Melden von Ausschuss an den Stationen durch Mitarbeiter mithilfe eines direkten MES-Zugriffs über Apple-Tablets. „Durch den Wegfall von Shared Devices - stattdessen nutzt man Tablets an allen Maschinen - reduzieren sich für Bediener die Infektionsrisiken“, sagt er. Auch in der Spritzgießfertigung behält man durch Fernzugriff auf Maschinenparameter die Kontrolle. So bleibt man im harten Wettbewerb mit den nicht minder stark automatisierten deutschen Mitbewerbern in Schlagdistanz.

Digitaler Backbone. Weil er Werke flexibilisiert.

Wettbewerb war zuletzt weniger die Sorge von Wolfgang Meyer - es kam dicker. Investitionssperren großer Abnehmer der Automobilindustrie machten dem Chef des Gummispritzgießmaschinenbauers Maplan bereits zum Jahresanfang zu schaffen. Auf Kurzarbeit folgte per ersten April Corona-Kurzarbeit. Und doch ist am Standort die Zuversicht zurück. Die Linie sei aktuell zu 80 Prozent belegt. Asien habe wieder angezogen, unter den Abnehmern der letzten Wochen seien auch Abnehmer aus der amerikanischen Automobilzulieferindustrie. Die Priorisierungsstufen quer durch alle Ein- und Ausgänge würden sich nun mehrmals täglich ändern, weil wieder irgendwo ein Lieferant festsitzt.

Dennoch sei das Werk „jetzt genauso gut steuerbar wie unter Vollast“, heißt es in Kottingbrunn. Das liegt am „auftragsfeinen“ (O-Ton Meyer) Produktionsplanungstool, auf das man seit einiger Zeit aus einer Pioniermotivation heraus setzt. „In kürzester Zeit - und auch aus dem Home Office - können wir die Reihenfolge bei Fertigung und Auslieferung von Maschinen jederzeit switchen“, sagt Werksleiter Oswald Steinbauer. Ein unbezahlbarer Vorteil in diesen Stunden. Von der Mittelfristplanung hat man sich vorübergehend - und ohne viel Bauchweh - verabschiedet.

Schauplatzwechsel in die burgenländische 3.000-Seelengemeinde Siegendorf. Aus dem Home Office heraus wird dort dieser Tage der Anlauf eines neuen Produkts für Bosch Siemens-Hausgeräte im Melecs-Werk in Zentralmexiko gesteuert. Als Reaktion auf die sinkenden Bedarfe der OEMs bei Automobilkomponenten wie Steuergeräten für Allradfahrzeuge blieb die Produktion im burgenländischen Standort bis Mitte April geschlossen. Die Arbeit an Industrialisierungsprojekten läuft dennoch weiter, nur eben weitgehend zuhause. "Die remote Arbeit ist bei Melecs schon seit Jahren üblich", heißt es im Unternehmen.

2015 hat Georg Loisel schon das Projekt eines komplett neuen Werkes in China - von der Gebäudeplanung bis zu Bewerbergesprächen - teils aus der Ferne abgewickelt. Mexiko aber kam ohne Vorlauf. In der zweiten Märzhälfte bricht ein dreiköpfiges Team von Melecs die Adaptierungen der Produktionsprozesse in der Einmillionenstadt Querétaro nach Reisewarnungen des Außenministeriums überstürzt ab. Jetzt steuern sie - ohne gesundheitliche Risiken und trotz der siebenstündigen Zeitverschiebung – die Inbetriebnahme eines neuen IT-Systems für die Produktionslinien. „Sogar das Echtzeitmonitoring der mexikanischen Produktion“ sei möglich, sagt Loisel.

Hoffen auf die alte Ordnung. Weil sie besser ist als der Status Quo.

Hält die Digitalisierung das Produktionsgetriebe am Laufen, schafft sie ein anderes Problem nicht aus der Welt. Man wird mit dem Virus eine Weile leben müssen. Manche gewinnen dem eine Pointe ab. Einer davon ist Heinz Paar. „Wir sind ja nicht die Tanzkapelle auf der Titanic“, hält der Chef von Fischer Edelstahlrohre Austria wenig von Trübsalblasen. Der Griffener Betrieb befindet sich laut Paar in einer Komfortzone, „in Woche sieben nach der neuen Zeitrechnung fahren wir unbeeeindruckt dreischichtig auf allen Anlagen“, erzählt er. Zu den Maßnahmen aus dem Repertoire der Kärntner gehören mittlerweile Corona-Klassiker wie eine Postschleuse, das externe Klo für Lkw-Fahrer und Desinfektionssäulen, die als Vorbereitung für die Influenzawelle schon im letzten Frühjahr besorgt wurden.

Aber auch er weiß: Es wird einen einen längeren Atem als sonst brauchen. Nicht zufällig ließ Paar vor ein paar Tagen eine Hygienezelle für externe Dienstleister installieren. In diesen mobilen Plexiglaswürfel erhalten Besucher, ohne das Betretungsverbot zu beugen, über ein separates Rolltor Zugang. „Sie können in wiederkehrenden Intervallen ungehindert Überprüfungen für Hebemittel und Kalibirierungen vornehmen“, sagt Paar. Ein etwas steifer Empfang. Aber wirkungsvoll.

Vor dem Sommer rechnet auch Franz Mathi, COO des Technologiekonzerns Knapp, nicht mit grundlegend neuen Rahmenbedingungen. „Nationalstaatliches Denken wurde zur Ultima Ratio erhoben“, bedauert er. „Diese Entwicklung werde nun - zulasten globaler Lieferketten - vorerst anhalten. Einige Montage- und Inbetriebsetzungstätigkeiten würden „darniederliegen“, meint er.

In der Produktion in Hart - Maschinenbediener und Assemblierer werken nun im Dreischichtbetrieb - sei man dafür gerüstet. Bedarfe der Fertigung steuert man - ein Vorteil zu starren linearen Systemen - auf die Sekunde genau. Dazu füllen sich Puffersysteme automatisiert und abhängig vom Produktionslos. Soweit also läuft es für Mathi, der beinahe jeden Tag im Büro zugegen ist, gut. Das wachsende Bedürfnis nach sozialer Nähe aber spüre er. Ebenso jenes, nach „höherem zu streben“. Und so treibt ihn die Rückkehr in die alte Ordnung an.

Zu jener sehnt sich auch die Mehrheit jener rund eintausend Prozessingenieure der Infineon-Belegschaft in Villach zurück, die „aktuell per Teleworking arbeiten“, erzählt Produktionsvorstand Thomas Reisinger. Über eine IT-Landschaft mit mehreren hundert Applikationen greifen Mitarbeiter von zuhause auf Anlagen- und Prozessparameter sowie Produkt- und Testdaten zu. Im Reinraum werken die Mitarbeiter abwechselnd im Schichtbetrieb - Arbeitsbedingungen ähnlich jenen im hochautomatisierten Schwesterwerk in Dresden, in dem Mitarbeiter schon mal ganz gern der Einsamkeit entfliehen würden.

Deshalb werden in der neuen Halbleiterfabrik, die in Villach in den Himmel wächst, alle 150 Bediener die Produktions-Steuerer gemeinsam einen Leitstand außerhalb des Reinraums beziehen. Grosse Halbleiterhersteller wie etwa Intel haben uns dazu inspiriert, sagt Reisinger. Produktionsstart der Fabrik ist Ende 2021. Bis dahin sei „ein Reinraum aufgrund der oftmaligen Luftwechselrate, der hohen Filtereffektivität und der Schutzkleidung wohl der denkbar unwahrscheinlichste Ort, um sich mit einem Virus anzustecken“, sagt Reisinger.