Interview : IV-Generalsekretär Christoph Neumayer: „Das gibt schon Zuversicht“

Herr Neumayer, viele Werke im ganzen Land produzieren wieder voll, auch Investitionssperren werden wieder aufgehoben. Genau die Nachrichten, die es jetzt braucht?

Christoph Neumayer Auf jeden Fall. Das psychologische Moment ist extrem wichtig. Dass wir nun wieder Zuversicht haben. Und dass es nicht nur auf der Angebotsseite Erfolge gibt, sondern der Funke auch auf die Nachfrageseite überspringt. Das gibt Unternehmen entlang der gesamten Lieferketten Kraft, wenn das Rad wieder zu laufen beginnt. Denn auch wenn wir in der Produktion den Shutdown abgewendet haben, traf die Pandemie einige Branchen und Unternehmen mit ziemlicher Wucht.

Was gibt Ihnen Zuversicht, dass es nun mit stark positiver Tendenz weitergeht?

Neumayer Man muss schon offen aussprechen, dass wir das volle Ausmaß der Coronapandemie erst in den nächsten Monaten sehen werden. Vor allem im Projektgeschäft, in dem noch Aufträge des Vorjahrs in den Büchern stehen und jetzt abgearbeitet werden. Hier ist es wichtig, dass rasch Aufträge nachkommen. So gesehen wird es einen langen Atem brauchen. Und ein gewisses Maß an Sicherheit, was eine allfällige zweite Welle betrifft und den Handel mit unseren Exportpartnern. Es gibt positive Anzeichen, dass eine zweite Welle zu vermeiden ist, wenn man geschickt vorgeht und sich auch Erfolge bei Impfung und Medikation einstellen. Auch bei der Öffnung unserer wichtigsten Exportpartner - etwa Italien, unserem drittstärksten Partner - zeichnen sich ein Fortschritt ab. Das gibt schon Zuversicht.

Sie plädieren für rasche, EU-weit akkordierte Grenzöffnungen. Wie realistisch ist Schulterschluss?

Neumayer Wir müssen gesamteuropäisch denken: Wenn Tschechien, Slowakei und Ungarn nun abgestimmt die Grenzen auch mit Österreich öffnen, wäre meine Hoffnung als Europäer, das konsequent breiter zu denken. Dann wäre viel gewonnen. Denn es gibt nicht nur den Warenverkehr und die Pendler, sondern auch Montageteams und Geschäftsreisen, die jetzt das Neugeschäft ankurbeln müssen. Gelänge hier ein Durchbruch, ginge es für uns alle wieder flotter aufwärts. Ich bin zumindest zuversichtlich, dass wir nach der langen Schrecksekunde gesamteuropäisch verstanden haben, dass es Abstimmung braucht. Auch global.

Wie lässt sich Wettbewerbsfähigkeit am Standort im Wiederanlauf nun absichern?

Neumayer Unser Zugang folgt klar Churchills Motto „Never waste a good crisis“. Die Effizienz im Staat muss – wann, wenn nicht jetzt – gesteigert werden, eigenkapitalstärkende Maßnahmen müssen gesetzt werden. Nicht weniger wichtig wäre es, weiter Investitionen anzuregen, etwa durch Freibeträge. Und es braucht weiterhin ein klares Bekenntnis zur Forschung und Entwicklung, speziell in Zukunftsfeldern wie beispielsweise Wasserstoff oder der Mikroelektronik. Und wirklich virulent ist das Kapitel Kreditversicherungen für Exporte. Die öffentliche Hand sollte einen Teil der Risiken tragen. Deutschland hat einen großen Schirm aufgespannt. Bei uns sehe ich das noch nicht.

Coronakrise, grüne Nachhaltigkeit, gesellschaftlicher Auftrag: Unternehmen müssen sich einer immer größeren Verantwortung stellen und fordern finanzielle Hilfen. Angesichts der Tragweite der Coronakrise wird die Mittelaufbringung aber kreativ erfolgen müssen, oder?

Neumayer Österreich-spezifische Studien belegen, dass Budgetkonsolidierung und ein Investitionskurs einander nicht ausschließen. Beseitigen wir die Ineffizienzen im Staatsapparat, ginge es sogar ohne Einführung neuer Steuerinstrumente.

Sehen Sie eigentlich Spielraum für eine größere Welle der Re-Regionalisierung?

Neumayer In den letzten Wochen wurde uns die Verletzlichkeit der Lieferketten vor Augen geführt. Aber auch, wie arbeitsteilig unsere Welt mittlerweile geworden ist. Überlegungen, strategisch wichtige Bereiche wie die Lebensmittel- oder Pharmaindustrie stärker im Land zu haben, sind sinnvoll. Die Vorteile von Globalisierung aber sind unstrittig. Wir profitieren bei der Preisgestaltung und Produktstandards. Dies einzuschränken, wäre ziemlich unklug.

Die letzten Wochen waren von Krisenmanagement geprägt. Welche neue Facette bringt Corona ins Leadership?

Neumayer Das Tempo der Coronapandemie war außergewöhnlich. So etwas erlebt man in meiner Generation wohl „once in a lifetime“. Das waren Tage, die nicht nur die ökonomische und gesellschaftspolitische Kraft einer Marktwirtschaft und eines funktionierenen Industriestandorts offenlegten. Es zeigte sich auch die Qualität von gutem Management. Unternehmen stellten sich buchstäblich jede Sekunde agil auf neue Situationen ein. Vieles davon wird Bestand haben. Und das gibt Zuversicht: Wir sind ein Industrieland, das alle Chancen hat, aus der Situation gestärkt hervorzugehen.

Christoph Neumayer, 53, ist seit 2011 Generalsekretär der Industriellenvereinigung. Der ausgebildete Historiker und Kommunikationsspezialist startete seine berufliche Laufbahn 1992 in der Politikredaktion des ORF. Neumayer, ein gebürtiger Wiener, ist verheiratet und Vater von zwei Töchtern.

>> Lesen - bzw. hören - Sie auch das Podcast-Interview mit Martin Ohneberg, der sich für den Posten des IV-Präsidenten beworben hat. Warum glaubt er, der beste Kandidat für diese Aufgabe zu sein?