E-Logistik : Grüne Hoffnung für die Citylogistik?

MAN TGN E-LKW
© MAN

Inzwischen ist es ein routinierter Handgriff. Milenko Stankovic greift nach dem Lader, zieht den Stecker aus der Büchse, rollt das Ladekabel zusammen und verstaut Kabel und Ladegerät beifahrerseitig in der Fahrerkabine. Es ist ein regnerischer Mittwoch im Mai, das Tageslicht hat sich noch nicht ganz durchgekämpft. Wie jeden Tag beginnt Stankovics in Kapperl und blauer Windjacke mit dem Gebrüder Weiss-Logo auf der Brust um halb sechs seine Schicht. Von der Spedition in Maria Lanzendorf wird der LKW-Fahrer ins ebenfalls südlich von Wien gelegene Bad Vöslau fahren, um für den Getränkeabfüller Vöslauer Waren im Großraum Wien auszuliefern. Stankovic dreht den Zündschlüssel. Der 26-Tonner bleibt still. Erst als sich das Fahrzeug in Bewegung setzt, ist es auch zu hören. Allerdings nicht am Motorengetöse, sondern allein am Abrollgeräusch der Reifen. Der Dreiachser, den Stankovic fährt, ist einer von neun MAN-eTrucks, die für ausgewählte Pilotpartner seit September auf der Straße sind.

Im Rahmen einer Kooperation mit dem Council für nachhaltige Logistik (CNL) hat MAN in seinem Werk in Steyr das Modell TGM mit einem Elektromotor ausgestattet. Am Council mit Sitz an der BOKU Wien sind 18 Partnerunternehmen beteiligt. Gebrüder Weiss, Quehenberger, Schachinger, Cargo-partner, Lagermax, DPD, Spar, Rewe, Hofer, DM, Magna, Stiegl, Brau Union, Metro Cash & Carry, Spitz, Transgourmet und die Post haben es sich zum Ziel gesetzt, Logistik nachhaltiger zu gestalten. Mit dem MAN eTruck hat CNL ein Vorzeigeprojekt geschaffen. Dort wo beim herkömmlichen TGM der Tank ist, sind in den neun Testfahrzeugen die Batterien verbaut.

Bis auf einen Zusatzkühler hinter dem Führerhaus ist von außen kein Unterschied zum Original erkennbar – von der grünen Nummerntafel und werbewirksamen Schriftzügen abgesehen. „Gebrüder Weiss: Wir machen den Anfang. Dieser LKW fährt 100% elektrisch“, steht in großen weißen Lettern auf dem orangen Aufbau des eTruck, den Stankovic bedient. Für 36 Monate hat Gebrüder Weiss das Fahrzeug gemietet. Einmal im Monat muss es für Updates und einen Batteriecheck in die Werkstätte. „Am Anfang war ich schon ein bisschen skeptisch“, erzählt Stankovic vom Führerhaus aus. „Aber ich bin positiv überrascht.“

Auf leisen Rädern

Auf dem 125.000 Quadratmeter großen Gelände von Gebrüder Weiss in Maria Lanzendorf geht es derweilen betriebsam zu. Männer in Warnwesten eilen zu Lastwagen, Anhänger werden angekoppelt, dutzende Schwerfahrzeuge rollen lautstark über den Parkplatz. Vergleichsweise winzig wirkt in all dem Trubel der Mann mit Schnauzbart und Trachtenjanker, der bei Tor 3 steht und alles beobachtet. Kurt Eckl, Abteilungsleitung für WAB, Tankstelle und Fuhrpark bei Gebrüder Weiss, war es, der Stankovic als Fahrer für den eTruck ausgesucht hat: „Bei einem gemieteten Fahrzeug ist Achtsamkeit geboten. Da braucht es einen erfahrenen Fahrer, dem ich vertrauen kann.“

Auch für den Hersteller MAN sind die eTrucks ein Novum. Gleich neun Fahrzeuge umzubauen sei mit einem gewissen Risiko verbunden gewesen. „Für uns ist das ein komplett neues Projekt. Umso mehr freut es uns, dass wir beweisen können: es funktioniert. Elektromobilität ist im Schwerverkehr einsetzbar“, sagt MAN Österreich-Sprecher Franz Weinberger. Noch seien die E-LKW aufgrund der hochpreisigen Batterien und teuren Schnellladesystemen zwar nicht rentabel, längerfristig könnten sie allerdings zur emissionsfreien Alternative auf der letzten Meile werden. Weinberger: „Der eTruck ist sehr leise. Das macht ihn ideal für Nachtfahrten – wenn er dafür zugelassen wird.“ Ein weiterer Vorteil: Das abgasfreie Fahrzeug kann direkt in die Halle fahren, vorausgesetzt das Tor ist groß genug. „Magna macht das bereits.“

Für Langstrecken ist der E-LKW hingegen nicht geeignet. Denn hohe Geschwindigkeiten verbrauchen zu viel Strom. Die Reichweite der eTrucks ist laut MAN auf maximal 200 Kilometer ausgelegt. „Wenn ich meine Touren plane, muss ich genau kalkulieren“, berichtet Gebrüder Weiss-Fahrer Stankovic. Da auch Nebenaggregate wie Servolenkung, Luftkompressor und Klimaanlage elektrisch betrieben werden, liege die Reichweite in der Praxis bei 140 bis 150 Kilometern. Aufgeladen wird der eTruck nachts am Betriebsgelände. Tagsüber ist zwischen den Fahrten Opportunity Charging möglich. MAN hat österreichweit drei Schnellladestationen installierte, eine davon in Leopoldsdorf nahe Wien. Stankovic: „Das liegt auf dem Weg nach Bad Vöslau. Ich bin nie ganz leer, meistens bei 20 bis 30 Prozent. Nach einer Stunde ist die Batterie auf 90 Prozent aufgeladen.“

Erster an der Ampel

Quehenberger Logistics, ebenfalls Partner im CNL, setzt den eTruck unter anderem zur Filialbelieferung der Drogeriemarktkette DM im Großraum Salzburg ein. „Der eTruck kommt sehr gut an, viele Kunden teilen offenbar unsere Auffassung in Sachen zukunftsweisende Strategien der E-Mobilität“, berichtet Bernd Stangl, Fahrer bei Quehenberger. 90 bis 130 Kilometer legt er täglich mit dem Stromer zurück. Kunden und Kollegen in der Filiale seien neugierig und hätten gerade zu Beginn viele Fragen gestellt. Dabei sei das Fahrerlebnis ähnlich dem von fossilbetriebenen Lastwagen. „Der einzige Unterschied ist wohl der, dass das Fahrzeug nach der Schicht nicht mit einem Zapfhahn, sondern mit dem Starkstromstecker betankt wird“, berichtet Stangl.

Auch die Firma Schachinger beteiligt sich am Pilotprojekt. In der Citybelieferung hat das Unternehmen schon seit einigen Jahren E-Vans im Einsatz, mit dem 26-Tonner ging es nun eine Nummer größer. Nach sechsmonatiger Miete hat man das Gefährt inzwischen an einen anderen CNL-Partner weitergegeben. Resümee? „Unterm Strich ist unser Eindruck recht positiv“, zeigt sich Nikolaus Skarabela, Effizienz- und Mobilitätsbeauftragter bei Schachinger, zufrieden. Der Schachinger E-LKW war ebenfalls im Raum Wien unterwegs. Transportiert wurden temperaturgeführte Wechselbrücken der Tochter TRCplus mit pharmazeutischen Produkten. Zwar sind drei der neun MAN Vorserienfahrzeuge mit Kühlaggregaten ausgestattet, aufgrund der heiklen Fracht entschied man sich bei TRCplus im Rahmen des Pilotbetriebs aber für die Variante mit eigenen Wechselbrücken. „Falls etwas schiefgelaufen wäre und 40 Kubikmeter Medikamente kaputt gehen, ist das viel Geld“, erklärt Skarabela.

Die beiden Fahrer, die von Schachinger für die Fahrten mit dem E-LKW ausgesucht worden waren, legten, ähnlich wie Gebrüder Weiss Fahrer Stankovic, anfangs ebenfalls eine gewisse Skepsis an den Tag. „Im Betrieb waren sie aber schnell von der Sache überzeugt. Das Fahren ohne Gänge und die Tatsache, dass der eTruck an der Ampel als erster davonzieht, hat sie überzeugt“, erzählt Skarabela. Auch Stankovic genießt den Startvorteil, wenn auch mit Vorsicht: „Natürlich muss man gerade an der Ampel mehr aufpassen, wenn andere Verkehrsteilnehmer dich nicht hören.“

Und die Sicherheit der Fahrer selbst? "An den Seiten der Batterie sorgt eine Panzerplatte dafür, dass dem Stromspeicher auch im Falle eines Unfalls nichts passieren kann", sagt Skarabela. Damit im Notfall auch die Einsatzkräfte wissen, was zu tun ist, hat MAN Feuerwehren und Rettungsorganisationen eigens geschult. „Wir kennen das Risiko und bereiten uns darauf vor“, betont MAN-Sprecher Weinberger. In Abstimmung mit den Einsatzkräften habe man einen eigenen Rettungsleitfaden entwickelt.

120 Kilowattstunden für 12 Euro

In puncto Kosten fällt die Bilanz durchwachsen aus. Ob eine „Tankladung“ Strom im Vergleich zu einer herkömmlichen Tankladung beim Verbrennungsmotor teurer oder billiger ist, hängt davon ab, wo aufgeladen wird. „Bei einer Elektroladung am Betriebsgelände in der Nacht betragen die Kosten etwa 40 Prozent einer Dieseltankfüllung für dieselbe Distanz“, erzählt Stangl von Quehenberger. „Bei einem durchschnittlichen Preis von zehn Cent pro Kilowattstunde komme ich bei einem Verbrauch von 120 Kilowattstunden Strom unterm Strich auf 12 bis 15 Euro für einmal Vollladen. Der Diesel verbraucht auf derselben Strecke 30 Liter à 30 Euro“, präzisiert Skarabela. An externen Schnellladestationen liegt der Preis pro Kilowattstunde bei 20 bis 40 Cent. Abseits seines Verbrauchs punktet der eTruck mit einem anderen Kostenvorteil. „Der Elektromotor braucht keine Wartung. Service wie beim herkömmlicher LKW, im Sinne von Ölwechsel und dergleichen, fällt weg. Bis auf so Dingen wie Bremsen, versteht sich“, sagt Gebrüder Weiss-Fuhrpark-Chef Kurt Eckl.

Bei MAN ist man, trotz kleinerer Kinderkrankheiten, vom Potenzial des eTrucks überzeugt. „Bis Jahresende produzieren wir in Österreich 50 weitere elektrisch betriebene Dreiachser für den europaweiten Markt. Die Erkenntnisse aus dem Pilotprojekt mit CNL fließen in die Weiterentwicklung“, berichtet MAN-Sprecher Franz Weinberger. Der Standort in Steyr habe seine Elektrokompetenz bewiesen. Neben F&E investiert der Fahrzeughersteller hier in Aus- und Weiterbildung, schult etwa spezialisierte Hochspannungstechniker.

In Maria Lanzendorf öffnet sich gerade der Schranken. Vorsichtig rollt Fahrer Stankovic in seinem geräuscharmen LKW hinaus auf die Straße. In einer halben Stunde werden die ersten Paletten mit Mineralwasserflaschen seine Ladefläche füllen. Kurt Eckl sitzt inzwischen in seinem Büro. Ob er einen oder gar mehrere eTrucks fix in seine Flotte aufnehmen wird, wenn die dreijährige Testphase abgelaufen ist? „Das kann ich noch nicht sagen“, antwortet der Fuhrpark-Chef. Die Anschaffungskosten seien beträchtlich: dreimal so hoch wie bei einem herkömmlichen LKW. „Weil ich ihn nachts aufladen muss, kann ich den E-LKW nur am Tag einsetzen. Ich kann derzeit keinen Anhänger dranhängen. Weil das Fahrzeug noch keine Motorstaubremse hat, kann es kein ADR führen“, zählt er weitere Schwachpunkte auf. Fix ausschließen möchte er einen Kauf der eTrucks dennoch nicht. „Die Technologie steht noch am Beginn. Gebrüder Weiss nimmt das Thema Nachhaltigkeit wichtig. Wir sind gerne von Anfang an dabei.“