Hintergrund : G20-Gipfel in Japan: Mutet sich Angela Merkel zu viel zu?

Donald Trump lässt sich zumindest öffentlich nichts anmerken, als er Angela Merkel begrüßt. Eine große Freundin sei die deutsche Kanzlerin. Ein großartiges Verhältnis habe man, sagt der US-Präsident, als er die Kanzlerin am Freitag im kargen Besprechungsraum L-6 am Rand des G-20-Gipfels der mächtigsten Industrienationen im japanischen Osaka begrüßt. Kein Lächeln geht bei dem Treffen am Freitag über sein Gesicht, als er Merkel lobt. Auch die Kanzlerin verzieht den Mund beim kurzen Händedruck nur ganz rasch zu einem Lächeln.

Merkel ist wichtig, dass sie auch öffentlich die wesentlichen Themen mit Trump umreißt: Handel, Kampf gegen den Terrorismus in Westafrika, Iran. "Wir haben nicht nur Handel, sondern auch sehr viele Investments" - eine kleine Spitze und vielleicht auch eine kleine Warnung an Trump dürfte das gewesen sein. Die Kanzlerin erwartet, dass der Amerikaner sich mit seinen Drohungen mit Handelsschranken wieder stärker Deutschland zuwenden könnte, sollte sich der Handelsstreit mit China womöglich etwas entspannen.

Zu tief sind wohl die Gräben zwischen den beiden, als dass es auch nur den Hauch von Herzlichkeit zwischen ihnen geben könnte. Aber immerhin: So lange die Kameras zu Beginn des Gespräches laufen, hat auch Trump über weite Strecken die Hände wie die Kanzlerin zur typischen Merkel-Raute geformt.

Doch das einigermaßen freundliche Bild in der Öffentlichkeit sollte nicht darüber hinweg täuschen: Auch Trump dürften die Fernsehbilder nicht entgangen sein, die seit Donnerstagvormittag in Deutschland und auch international für Aufsehen sorgen. Nur Stunden vor ihrem Abflug nach Japan konnten Millionen Menschen sehen, wie die Kanzlerin, deren Konstitution eigentlich legendär ist, während der Ernennung der neuen Justizministerin ihren von einem Zitteranfall geschüttelten Körper nur schwer unter Kontrolle brachte.

Schon am Dienstag vergangener Woche hatte Merkel in einer ähnlichen Situation einen krampfartigen Zitteranfall erlittet. Doch damals stand sie mit dem neuen ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bei großer Hitze in gleißender Sonne. Die Kanzlerin erklärte ihre gesundheitlichen Probleme damit, dass sie zu wenig getrunken habe. Das kann beim jüngsten Vorfall im Schloss Bellevue, dem Amtssitz des Bundespräsidenten, kaum gelten: In Berlin war es da recht kühl.

Was ist also los mit Merkel? "Stuttgarter Zeitung" und "Stuttgarter Nachrichten" zitieren Regierungskreise, nach denen Merkels neuerliches Zittern psychologisch bedingt gewesen sei. Es sei kein gesundheitliches Problem, sondern Kopfsache. Die Erinnerung an den Vorfall in der vergangenen Woche habe zu der Situation geführt. Es sei also "ein psychologisch-verarbeitender Prozess", zitierten die Zeitungen Regierungskreise.

Möglich, dass es tatsächlich ein psychologisches Problem war. Auf dem Flug nach Osaka erleben Mitreisende eine Kanzlerin, die sich nicht anders als sonst bei solchen Gelegenheiten gibt - inklusive kleiner Scherze mit ihrem mitreisenden Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz (SPD). Äußerlich ist Merkel da nichts anzumerken.

Nicht ganz unwahrscheinlich aber, dass ihr die Erinnerung an die Zitterattacke an der Seite von Selenskyj immer noch in den Knochen steckt. Solch ein Erlebnis schüttelt wohl auch die Kanzlerin nicht so schnell ab. Zumal sie als öffentliche Person weiß, dass die Kameras immer auf sie gerichtet sind - und jedes Zeichen von Schwäche von ihren politischen Gegnern ausgenutzt wird.

Umso größer dürfte der Druck auf Merkel in Japan sein. Ob Trump das Gespräch mit der Kanzlerin hinter verschlossenen Türen doch noch auf deren Gesundheitszustand gebracht hat? Zunächst wird darüber in Osaka nichts bekannt. Dabei ist der US-Präsident dafür bekannt, dass er Zeichen von Schwäche beim Gegner gerne ziemlich gnadenlos ausnutzt.

Und Merkel selbst? Mutet sie sich zuviel zu? Es ist ein kräftezehrendes Programm, das sie gerade absolviert. Zwei Gipfeltage mit vier Arbeitssitzungen stehen in Osaka auf ihrem Programm. Daneben bilaterale Gespräche nicht nur mit Trump, sondern auch mit anderen Mächtigen der Welt. Gleich zehn solcher Termine hat sich Merkel organisieren lassen - darunter auch mit Wladimir Putin und Xi Jinping. Auch diese beiden dürfte jede Schwäche der Kanzlerin genau registrieren - und vielleicht versuchen, sie auszunutzen.

Samstagfrüh um 8.00 Uhr geht es für die Kanzlerin schon wieder zurück nach Berlin, am Sonntag dann gleich weiter zur nächsten Nachtsitzung: Mit den Staats- und Regierungschefs stehen ihr schwierigste Verhandlungen über die wichtigsten Spitzenposten in Europa bevor. Bis Montagfrüh will die Kanzlerin die vertrackte Personaldebatte über die Besetzung des EU-Kommissionspräsidenten gelöst haben. Ob das gelingt?

Beim Familienfoto zu Beginn des Gipfels in Osaka - Zuhause ist es kurz nach 5.00 Uhr - zeigt Merkel wieder die übliche Selbstdisziplin. Sie steht ganz außen und scherzt ein wenig mit dem südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa rechts neben ihr. Ein Zittern ist diesmal nicht zu sehen. Irgendwie wirkt Merkel dann aber doch ein wenig gelöst, als sie nach der Fotosession wieder losgehen kann.

(Von Jörg Blank, dpa /apa/red)