Interview : Hirschmann-Automotive-COO Ganahl: "Werden die Niedervolt-Kompetenz nicht aufgeben"

Hirschmann Automotive-Chef Ganahl
© MARCEL A. MAYER PHOTOGRAPHER

INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Ganahl, Mitte April ging in Shanghai die electronica China über die Bühne, als dreitägige Präsenzveranstaltung und mit vollen Messehallen. Waren Sie zugegen?

Markus Ganahl: Natürlich wären wir gerne mit Vertretern aus Rankweil vor Ort gewesen, die aktuellen Reisebedingungen lassen dies aber nicht zu. Wir haben von Rankweil aus mitkoordiniert, der Auftritt lag aber bei der lokalen Mannschaft in besten Händen.

Global tun sich Impfgräben auf - erleben Sie das auch im Unternehmen?

Ganahl: Das Bild ist sehr divers. In unserem Entwicklungs- und Vertriebszentrum in Michigan sind fast schon alle Kollegen geimpft. Auch in China haben wir Stand heute eine gute Impf-Rate von rund 50 Prozent. Wie weit wir in Österreich sind, brauche ich Ihnen ja nicht sagen. Unter den gegebenen Prämissen sind wir dennoch mit dem Impfortschritt sehr zufrieden.

Mit der in den Zweitausenderjahren eingeleiteten Internationalisierungsoffensive wuchs Hirschmann Automotive mit Produkten wie Steckverbindungen, Kontaktierungs- und Sensorsystemen sowie Spezialkabellösungen schneller als der Markt, 2019 wurde die 400 Millionen-Euro-Marke geknackt. Ist jetzt für längere Zeit die Luft raus?

Ganahl: Wir blicken zurück auf eine extrem erfolgreiche Dekade mit zweistelligen Wachstumsraten. 2019 war das erste schwierigere Jahr. Da kam vieles zusammen: Handelskriege, Strafzollandrohungen, verschärfte Emissionsziele als Folge des Dieselskandals und die Sorge um den Brexit. Dennoch sind wir immer noch gewachsen und gingen mit einem Wachstumsplan ins Jahr 2020 hinein. Anfang Jänner reiste ich im Rahmen des chinesischen Neujahrsfests nach Nantong, um die Leistungen der Mitarbeiter zu würdigen. Dass da irgendwo in Wuhan ein Virus grassiert, hörte man am Rande.

China ist jetzt sicher die Lokomotive, die uns aus dem Konjunkturtal führt. Auch in den USA verzeichnet die Automobilindustrie wieder Wachstum. Europa hängt noch etwas zurück, wenngleich wir auch hier wachsen. Die von der Elektromobilität entfachte Dynamik ist aber auch hier groß.

Zu Ihren Abnehmern zählt auch ein Tesla.

Ganahl: Das ist ein schöner Erfolg. Ein hochinnovativer OEM, mit dem wir in Zukunft mehr machen wollen. Wie auch mit den deutschen OEMs und allen Kunden weltweit wohlgemerkt.

2017 entfiel bereits rund die Hälfte der Neuprojekte auf Hochvoltprodukte. Wird ihr klassisches Geschäft mit Steckverbindungen und Kontaktierungssystemen im Niedervoltbereich obsolet?

Ganahl: Eine gute Diversifikation war und bleibt wichtig. Wir werden unsere traditionelle Kompetenz im Niedervoltbereich nicht aufgeben. Auch dort wachsen wir. In den USA werden wir unser Niedervolt-Portfolio breiter platzieren. Und wir sind der Platzhirsch für maßgeschneiderte Kundenlösungen für namhafte OEMs und Zulieferer, mit denen wir in engem Kontakt stehen. Ich denke an die Verbindungslösungen für Fahrzeugfeatures wie Luxuskomfortsitze, sensorisierte Türgriffe oder innovative Fahrwerksverkabelungslösungen.

Vom Anfertigen hochpräziser Stanzteile über die Leitungsverarbeitung bis hin zur vollautomatischen Produktion von Steckergehäusen – mit unseren eigenen Werkzeugen und Montageautomaten - liefern wir Lösungen aus einer Hand.

Konnten Sie den Mitarbeiterstand halten?

Ganahl: Mit einem leichten Umsatzminus von sieben Prozent erwirtschafteten wir ein solides Ergebnis. Wir betrieben keinen Personalabbau. Wir nutzten global intensiv das Instrument der Kurzarbeit, um die Kompetenzen im Unternehmen zu halten. Und wir behielten Recht damit. Im vierten Quartal explodierten die Kundenbedarfe förmlich. Insbesondere an den Standorten Târgu Mureș und Kenitra mit hohem manuellen Arbeitsanteil holten wir in der Folge sogar neue Mitarbeiter ins Boot. Global stockten wir unser Personal gegenüber dem April des Vorjahrs um über 600 Mitarbeiter auf.

Hirschmann Automotive hat sich für heuer Investitionen von 100 Millionen Euro vorgenommen. Hält der Plan?

Ganahl: In vollem Umfang. Im Stanzkompetenzzentrum in Freyung in Niederbayern etwa befinden wir uns aktuell in Miete und kaufen nun das Gebäude zu, am rumänischen Standort Târgu Mureș erweitern wir die beiden Werke um eine weitere Halle. In Rankweil wurde in ein komplett neues Bürogebäude, in dem wir unsere Entwicklungsteams interdisziplinär zusammenführen, investiert. Ende des Jahres wird der Bau bezogen. Weiters laufen Investitionen in Produktinnovationen, Produktionsanlagen, Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Und bis 2023 wird unser neues Logistikgebäude mit automatisiertem Materialfluss fertiggestellt. Der tschechische Standort stand dafür Pate.

Neben dem Stammwerk in Rankweil betreibt Hirschmann Automotive sechs große internationale Produktionsstandorte. Haben sich in diesem Produktionsnetz in der Pandemie Lücken aufgetan?

Ganahl: Wir sind gut aufgestellt. In Rankweil erfolgt die Produktion mit vollautomatischen Anlagen, hier sind wir bereits voll ausgelastet. Um unsere Produktionskapazitäten zu erhöhen, wurde unser Standort Vsetin in Tschechien um ein - ebenfalls hochautomatisiertes Werk - erweitert. Semiautomatisierte Produktions-Prozesse sind vorwiegend in Rumnänien allokiert. Der Standort liegt auch in hervorragender Reichweite zu den Abnehmerwerken deutscher OEMs.

Sie haben über Ihre Standorte eine Matrixorganisation gespannt.

Ganahl: Wir können damit eine große Kompetenz ausspielen: Dem Multiplizieren von standardisierten Prozessen. Bei jedem Erweiterungsschritt können wir zur Gänze unsere weltweit aufgesetzten Best-Practice-Prozesse in den neuen Standort kopieren. Auch unsere Produktionsanlagen sind standardisiert. In Tschechien haben wir exakt die gleichen Maschinenstandards, also Spezifikationen, wie in Österreich. Auch in China arbeiten Maschinen zum Spritzgießen oder zur Leitungsbearbeitung, die genauso gut hier in Rankweil aufgebaut sein könnten. Erst im zweiten Schritt sehen wir uns in den Märkten nach lokalen Alternativen um. Dann, wenn die Mitarbeiter die Kompetenz aufgebaut haben, die Spezifikationen und Abnahmen selbst in die Hand zu nehmen.

Und jeder aus der Belegschaft, egal ob in Mexiko oder China, trägt dann auch Rankweiler DNA in sich?

Ganahl: Wir alle sind Platzhirsche. Das Verbindende ist ganz wichtig. Und natürlich, dass wir ein Unternehmen in Familienbesitz sind.

2003 übernahm das Fruchsafthersteller-Brüderpaar Franz und Roman Rauch das Unternehmen. Welchen Unterschied macht es, wenn der Eigentümer nur ein paar Straßen weiter domiziliert ist?

Ganahl: Die Strahlkraft - auch über die Region hinweg - ist natürlich groß. Operativ haben wir alle Freiheiten, gleichzeitig gibt es einen regelmäßigen Austausch mit unseren Eigentümern. Die Herren Rauch sitzen auch im Aufsichtsrat des Unternehmens und geben maßgebliche strategische Entscheidungen und Investitionen frei. Und wir wollen alle dasselbe: Gemeinsam nachhaltig profitabel zu wachsen.

ZUR PERSON

Markus Ganahl, 49,

ist seit Juni 2018 COO bei Hirschmann Automotive. Der studierte Betriebswirt und Ingenieur kann auf eine Karriere in unterschiedlichen Branchen, Unternehmen und Funktionen, unter anderem beim US-Nahrungsmittelhersteller Mondelēz zurückblicken. Seit 2012 ist er für Hirschmann Automotive tätig. Bis Oktober 2015 führte er den Bereich Logistik des Automobilzulieferers, ab November 2015 übernahm er die Leitung der Bereiche Produktion und Technologie und baute sich dadurch auch ausgezeichnetes Firmen-Know-how auf. Ganahl ist veheiratet und Vater von zwei Kindern.