Nachhaltigkeit : Green Finance: Wie die EU die Wirtschaft beflügeln will

Techniker mit Verrohrungen
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Wenn es ein Zitat gibt, das inzwischen untrennbar mit Ursula von der Leyen verbunden ist, dann wohl jenes vom europäischen „Mann-auf-dem-Mond-Moment“. Eigentlich sagte sie es auf Englisch, „man on the moon moment“ hieß es da, und meinte damit den Green New Deal, der Europas Wirtschaft nachhaltig machen soll. Wie die Mondlandung sei er der Beginn einer völlig neuen Ära, diagnostizierte von der Leyen.

Mitte März trat nun ein wichtiges Mosaiksteinchen des Green New Deal in Kraft, die sogenannte Offenlegungsverordnung. Sie verpflichtet Finanzdienstleister dazu offenzulegen, welche Nachhaltigkeitskriterien sie bei ihren Investitionsentscheidungen anwenden und als Folge davon auch dazu, Nachhaltigkeit grundlegend bei allen ihren Investitionsentscheidungen zu berücksichtigen. Wollte man von der Leyens Mond-Metaphorik auch auf die Offenlegungsverordnung umlegen, wäre man daher bestrebt zu sagen: „Ein kleiner Schritt für die Banken, doch ein großer für Europas Wirtschaft.“

Doch so ganz stimmt das nicht. Denn klein ist der Schritt für die betroffenen Finanzinstitute nicht. Er verlangt ihnen nicht nur Mehraufwand ab, sondern eine grundlegende Umstellung des Geschäfts. „Das ist ein sehr großer Hebel, dessen sich die Europäische Kommission hier bedient“, bestätigt daher Roland Mechtler, Head of Group Regulatory Affairs & Data Governance bei der Raiffeisen Bank International AG. Er fügt allerdings optimistisch hinzu: „Insofern sehen wir als Bank eine enorme Chance, den positiven Impuls des Green Deals an unsere Kunden weiterzugeben.“

Ein Game Changer

Mit der Offenlegungsverordnung wolle die EU die Ökologisierung der europäischen Ökonomie nicht durch eine Regulierung der Produktion, sondern der Geldströme erreichen, erklärt Josef Baumüller, Assistent an der WU Wien und Spezialist für Nachhaltigkeitsberichterstattung in Unternehmen: „Wenn Nachhaltigkeitskriterien bei der Geschäftsstrategie der Banken eine Rolle spielen sollen, dann ist das wirklich ein Game Changer. Denn dann werden in weiterer Folge die Kreditvergaben an Unternehmen und deren Bewertung ebenfalls davon abhängen, ob die Unternehmen nachhaltig agieren. Dies müssen sie auch entsprechend nachweisen. Nachhaltigkeit wird damit zu einem zentralen Element im Geschäftsmodell von Unternehmen.“

Mit der Zeit, sagt Baumüller, werde sich das sogar auf jene auswirken, die vordergründig von der Offenlegungsverordnung noch unberührt scheinen: Unternehmen, die weder Kredite brauchen, noch an der Börse gehandelt werden und denen die Bewertung durch Bankenanalysten daher eigentlich egal sein könnte.

„Viele solcher Unternehmen, oft handelt es sich um KMU, sind allerdings Zulieferer von börsenorientierten Großkonzernen, und um als nachhaltig zu gelten, müssen diese Konzerne auch nachweisen, wie nachhaltig ihre Zulieferer sind“, sagt Baumüller. Abgesehen von einer erweiterten Lieferkettenverantwortung, wie sie gegenwärtig auf EU-Ebene verhandelt wird, werden für die Zukunft außerdem zusätzliche Offenlegungspflichten für weitere Branchen und auch für kleinere Unternehmen diskutiert.

Davon, ein ausgereiftes Gesetzeswerk zu sein, ist die Offenlegungsverordnung im Moment allerdings noch weit entfernt. Ein wichtiger offener Punkt ist die Frage, in welcher Form Banken Nachhaltigkeit bei der Bewertung von Unternehmen berücksichtigen sollen: „Hier befinden wir uns derzeit mitten in der Diskussion, etwa ob nachhaltige Kredite hinsichtlich Kapitalunterlegung begünstigt oder ob nicht nachhaltige Kredite bestraft werden. Oder ob beides der Fall sein soll“, erklärt Raffaela Ritter von Arthur D. Little, und Principal Georg von Pföstl ergänzt: „Wichtig für die Banken ist, dass die regulatorischen Rahmenbedingungen nachhaltige Investitionen fördern und nicht bestrafen.“

Was ist überhaupt nachhaltig

Eine große Baustelle innerhalb der Offenlegungsverordnung ist auch die Taxonomie, die festlegen soll, welche Investitionen denn überhaupt als nachhaltig gelten sollen. Im Moment ist das völlig offen, die Diskussion turbulent. Auf ihren ersten Vorschlag hat die Europäische Kommission rund 50.000 Stellungnahmen bekommen: Den einen ging der Vorschlag viel zu weit, andere fanden ihn absolut lasch. Und es gab jede Menge Positionen dazwischen.

„Da gibt es tatsächlich sehr weit divergierende Positionen. Manche Gruppen wollen zum Beispiel auch die Atomkraft als nachhaltig bezeichnen, für andere ist das ein absolutes No Go. Aber auch bei der Wasserkraft ist die Entscheidung nicht einfach. Soll sie als nachhaltig gelten oder nur als eine Übergangslösung, die später durch nachhaltigere Formen ersetzt werden soll?“, umreißt Baumüller die Breite der Auseinandersetzung an einem markanten Beispiel.

Die Banken selbst wünschen sich jedenfalls Klarheit: „Eine Taxonomie als EU-Standard würde für mehr Klarheit, Vergleichbarkeit und Transparenz sorgen. Wünschenswert wären klare, praxistaugliche Anwendungskriterien. Derzeitige Entwürfe tendieren eher zu einem ausgearteten Bürokratismus mit vielen Unklarheiten und länderspezifischen Auslegungsproblemen“, sagt Nora Berger, Sustainability Managerin bei der Oberbank.

In der produzierenden Industrie sorgt nicht nur die Taxonomie für Diskussionen. Hier stellen viele auch die Frage, ob es grundsätzlich sinnvoll sei, immer größere Kreise an Unternehmen zu eigenen Nachhaltigkeitsreports zu verpflichten. „Viel einfacher wäre es stattdessen, diese Reports im Rahmen der ISO 14.001 oder EMAS Zertifizierung abzufragen oder in sie einzubauen. Die ISO- und EMAS-Zertifizierungen werden regelmäßig auditiert, sind international anerkannt und können durchaus auch als Wettbewerbsvorteil gegenüber Billiganbietern verwendet werden“, findet zum Beispiel Christian Knill, CEO der Knill Energy Holding und Obmann des Fachverbands Metalltechnische Industrie FMTI.

Kampf gegen Green Washing

Auch Andreas Fill, geschäftsführender Gesellschafter des oberösterreichischen Spezialmaschinen- und Anlagenbauers Fill, sieht grünes Berichtwesen eher skeptisch: „Solange große Player große Anlagenprojekte mittels Online-Auktionen vergeben und nur der Preis zählt, ist jeder Nachhaltigkeitsbericht hübsches, teures, aber verlogenes Werbematerial. Mit den Nachhaltigkeitsreports verschaffen sich viele nur ein ruhiges Gewissen.“

Gerade um solches Green Washing zu verhindern, habe man die Offenlegungsverordnung ins Leben gerufen, kontert hingegen Josef Baumüller. Denn durch die Verordnung bekommt das, was in den Nachhaltigkeitsberichten steht, reale Bedeutung und zieht auch reale Konsequenzen nach sich: „Banken, die große Summen veranlagen und dabei selbst einer sehr strengen Aufsicht unterliegen, werden sich nicht von schönen bunten Bildern beeindrucken lassen. Sie werden Fakten sehen wollen und dazu ganz genau nachfragen.“

Dass die Kontrolle von Nachhaltigkeitsreports auf ihre Richtigkeit schwierig sein kann, gibt Baumüller allerdings auch zu. Solange keine externe Kontrolle vorgesehen ist, ist für Unternehmer die Versuchung natürlich groß, die Dinge etwas besser bzw. grüner darzustellen, als sie tatsächlich sind. Das werde sich aber voraussichtlich noch ändern: „Welche Formen von externen Pflicht-Audits es in Zukunft geben wird, ist derzeit noch unklar. Für viele Seiten scheint es etwa naheliegend, diese Aufgabe an den Wirtschaftsprüfer, der auch den Finanzbericht prüft, zu übergeben.“

Kritik an der Idee gibt es allerdings auch. Der Haupteinwand: Kein Wirtschaftsprüfer verliert gern Kunden, er wird im Zweifelsfalle daher eher bemüht sein, Ungereimtheiten zu verschleiern, als sie mit seinem Testat öffentlich zu machen. Bei Nachhaltigkeitsreports, die weniger zahlenorientiert sind als Finanzberichte, sei das auch viel einfacher. „Aus diesem Grund gibt es daher durchaus Stimmen, die eine Prüfung durch öffentliche oder halböffentliche Institutionen fordern, wie zum Beispiel den TÜV“, erklärt Baumüller. Und er ergänzt: „Auch Prüfer- und Unternehmensaufsichten, etwa die FMA, werden sich in diesem Feld stärker engagieren müssen.“

Wie können Finanzinstitute Unternehmen unterstützen, die Wert auf Nachhaltigkeit legen?

Helmut Bernkopf Auf verschiedene Arten. Die OeKB hat zum Beispiel mit der „Exportinvest Green“ ein Instrument im Portfolio, mit dem wir einen bewussten Anreiz für Neu- und Ersatzinvestitionen mit positiven Umwelteffekten setzen. Unternehmen mit einer Exportquote von mindestens 20 Prozent steht damit eine attraktive Finanzierung entsprechender Investitionen zur Verfügung.

Wie wurde das Produkt im letzten Jahr angenommen?

Bernkopf Wir haben insgesamt sechzehn Projekte mit einem Volumen von über 200 Millionen Euro finanziert. Das ist überschaubar, angesichts der COVID-Pandemie aber auch verständlich: Unternehmen waren bei großen Investitionsprojekten eher zurückhaltend.

Ihre Erwartungen für die Zeit nach Corona?

Bernkopf Grüne Investitionen werden beim Wiederaufbau der Wirtschaft wieder stärker in den Fokus rücken. Die OeKB plant heuer die Begebung ihres zweiten „Sustainability Bonds“, dessen Erlöse wieder für Umwelt- und Sozialprojekte eingesetzt werden.