Corona-Strategien : Heißer Herbst

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Das Ergebnis des globalen Verkaufsmeetings Anfang Mai als „superoptimistisch“ zu bezeichnen, dafür ist Harald Scherleitner zu sehr Realist. 26 Jahre ist er jetzt im Fronius-Konzern, und ja, es gab angenehmere Momente in seiner Karriere. Wenn der Chef der globalen Schweißtechnik-Sparte etwas positives festhalten kann, dann zwei Dinge. Die Heimwerker und Bastler sind in ihrem Element und zimmern und schrauben, als gebe es kein morgen. Gut für einen Hersteller von Schweißapparaten. Zugleich fahren die Automobilwerke - etwa VW in China - schrittweise hoch.

Etwas ganz anderes gibt Scherleitner zu denken. Eingeschlossen im Land, den eigenen vier Wänden „kletterten die Nettoarbeitszeiten im Konzern massiv in die Höhe“, erzählt er. Interne Abstimmungsmeetings fanden reihenweise per Skype statt, lokale Manager wurden in der Entscheidungshierarchie aufgewertet. In gerademal drei Wochen erreichte das Team am indischen Standort Pune über Webinare im Alleingang mehr als 20.000 Kunden am Subkontinent.

Scherleitner, ein notorischer Vielreiser, der in São Paulo dereinst das Lateinamerikageschäft aufbaute und es als große Freiheit empfindet, zu Verkaufsmeetings in Indien oder den Oman zu fliegen, wird die Zügel in den Landesgesellschaften deshalb weiter lockern. „Es geht im Kerngeschäft die nächsten Monate wirklich ans Eingemachte“, sagt er. Und wenn sich Verkaufserfolg dadurch einstelle, die Kollegen machen zu lassen und dabei etwas von der eigenen Freiheit abzugeben, „soll mir das recht sein“, sagt Scherleitner.

Restart. Wochen, die entscheiden.

Lockdown, schrittweise Öffnung, ein erster Anflug von Normalität: Die volle Gefühlsbreite mussten Unternehmen in den letzten Wochen durchlaufen. Gelassenheit war nicht aller Metier. Da erschallte der Ruf nach Schlepphilfe an die Politik, als längst - schneller als die Polizei erlaubt - Geld in die Blutbahn der Wirtschaft gepumpt wurde. Da wurden in Management Boards Maßhalteparolen ausgegeben und Mehreinsatz auf allen Ebenen gefordert und zugleich auf mutige Weichenstellungen für die Zukunft vergessen. Und es wurde einer Re-Regionalisierung das Wort geredet, obwohl vielfach „die Idee und der Schulterschluss dafür fehlen“, wie es AT&S-CEO Andreas Gerstenmayer für die Mikroeelektronik auf den Punkt bringt.

Doch die Mehrheit der heimischen Industrie hat sich tadellos geschlagen. Und hat es jetzt - auch wenn „nur Gott allein weiß“, wann die Krise ausgestanden sei (ein Industriemanager) - wieder einmal selbst in der Hand, für geordnetes Wachstum zu sorgen. Nach dem Grande Finale des Herbstgeschäfts behaupten zu können, mit nur ein paar Kratzern davongekommen zu sein, wird sich zumindest in seiner Branche „zwar nicht ausgehen“, sagt Rudolf Vogl, CEO beim Druckmaschinenbauer Koenig & Bauer. Doch ein sich abzeichnendes Neugeschäft im Wertpapierbereich (O-Ton Vogl: „Es gibt sehr viele Anfragen“) gebe immerhin „extreme Zuversicht“.

Neugeschäft. Weil es auf der Straße liegt.

An gehörigem Optimismus, das Wellental zu durchwaten, mangelt es dieser Tage auch nicht im Stammwerk des Spritzgießmaschinenbauers Engel. Selbst mitgebrachte Jause statt Kantinenmenü, Distanzpflicht zu Kollegen, Anreise schon im Blaumann statt der privaten Kluft, um die Umkleide zu meiden - damit hat sich die Schwertberger Belegschaft, die Mitte April nach einer gefühlt langen Spanne an die Maschinen zurückkehrte, arrangiert. „Endlich wieder am Arbeitsplatz“, atmet ein leitender Mitarbeiter auf. Und endlich taut das schockgefrorene Zentrum der Automobilindustrie auf. Eine Entwicklung, auch Industrieautomatisierer, die an Engel liefern, freut. Aber reicht das für einen nachhaltigen Aufschwung? „In der Industrie muss sich jetzt schrittweise wieder Kraft aufbauen“, ist CEO Andreas Gerstenmayer überzeugt.

Und so liegen dieser Tage große Hoffnungen auf dem Neugeschäft. Da ist ein kreativer Zugang gefragt, weiß Matthias Unger, Miteigentümer und Chef des gleichnamigen Stahlbauunternehmens aus Oberwart. Der 38-jährige (O-Ton: „Jede Investition bringt uns jetzt voran“) ist eins der Gesichter der aktuellen IV-Kampagne, deren Motto („Jetzt kommt´s auf uns an“) er treffend findet. Ums Rausinvestieren aus der Krise geht es hier, und um ein Händchen fürs Neugeschäft in Zeiten, die Rückschläge bereithält. Auch Unger ist davor nicht gefeit. So kam einem der großen Renommierprojekte, der architektonischen Gestaltung von vier Eingangspavillons der Weltausstellung in Dubai, vorübergehend Wüstensand ins Getriebe. Soeben wurde der Expo-Start im Oktober um ein Jahr nach hinten geschoben.

Fast im selben Moment hat Unger - getriggert durch Corona - jedoch einen Markt erschlossen, der wie geschaffen für schöne Umsätze scheint. Onlinelogistiker wie Amazon machen sich in Österreich breit und Unger hat sich mit der schlüsselfertigen Errichtung von Logistikhallen gut positioniert. „Wir schlüpfen auch in die Rolle des Projektentwicklers“, sagt er. Zu den Referenzen zählt die Zustellbasis der Post in Eisenstadt. Auch Amazon errichtet bereits ein Verteilzentrum in Wien und will wachsen „Alle Onlinelogistiker investieren jetzt stark regional“, beobachtet Unger. Das Händchen von Vater Josef bei der Kaltakquise hat sich übrigens auch der Junior bewahrt. So klinkt er sich in Bau-Webinaren im deutschsprachigen Raum gern mal als interessierter Zuhörer ein. Und ist sich nicht dafür zu schade, im Nachgang zum Hörer zu greifen und ein Vertriebsgespräch in die Wege zu leiten. „Ich beziehe mich dann einfach auf das Webinar“, sagt Unger. Das schindet Eindruck. Und verbindet.

Zusammenstehen. Weil das Race-to-the-bottom nur Verlierer kennt.

Viel Platz für Romantik lässt diese Zeit zwar nicht. „Nachdem in Deutschland und Österreich kein Notstand ausgerufen wurde, sind wir als Lieferant immer noch in der Verpflichtung unserer alten Verträge“, erzählt Bernhard Morawetz, CEO des Trauner Maschinenbauers Anger Machining. Folglich könnten Mehrkosten, die ihm in der Supply Chain etwa beim Bezug von Flachstahl oder Maschinenbetten aufgebürdet werden, nicht an OEMs abgewälzt werden. Ebensowenig könnten Kunden im Umkehrschluss saftige Rabatte erwarten. Was dort für die eine oder andere Irritation sorgt. „Es wird versucht, Liefermängel zu behaupten und dadurch Nachlässe zu erwirken“, ortet Morawetz gerade einigen Erklärungsbedarf in der Distributionskette.

Derzeit, erzählt der Industrieanlagenbauer Gregor Kremsmüller, liefen zahlreiche Gespräche, wie mit den Mehrkosten umgegangen wird. „Corona wird Verträge nachhaltig verändern und Risiken werden künftig in irgendeiner Form kalkuliert werden müssen“, sagt Kremsmüller. CEO Andreas Klauser macht jedenfalls klar, sich nicht an einer allfälligen preislichen Abwärtsspirale beteiligen zu wollen. Palfinger-Qualität habe auch in Krisenzeiten seinen Preis, das sei nun mal der Code of Conduct. Die Auftragsbücher sind gut gefüllt, wichtige Ausschreibungen in Indien und Thailand wurden gewonnen. „Mit Rabattschlachten ist niemanden geholfen“, sagt Klauser.

Zumindest einen „Durchhaltebonus“ bietet CNH-Industrial-Österreich-Chef Christian Huber Unternehmen, die jetzt in Landtechnik „made in Austria“ investieren. Die letzten Wochen waren fordernd genug. Sechs Wochen hatte das Produktionswerk in St. Valentin geschlossen, die Versorgung mit Motoren aus Turin und Getrieben aus Modena war unterbrochen. „Jetzt fahren wir wieder voll“, sagt Huber. Am Heimmarkt Österreich braucht es keine Aufholjagd. Das Geschäft blieb nahezu stabil. In der ersten Panik eilten einige Kunden - Szenen eines Börsecrashs oder einer jähen Geldentwertung vor dem geistigen Auge - zum Händler, nur damit das Geld gut angelegt war. Der erste Grünlandschnitt lief gut, die Marktfrüchte scheinen gut zu wachsen, auch für den Herbst ist Huber am Heimmarkt zuversichtlich. Jene Länder, die COVID härter getroffen hat, seien nicht ganz so zuversichtlich. Abstimmungsmeetings mit Teams in Asien, Europa und Amerika gebe es nach wie vor täglich.

Sehr pfleglich mit seinen Lieferanten geht indessen auch der Antriebsbauer BRP- Rotax um. „Wo es Corona-Hilferufe gibt, springen wir ein“, sagt Wolfgang Rapberger, einer von drei Standortchefs in Gunskirchen. Mit einer Verkürzung von Zahlungszielen durch Nachlass von Skonti oder der früheren Abnahme von Lieferungen wolle man die weit über mehrere hundert Partner für den Sommer - die Oberösterreicher starten Anfang Juni wieder mit der Produktion - in eine motivierende Aufschwungs-Dramaturgie einladen.

Weltweit investieren. Weil Globalisierung keine Sackgasse ist.

Bei der, die entsprechenden Rücklagen vorausgesetzt, es auch an Investitionen nicht fehlen darf. Nicht, um dem obersten Säckelwart der Republik frohgemut zu stimmen. Vielmehr, weil sich auch diesmal eine alte Weisheit bewahrheiten wird. Jeder Euro, der jetzt investiert wird, ist gut angelegt. Ein nahezu perfektes Timing gefunden hat der Tiroler Hersteller von Gasmotoren Innio Jenbacher. Schon zum Jahresbeginn war die Übernahme der BHKW & Energie Holding auf Schiene - die Komplexität der Eingliederung in den Konzern in den nächsten Wochen ist überschaubar.

Die Deutschen sind langjähriger Geschäftspartner der Tiroler beim Bau und der Wartung, aber auch dem Vertrieb und Service von Blockheizkraftwerken und Gasmotoren im Leistungsbereich bis 9.500 kWel. Man kennt - keine Übertreibung - einander bis in die Tiefenstruktur. Mehr als 3.500 Jenbacher-Gasmotoren gingen bisher an Kunden in Deutschland, mit einem Schlag liegt mit der Übernahme nun das lukrative Servicegeschäft in den Händen der Tiroler. Nicht erstaunlich, dass Innio-Chef Carlos Lange die Übernahme klar als „Wachstumsprojekt“ versteht, welche sich auch positiv auf das Geschäftsjahr 2020 auswirken sollte.

Weit entfernt von einem Investitionsstau - oder einer löchrigen Kapitaldecke - ist auch der steirische Leiterplattenhersteller AT&S. Der Brexit ausgestanden, die Handelskonflikte zum Gutteil gelöst - zum Greifen nahe war das beste Geschäftsergebnis aller Zeiten. Doch Covid-19 durchkreuzte den schönen Plan. Investiert wird in Leoben jetzt dennoch nicht zu knapp. Zwar liege es „in der Natur unserer Projekte, dass sich Spezifikationen verändern und die Investitionsstrukturen verschieben“, sagt CEO Andreas Gerstenmayer.

Doch am Vormarsch der globalen Megatrends Digitalisierung, 5G oder vernetztes Fahren ändere sich wenig. Bis zu 80 Millionen Euro will Gerstenmayer in Unterhalt und Technologieupgrades im chinesischen Werk Chongqing II investieren, noch einmal eine schöne Stange Geld mehr in Projektanläufe. Zum lukrativen Absatzfeld der IC-Substrate für Mikroprozessoren gesellt sich mit der Modulintegration damit ein zweites hinzu. „Wir erweitern Chongqing zum Kompetenzzentrum“, sagt Gerstenmayer. Als Abnehmer im Auge haben die Steirer etwa die Halbleiterhersteller. „Von der Entwicklung, dem Bestücken bis hin zu den finalen Tests und dem Supply-Chain-Management steuern wir dann den gesamten Prozess“, sagt er. Elf Prozent Wachstum soll es innerhalb des neuen Segments geben.

Mit der Rückkehr der Planungssicherheit reaktivieren auch viele andere ihre Investitionsprojekte. Einer ist der Anlagenbauer Kremsmüller. In Steinhaus betrifft das den Ausbau der Schweißakademie und der Lehrlingsausbildung. „Da es auch nach Corona einen Fachkräftemangel geben wird, steht dieses Projekt als eines der ersten vor der Realisierung“, sagt Geschäftsführer Gregor Kremsmüller. Ungebrochen investiert auch der Kunststoff-Halbzeughersteller Senoplast Klepsch. Zwar muss Geschäftsführer und Gründersohn Günter Klepsch aktuell Auftragsrückgänge in Piesendorf - hier wird seit April kurzgearbeitet - und Umsatzeinbrüche im mexikanischen Werk Quéretaro verbuchen, bei dessen Errichtung vor 20 Jahren er selbst die Fäden zog. China aber sorgt für gute Nachrichten.

Plangemäß erfolgte dieser Tage - ziemlich genau ein Jahr nach dem Spatenstich - die Eröffnung des Standorts Suzhou bei Shanghai. 13 Millionen Euro nahmen die Salzburger dafür in die Hand. Produziert werden am neuen Standort Kunststoffplatten für Thermoformanwendungen. „Der erste Auftrag geht an die chinesische Bahn“, sagt Klepsch. Und auch in Österreich gibt es keine Investitionssperre. Die neue Anlage zur Regenerataufbereitung in Piesendorf geht noch im Juni in Betrieb. Sie erhöht den Rezyklatanteil bei der Fertigung der Kunststoffplatten und ist durchaus als Dienst an der Umwelt zu verstehen.

Umweltethos. Weil Nachhaltigkeit das morgen prägt.

Den immer mehr Unternehmen - auch wenn jetzt jeder auf Krisenbewältigung schaltet - nicht mehr als fakultativ betrachten. Die Unbesorgtheit im Umgang mit den endlichen Ressourcen fehlt etwa dem Industrieanlagenbauer Gregor Kremsmüller. Laut Regierung werde sich Österreich ja aus der Krise rausinvestieren und die Schwerpunkte bei Projekten mit Umwelt- und Klimafokus setzen. „Wir würden uns sehr gerne in einer solchen Projektlandschaft wiederfinden“, sagt er. Wenn ein jahrelang sanierter Altbau plötzlich niederbrennt, „stellt man ja auch nicht wieder den selben Altbau auf“, so Kremsmüller. Sinnvollerweise werde man an diesem Platz „ein zeitgemäßes Haus errichten“. Dass die Aufnahme eines Luxus-Hybrid-SUV aus steuerlichen Anreizen in den Firmenfuhrpark nichts mit nachhaltiger Unternehmensführung zu tun hat, versteht sich in diesen aufgeklärten Kreisen von selbst.

Hofften einige, die Uhren drehten sich infolge der Coronakrise wieder rückwärts und der grüne Deal würde eilens aufgeschnürt, greift bei anderen längst die ökologische Logik. Sogar bei den Autobauern. VW unterwirft alle Lieferanten einem konzernweit gültigen Nachhaltigkeits-Rating. Die Screenings, hört man, sind kein Zuckerschlecken. „Glücklicherweise sind wir dafür gerüstet“, sagt Fronius-Schweißtechnik-Chef Harald Scherleitner. In der Branche ist man damit eine Ausnahmererscheinung.

Wie auch Umdasch im Bausegment. CEO Andreas Ludwig machte sich für die Einführung eines integrierten Reports in der Gruppe stark, auch wenn das deutlich mehr Aufwand im Vergleich zu einem herkömmlichen Geschäftsbericht bedeutet. „Ein solches Reporting ist unglaublich intensiv in der Erarbeitung, aber auch unglaublich motivierend“, sagt er. Vor allem bei den Mitarbeitern kommt die Publikation gut an. „Ich bin überzeugt, dass Menschen lieber für Unternehmen arbeiten, die nachhaltig agiere“, so Ludiwg. Das Integrierte Reporting mache die Verknüpfung des wirtschaftlichen Erfolgs mit dem sozialen und ökonomischen Engagement möglich - „und ist somit ein wichtiges Instrument der Unternehmenskultur, das nach innen wirkt“, sagt Ludwig.

Den Aufbruch in der Umweltpolitik beobachtet nicht zuletzt Austria-Email-Chef Martin Hagleitner mit Wohlgefallen. Rückwirkend ab dem 1. Jänner kann - nach zähem Verhandeln - der Raus-aus-dem-Öl Bonus des Bundes wieder beantragt werden. Als Teil der Sanierungsoffensive, für die mehr als 140 Millionen Euro in den Töpfen liegen, sind 100 Millionen Euro für die Heizungsmodernisierung reserviert. Für Martin Hagleitner ein klarer Auftrag für die nächste Wochen - und passend zum Herbstmotto „Rausinvestieren“. „Österreicher stürmen noch immer die Baumärkte und verbessern die eigenen vier Wände – hier sollte nicht das Heizsystem vergessen werden“.