Finanzfirmen : Industriekonzerne werden zur Spielwiese aggressiver Finanzfirmen

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Sie haben die Aufspaltung von Thyssenkrupp erzwungen, den Verkauf von Stada angeschoben und dem SAP-Vorstand Beine gemacht: Deutschland ist zur Spielwiese aktivistischer Investoren geworden. Ein paar Prozent der Aktien reichen den vor allem aus den USA kommenden Fonds oft schon, um ihren Einfluss geltend zu machen und Veränderungen anzustoßen, die zum Teil jahrzehntelang tabu waren.

Als einer der ersten "Aktivisten" entwickelte sich der US-Investor Paul Singer mit seinem Hedgefonds Elliott zum Vorstandsschreck. Die Unternehmensberatung Alix Partners zählte von 2016 bis 2018 allein in Deutschland 26 aktivistische Kampagnen. Doch die Manager in den Konzernen haben inzwischen gelernt, mit den Forderungen der aggressiven Aktionäre umzugehen - oder ihnen sogar zuvorzukommen.

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Als Bayer kürzlich überraschend seine harte Linie im Umgang mit den Glyphosat-Klagen änderte, die den Aktienkurs schwer gebeutelt haben, reagierte Elliott umgehend mit einer eigenen Erklärung und unterstützte den neuen Kurs - kein Zufall. Der Investor, der sich mit gut zwei Prozent bei Bayer eingekauft hatte, hatte im Hintergrund Druck gemacht. "Wir suchen immer den Kontakt zum Vorstand", beschreibt Franck Tuil, Senior Portfolio Manager bei Elliott, im Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters das typische Vorgehen. "Geändert hat sich nur, dass sie jetzt anfangen, uns zuzuhören."

Richard Thomas, der für die Investmentbank Lazard Firmen im Umgang mit ihren Anteilseignern berät, spricht von einem "echten Erwachen", einem "dramatischen Wandel": Vor zwei Jahren noch hätten sich viele deutsche Konzerne keine Gedanken über aktivistische Anleger gemacht. "Jetzt bekommen wir immer mehr Anrufe von Vorständen und Aufsichtsräten." Als Elliott im April mit 1,3 Milliarden Dollar bei SAP einstieg und forderte, den Gewinn und damit den Börsenwert zu verdoppeln, fuhr Vorstandschef Bill McDermott eine Umarmungsstrategie: Elliott sei "ein fantastischer Investor" und habe dieselben Ziele wie er selbst, schwärmte er.

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So herzlich werden Elliott & Co nicht überall empfangen. Doch ignorieren lassen sie sich nicht. Allein die größten zehn aktivistischen Fonds hatten nach Daten von Lazard Ende März 76 Milliarden Dollar (68 Mrd. Euro) in Unternehmen weltweit investiert. 2017 und 2018 kauften sie sich für jeweils mehr als 60 Milliarden Dollar bei börsennotierten Firmen ein. Dabei dürfte die Dunkelziffer noch höher sein, glaubt Lazard-Berater Thomas: "Die Zahl der Fälle, die nicht ans Licht der Öffentlichkeit kommen, dürfte zweimal so hoch sein wie die bekannten Fälle."

Denn erst wenn sie beim Management auf taube Ohren stoßen, machen Aktivisten ihre Forderungen öffentlich. Oft lässt sich nur mutmaßen, dass dem Wandel eines Firmenchefs vom Gegner zu einem Befürworter von Aktienrückkäufen der Besuch eines aktivistischen Fondsmanagers vorausgegangen sein könnte.

"Dann muss eben die Rendite höher sein"

Dabei sind es bisher nur wenige aktivistische US-Fonds, die den Sprung nach Deutschland wagen. Das Modell mit Vorstand und Aufsichtsrat, das es ihnen erschwert, Einfluss zu nehmen, die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat - das schreckt viele ab. Denn die Lösung, die die meisten Aktivisten vorschlagen, ist ein Verkauf oder eine Aufspaltung des Unternehmens. "Thyssenkrupp war der Testfall, wie aussichtsreich ein aggressiverer Ansatz in Deutschland sein kann", sagt Thomas. Den Investoren sei klar, dass sie in Deutschland einen längerem Atem brauchten, "Wenn man keinen Zeithorizont von einem Jahr hat, sondern von drei oder vier Jahren, muss eben die Rendite höher sein." In USA kommen Aktivisten in der Regel schneller ans Ziel, zwei Drittel der Kampagnen weltweit spielen sich dort ab.

Deutsche Industrie: "Das gibt Aktivisten jede Menge Chancen"

In Deutschland etwas bewegen zu wollen, könne aber lohnend sein. "Die Großkonzerne habe komplexe Strukturen, und einige haben mit dem Umbau gezögert - das gibt Aktivisten jede Menge Chancen", sagt Thomas. Elliott stand im vergangenen Jahr allein hinter vier von zehn aktivistischen Kampagnen in Deutschland. Der Investor hält in Deutschland nicht nur Anteile an Bayer, SAP und ThyssenKrupp, sondern auch am Versorger Uniper, am Anlagenbauer GEA und am 3D-Druck-Maschinenbauer SLM Solutions. Doch Franck Tuil hält das für Zufall: "Wir achten nicht speziell auf deutsche Unternehmen." Bayer, SAP, Thyssen und Uniper hätten nur gemeinsam, dass sie Chancen für Verbesserungen böten und Fragen aufwürfen, wie sich dort mehr Wert schaffen lasse.

Anders als in Frankreich seien Aktivisten in Deutschland aber durchaus willkommen, sagt Tuil: "In Frankreich hat unsere Kampagne bei Pernod Ricard gleich das Finanzministerium auf den Plan gerufen, das vor den Gefahren durch aktivistische Investoren gewarnt hat. In Deutschland hört man allen zu." Selbst klassische Vermögensverwalter wie Union Investment oder Deka, die lange viel Geduld mit deutschen Managern hatten, machen inzwischen mitunter gemeinsame Sache mit den Aktivisten - und verstärken damit deren Einfluss. Die aggressiven Fonds seien praktisch ständig in Kontakt mit anderen Aktionären, berichtet Louis Barbier von der Aktionärsberatung Squarewell Partners.

Der nach dem Ende der "Deutschland AG" geringe Anteil von Familien- und Staatsbeteiligungen mache deutsche Unternehmen verwundbar. "Es gibt keine Impfung gegen Aktivisten", sagt Lazard-Banker Thomas. "Wir raten unseren Kunden: Betrachten Sie sich und Ihr Unternehmen aus dem Blickwinkel eines Aktivisten. Und machen Sie die Erkenntnisse zum Thema - reden Sie darüber."

Einer, der das offenbar nicht mehr ignoriert hat, ist Siemens-Chef Joe Kaeser. Forderungen, den Münchner Industriekonzern aufzuspalten, gab es schon lange. Einige prominente Aktivisten hätten gefragt, ob er im Aufsichtsrat Unterstützung brauche - doch er habe abgelehnt, berichtete Kaeser Anfang des Jahres. Im Mai verkündete der Siemens-Chef die Abspaltung der schwächelnden Energiesparte.

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(von Alexander Hübner und Arno Schuetze, Reuters/APA/red)