Serie Produktion von morgen : Hallo, Zukunft

Ein Blick durch diese Brille ist wie eine Zeitreise in die Zukunft: Echte und virtuelle Welt verschmelzen miteinander. Über die Wirklichkeit, auf die der Träger der Brille blickt, legen sich wie auf dem Monitor eines Computerspiels Pfeile, die die Richtung anzeigen, in die er gehen muss. Zahlen tauchen auf, die die Entfernung zum Ziel auf den Meter genau angeben. Und dann wechselt die Farbe von grün auf rot und eine Umrandung legt sich exakt über das Objekt zu dem die Brille ihren Benützer führen sollte. Er muss das gesuchte Objekt, nur noch aus dem Regal nehmen und seiner Bestimmung zuführen. Worin diese Bestimmung besteht, sagt ihm die Brille ebenfalls, indem sie ihn mit Pfeilen, Ziffern und Piktogrammen an den richtigen Ort lenkt.

Was noch vor wenigen Jahren von Serienreife Galaxien weit entfernt war, ist heute in der Automobilindustrie bereits Wirklichkeit: Augmented Reality, zu Deutsch: computergestützte Wahrnehmung der Realität, ein kleiner Mosaikstein auf dem Weg zur Industrie 4.0. Die Richtungs- und Entfernungsangaben, die die KiSoft-Vision-Brille ihrem Nutzer als Hilfe zur Verfügung stellt, bilden gewissermaßen die erste Rohvariante einer Zukunft, in der Maschinen nicht nur tun, was man ihnen vorschreibt, sondern selbständig, quasi-intelligent agieren. Und manchmal daher dem Menschen sagen, was er zu tun hat.

Datenbrille aus Graz

Dass die KiSoft-Vision-Technologie aus Österreich, von dem in Graz ansässigen Logistikspezailisten Knapp entwickelt wurde, ist nicht ganz selbstverständlich. Denn auch wenn Österreichs Industrie zu den innovativsten europaweit gehört, Europa als solches hat ein Problem. „Europa beherrscht perfekt jene Technologien, die vor hundert oder fünfzig Jahren erfunden wurden. Wenn es um Industrie 4.0 geht, sind wir zwar gut vorbereitet, müssen aber dringend aufpassen, dass wir den Anschluss nicht verlieren“, sagt etwa Roland Falb, der Geschäftsführer von Roland Berger Österreich. Einen europaweiten Investitionsbedarf von 90 Milliarden Euro jährlich in den kommenden fünfzehn Jahren haben die Experten von Roland Berger errechnet, damit gesichert werden kann, dass Europa die Rakete in die Zukunft nicht versäumt. Und damit der Anteil der eigenen Industrieproduktion nach den Verlusten der vergangenen zwanzig Jahre wieder steigt.

„Das wird ohne Zweifel die Herausforderung der nächsten zehn bis fünfzehn Jahre sein“, meint auch Klaus Sickinger, Geschäftsführer von SAP Österreich. „Mit Industrie 4.0 kann sich Europa auch wieder stärker den USA gegenüber positionieren, die ihre Industrie vor allem über billige Energie zurückholen.“ Doch auch wenn Österreich neben Deutschland, Schweden und Irland zu den Vorreitern des Neuen auf dem alten Kontinent gehört: der Weg zu einer wirklich vernetzten Produktionswelt ist noch weit.

Automatisierungsoffensive

Wenn, und das ist die Idee einer im 4.0-Modus durchautomatisierten Produktion, Bereiche automatisch miteinander kommunizieren sollen, die völlig verschieden aufgebaut sind, wie zum Beispiel ERP und Produktion, wenn zusätzlich zur Fabrik selbst auch noch eine automatisierte Vernetzung mit Lieferanten und Kunden entstehen soll, dann heißt die größte Hürde, die dabei bewältigt werden muss: Medienbrüche. Sprich: Daten, die zwar digital erfasst sind, miteinander aber nicht kompatibel und daher auch nicht verknüpfbar sind. Bei SAP hat man mit der Plattform SAP Hana einen Weg gefunden, um solche Daten, die zur Zeit mehr oder minder nutzlos in irgendwelchen Datensilos ihr Dasein fristen, miteinander zu verknüpfen und nutzbar zu machen.

Aber auch das ist nur ein Schritt unter vielen. SAP-Mann Sickinger betont ebenso wie der Berater Falb, dass der möglicherweise entscheidende Schlüssel zum Industrie-4.0-Erfolg in der Forschung und Entwicklung, nicht zuletzt aber auch in der Ausbildung liegen wird. „Es ist nicht wahr, dass Industrie 4.0 Arbeitsplätze vernichten wird. Im Gegenteil. Es werden aber andere Arbeitsplätze sein. Wir brauchen schon jetzt ganz massiv Software-Ingenieure, Mechatroniker, Big-Data-Scientists, die aus den endlosen Daten Muster herauslesen können.“

F&E als Hebel

Dass SAP mit Universitäten kooperiert, indem man unter anderem auch Campus-Lizenzen zur Verfügung stellt, ist zwar nicht ganz uneigennützig, soll aber helfen, genau diesen sich anbahnenden Personalbedarf zu decken. „Wir machen das, weil wir wirklich überzeugt sind, dass in den Bereichen Ausbildung sowie Forschung und Entwicklung die Zukunft von Industrie 4.0 liegt. Aber natürlich profitieren wir auch davon, wenn Leute bereits auf der Universität mit SAP in Kontakt kommen und das System kennen. Andererseits profitieren auch sie davon, denn in vielen Bereichen, etwa der Automobilindustrie, ist SAP de facto Standard. Da schadet es nicht, damit schon Erfahrungen gesammelt zu haben.“

Auch für Roland Falb sind Bildung und Forschung die wichtigsten Hebel, mit denen man Europas Industrie-4.0-Zukunft steuern kann. Falb sagt nicht zufällig „Europas Zukunft“, denn er ist überzeugt: „Wie in vielen anderen Bereichen wird Europa auch hier ein konzertiertes Innovationspaket brauchen statt nationalstaatlicher Eitelkeiten. Im Moment wollen ja alle Universitäten in allen Fächern exzellent sein. Mit dem Ergebnis, dass kaum eine von ihnen irgendwo exzellent ist. Von löblichen Ausnahmen natürlich abgesehen, und von diesen gibt es zum Glück gar nicht so wenige.“ Denn, auch wenn vieles besser laufen könnte, so schlecht, wie manchmal gesagt wird, sei Europas F&E- Quote auch wieder nicht, findet Falb. Launischer Nachsatz: „Auch die von Österreich nicht.“

Nach wie vor eine Schwachstelle bildet allerdings der Transfer zwischen universitärer Forschung und der industriellen Praxis. Und erst recht schwierig wird es, wenn es um die Ankurbelung von innovativen Start-ups gleich von der Uni weg geht. Während zum Beispiel in Singapur die Universität ihren besten Absolventen staatlich geförderte Business-Inkubatoren anbietet, in denen sie von einem Tag auf den anderen beginnen können, an der Umsetzung ihrer Ideen zu arbeiten, passiert in Österreich und Europa allen groß beworbenen Clustern zum Trotz noch immer viel zu wenig in diese Richtung. Die Folge: Sehr oft kommen Neuerungen von anderswo.

Erst Startpunkt

Dabei bräuchte Europa sie ganz dringend. Denn die Automatisierungsrevolution hat erst begonnen. Christian Zink von Business Center Vision bei Knapp, das unter anderem für die Datenbrille des Logistikers verantwortlich ist, geht davon aus, dass in den nächsten fünf bis zehn Jahren vielleicht siebzig Prozent jener Automatisierungsvorhaben verwirklicht werden, die sich die einzelnen Industriebranchen wünschen. Der nicht mehr so dringende Rest werde wahrscheinlich länger brauchen. „Das sind ja schließlich auch Rieseninvestitionen. Und nicht in jedem Fall macht Vollautomatisierung Sinn. Es wird immer Branchen und Bereiche geben, wo sich das nicht rentiert.“

Wobei Vollautomatisierung in dem Sinn, dass zum Beispiel die Produktion so eng mit der ERP verbunden ist, dass ein Vorgang in der Produktion direkt und ohne Umwege eine Aktion im ERP auslöst, zum Beispiel eine Nachbestellung, technisch noch sehr schwierig ist. „Will man so etwas machen, braucht es dazu intelligente Sensoren und hier ist noch viel Entwicklungsarbeit nötig.“

Auch sonst ist Zink um einen realistischen Blick bemüht: „Die Fabrik, die sich völlig selbstständig steuert, wird nicht so schnell kommen. Und selbst dann: Spätestens wenn Fehler oder Pannen passieren, wird es den Menschen brauchen. Denn Fehler oder Pannen sind eben keine vorhersehbaren Prozesse, deren Behebung man einem Roboter programmieren kann.“ Oder anders gesagt und auf die KiSoft-Vision-Brille umgelegt: Selbst wenn die Brille ganz genau weiß, wo im Lager ein bestimmtes Teil abgelegt ist – sobald sich dieses Teil aus irgendeinem Grund anderswo befindet, hat sie ein Problem. Ein erklärtes Ziel überzeugter Industrie-4.0-Enthusiasten ist es allerdings, Maschinen auch für die Lösung solcher Probleme zu wappnen.

Die Artikelserie „Produktion von morgen“ entsteht in Kooperation mit SAP.