IoT-Plattformen : Ist das die Zeitenwende in der Automobilindustrie?

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Wenn das nicht nach einer Zeitenwende klingt: Ausgerechnet die Automobilindustrie will ihre Forschung und Entwicklung in Zukunft auf offene Cloud-Plattformen verlegen. Auf Plattformen wie GitHub, auf die Unternehmen ihre Softwareprobleme hochladen in der Hoffnung, unabhängige Entwickler würden dafür eine geeignete Lösung finden. Und um den Preis, dass Lösungen, die auf diese Weise entstehen, niemals geheim bleiben und von jedem genutzt werden können – auch von der Konkurrenz.

Dabei ist die Automotive-Industrie bisher ganz radikal darauf bedacht gewesen, die eigenen Entwicklungsergebnisse zu schützen. Das ging sogar so weit, dass ein großer österreichischer Player aus der Branche über Jahre erfolgreich den Bau einer Reihenhaussiedlung in der Nähe seiner Betriebsstätten zu verhindern wusste. Das schlagende Argument dabei: Die geplanten Reihenhäuser könnten als Standort für Industriespionage genützt werden.

Und nun das: Gemeinsam mit Microsoft kündigt BMW eine Open Manufacturing Platform (OMP) an, in der man Lösungen entwickeln will, die frei zugänglich und ohne Lizenzen nutzbar sind. Während sich VW im Rahmen einer Partnerschaft mit Siemens und Amazon derzeit noch an einer konzerninternen „Industrie-Cloud“ abmüht, bestätigt Erich Barnstedt, Head of Azure Industrial IoT bei Microsoft, auf eine Anfrage des INDUSTRIEMAGAZIN: „Die OMP ist offen für verschiedene Hersteller, Lieferanten und weitere Partner der Automobil- und Fertigungsindustrie – unabhängig von ihrer Beziehung zueinander.“ Im Klartext gesprochen heißt das: Auch Konkurrenten sollen hier gemeinsame Sache machen dürfen.

Erste Use Cases bis Jahresende

Bis Ende des Jahres will man mit zunächst vier bis sechs Partnern fünfzehn Anwendungsfälle entwickeln. Welche Bereiche diese Fälle betreffen, bleibt allerdings unklar. „Sobald es hierzu Konkretes zu verkünden gibt, werden wir Sie gerne informieren“, heißt es dazu bei BMW.

So viel erzählt Sascha Molterer, Leiter BMW Group IoT Plattform, dann allerdings doch: Was auf der OMP-Plattform entwickelt werden soll, sind Teile bzw. Anwendungen, vor deren Diebstahl sich ohnehin kein Unternehmen fürchten muss. „Die Open Manufacturing Platform adressiert die Entwicklung von nicht-differenzierenden Komponenten“, erklärt er.

Gerade auf diesem Feld sei es sinnvoll, auf gemeinschaftliche Lösungen zu setzen: „Damit werden Entwicklungskosten und -risiken signifikant reduziert.“ Wenn ein Unternehmen eine auf der Plattform entstandene Anwendung zu einem Produkt ausbauen will, das als Unterscheidungsmerkmal gegenüber der Konkurrenz dienen soll, könne es diese Anwendung aber natürlich im eigenen, geschützten Rahmen weiterentwickeln. Doch als Grundlage für die Erarbeitung allgemein einsetzbarer Features stelle eine Open Manufacturing Platform heute den besten Weg dar, ist Molterer überzeugt: „Wir glauben an das Konzept eines Open-Community-Ansatzes, um die Entwicklung innovativer industrieller IoT-Lösungen zu beschleunigen.“

Kostendruck als Grund für Offenheit

Frank Mantwill, Professor für Maschinenelemente und rechnergestützte Produktentwicklung an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, bestätigt, dass heute nahezu alle großen Automobilhersteller eine Wende zu offener Entwicklung vollführen. Den Grund dafür sieht er allerdings weniger in einer neuen Kooperationsbereitschaft, sondern vielmehr in beinharten ökonomischen Zwängen: „Alle OEMs ringen um Budgets für alternative Fahrzeugkonzepte. Dabei fallen manche Sicherheitsbedenken und die Sorge um die Kontrolle über die eigenen Daten weg. Wobei man natürlich sagen muss, dass sich die Cloudanbieter in dieser Frage inzwischen deutlich weiterentwickelt haben.“

Als wahrscheinlichste Anwendungen, die in Zukunft auf offenen Plattformen entwickelt werden, nennt auch Mantwill all jene Prozesse, die nicht unmittelbar differenzierend für die einzelnen Produzenten sind, etwa Logistikautomatisierungen oder auch Condition Monitoring. Dass sich die Auto-Hersteller durch die Auslagerung der Entwicklung in die Cloud auch einen Teil ihrer IT-Kosten sparen, sei ein weiterer Grund, der den Schwenk zu offenen Plattformen beschleunigt, sagt der Professor.

Wo verschiedene Akteure auf einer Plattform zusammenarbeiten sollen, ist eine Normendiskussion allerdings auch nicht weit. Die von BMW und Microsoft eingerichtete Plattform ist mit RAMI 4.0, der bestehenden Referenzarchitektur für Industrie 4.0, kompatibel und nutzt unter anderem den industriellen Interoperabilitätsstandard OPC UA. Als einen Wegbereiter, der Standards vorgibt, mit denen in Zukunft alle Akteure aus der Branche ihre Daten teilen müssen, will man sich aber definitiv nicht sehen: „Die OMP ist kein Standard-Konsortium, vielmehr geht es darum, den gemeinsamen Herausforderungen der Branche gerecht zu werden, wie zum Beispiel der Datenanbindung von Maschinen und der Systemintegration vor Ort“, sagt Erich Barnstedt von Microsoft.

Und Sascha Molterer von BMW ergänzt: „Viele Standardisierungsorganisationen konzentrieren sich auf einen bestimmten Bereich wie zum Beispiel die Festlegung von Protokollen oder die Ermöglichung der Interoperabilität.“ Das sei zwar richtig und wichtig, aber nur ein erster Schritt. „Was wir anstreben, ist ein Plug-and-Produce-Ansatz.“