Arbeitsmarkt : Kärntner AMS-Chef: "Es gibt zu wenig bezahlte Arbeit für alle"

Mit der Idee verpflichtender Ein-Euro-Jobs für Flüchtlinge kann sich Franz Zewell, der Leiter des Kärntner Arbeitsmarktservice, nicht anfreunden. "Das ist eine rein politische Diskussion." Im APA-Interview spricht er über die Situation am Kärntner Arbeitsmarkt, Mindestsicherung, Sanktionen für Arbeitsunwillige und sagt, was er sich für die Vermittlung von Alleinerzieherinnen wünscht.

Arbeitsvolumina bleiben gleich

"Eines ist klar: Es ist zu wenig bezahlte Arbeit für alle da," sagt Franz Zewell. Die Arbeitsvolumina, also die geleisteten Stunden, seien seit 2011 in etwa gleich geblieben. Teilzeit nehme zu, die Beschäftigung steige, aber: "Ein Gutteil darf an der Gesellschaft mit bezahlter Arbeit nicht teilhaben." Und dabei werde der Status eines Menschen "in unserer Kultur" über die Arbeit definiert. In den Debatten um Kürzungen und Verschärfungen, etwa bei der Mindestsicherung, werde nicht beachtet, welche Beschäftigungschancen es wirklich gebe und wer diese bekomme.

70.000 Menschen sind im Jahr in Kärnten von Arbeitslosigkeit betroffen. Das Kärntner Institut für höhere Studien (IHS) prognostiziert dem Bundesland auch für 2016 und 2017 knapp 26.000 Arbeitslose und eine gleichbleibende Arbeitslosenquote von 11,4 Prozent. Die Entwicklung sei besser als die Prognose, meint dazu Zewell - sowohl bei der Arbeitslosigkeit als auch bei der Beschäftigung. "Für das heurige Jahr ist uns eine Zunahme von 1.100 Arbeitslosen prognostiziert worden, um 4,3 Prozent. Bis jetzt haben wir netto eine Abnahme um 14 oder 0,1 Prozent." Zewell rechnet mit einem besseren Jahresergebnis als 2015.

Anlagenbau und Zulieferindustrie gut aufgestellt

Zu verdanken habe man die Entwicklung einer Konjunkturbelebung in Kärnten, sagt der AMS-Chef, vor allem in den Branchen Bau und Tourismus. "Nach einer Strukturbereinigung im Bau in den vergangenen Jahren funktionieren jetzt die öffentlichen Aufträge wieder." Die zweite Schiene sei der Tourismus. "Dem geht es gut, die haben an Beschäftigung zugelegt."

Die Produktion, "der wirkliche Konjunkturmotor in Kärnten", habe nur leicht zugelegt, sei aber sehr stabil. Vor allem Anlagenbau und Zulieferindustrie seien in Kärnten gut aufgestellt. Um die Mitarbeiter des kürzlich pleitegegangenen Kärntner Anlagenbauers Kresta macht sich Zewell keine großen Sorgen. "Das sind alles gut ausgebildete Fachkräfte. Sollte es dazu kommen, dass Arbeitskräfte freigestellt werden, dann sage ich, die haben wir in sechs Monaten vermittelt."

Hilfskräfte: Verdrängungswettbewerb aus Osteuropa

"Im Kärntner Tourismus kommt es beim Fachpersonal im Sommer immer zu Engpässen, bei Köchen und auch beim Servierpersonal von insgesamt um die 200 Personen." Im Hilfsbereich sieht Zewell einen Verdrängungswettbewerb durch Arbeitskräfte aus den neuen EU-Ländern. Von dort seien rund 5.000 Beschäftigte in Kärnten, vorwiegend im Tourismus, im Dienstleistungsbereich und auch zum Teil im Bau.

Das Problem des Kärntner Tourismus sei die extrem kurze Saison - "drei Monate, zum Teil nur sechs bis acht Wochen mit Spitzenauslastung". In den westlichen Bundesländern werde zudem um ein Viertel bis ein Drittel besser gezahlt. Viele gut ausgebildete nützten dort ihre Chancen.

Flüchtlinge: Der Großteil ohne jede Ausbildung

Aktuell sind beim AMS Kärnten 555 Flüchtlinge gemeldet, vor einem Jahr waren es 160 weniger. "Ich habe eine Handvoll Akademiker, eine Handvoll Maturanten, vielleicht 20 Prozent haben so etwas wie eine Berufsausbildung und es sind viele Personen dabei, die auch in ihrer Muttersprache Analphabeten sind." Am ehesten werde man das Gros der Flüchtlinge in "niederschwelligen Bereichen" unterbringen können, etwa mit Lehren in der Produktion - Metall und Elektro - aber auch im Bau und Tourismus.

Die diskutierten "Ein-Euro-Jobs" seien keine bezahlte Arbeit, betonte Zewell. Die Gefahr bestehe, "dass so etwas eine verdeckte Subvention für Unternehmen ist, die sich bezahlte Arbeit dadurch sparen". Das in einem echten, gemeinnützigen Kontext zu realisieren, sei äußerst schwierig. "Die Erfahrung mit Langzeitarbeitslosen in Deutschland hat gezeigt, dass zwei Drittel keine bessere Integrationschance danach hatten." Außerdem habe es im Pflegebereich eine echte Verdrängung von regulären Arbeitsverhältnissen gegeben.

Unterschied zwischen den Kulturen als größte Schwierigkeit

Bei der Integration der Flüchtlinge werde der Kulturunterschied die größte Herausforderung, meint Zewell. "Es geht darum, die Arbeits- und Wertehaltung unserer Kultur anzunehmen und zu leben - das betrifft besonders junge Männer im Umgang mit Frauen."

Aber auch in Unternehmen übliche Umgangsformen und strukturierte Arbeitsweise seien ein Thema. "Ich schätze, so eine Integration wird zwei Jahre dauern." Aktuell laufe ein Kurs mit 27 Asylberechtigten, in dem die Grundfertigkeiten der Pflichtschule überprüft werden. Für elf von ihnen wurde bereits eine Lehrstelle gefunden.

AMS: Chancengleichheit für Kärntner und neue Bewerber

Einen substanziellen Rückgang bei der Arbeitslosigkeit sei zu erwarten, wenn die Babyboomer - Anfang der 1960er-Jahre Geborene - in Pension gehen. "Es wird einen deutlichen Pensionsknick geben." Dann werde man gut ausgebildete Junge brauchen.

Zewell: "Meine Aufgabe ist es, obwohl es zu wenig Arbeit für alle gibt, Chancengleichheit herzustellen. 70.000 Menschen sind im Jahr in Kärnten von Arbeitslosigkeit betroffen. Da ist eine hohe Dynamik - und eine hohe Betroffenheit."

Die einzige rechtliche Änderung, die sich Zewell von der Politik wünscht, ist eine Ausdehnung der Mindestverfügbarkeit bei Alleinerziehern mit Kindern unter zehn Jahren von 16 auf 20 Wochenstunden. "Ein Teilzeitjob mit 16 Wochenstunden ist kaum auf die Beine zu stellen."

Bezahlte Arbeit für alle reicht nicht

Dennoch: "Letztlich kommen wir immer zu dem Punkt, dass es zu wenig Arbeit gibt." Der Arbeitsmarkt befindet sich nach wie vor unter dem Niveau vor der Wirtschaftskrise. Gegenüber Juli 2008 fehlen heute noch immer 1.400 Beschäftigungsverhältnisse - bei insgesamt knapp 220.000 Beschäftigten im Land, erklärt Zewell. (APA/red)