Kulturveränderung : Ex-Daimler-Leadership-Manager Ködel: "Der Vorstand hatte keine hidden agenda"

Ködel
© Sven Cichowicz

INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Ködel, 2016 schrieben Sie weltweit 17.000 Daimler-Führungskräfte aller Altersklassen und Hierachiestufen an, um die 144 motiviertesten Köpfe für die Entwicklung einer zeitgemäßeren Führungskultur zu finden. Sind Laien die besseren Personal- und Organisationsentwickler?

Tobias Ködel: Das Design einer Transformation ist Aufgabe für Experten. Wenn es um Ideen geht wie Kultur, Formen der Zusammenarbeit und Führung in Zukunft aussehen soll, dann entstehen in einem divers zusammengestellten Kollektiv sehr intelligente und kreative Beiträge. Wir wollten ja Kultur verändern. Deswegen haben wir von Beginn an Dinge anders gemacht. In heutigen Organisationen wird diese kollektive Intelligenz oft unterschätzt. Teilweise bewusst verhindert. Dabei liegt hier der Schlüssel zu einer erfolgreichen Transformation. Ein Beteiligungsprozess, der sich an so viel Mitarbeiter wie möglich richtet, erzeugt positive Betroffenheit und Verbundenheit in der Mannschaft. Er reißt Silos ein, disrupiert etabllierte Macht und Entscheidungszentren. So entsteht eine neue Kultur, die auch Fragen zulässt, auf die wir aktuell nur schwer eine Antwort finden.

Etwa jene, wie sich in einer nonlinearen, immer komplexer werdenden Welt in linearen Organisationsformen eigentlich Erfolg einstellen soll.

Ködel: Zum Beispiel. Zu erkennen, dass heute der langsamste Tag der Veränderung für den Rest unseres Lebens ist, ist der erste Schritt. Wir sind seit vielen Jahren Meister im Zählen, Kalkulieren und Planen. So haben wir in einer linearen und komplizierten Welt immer Ergebnisse erzielt. Unsere Welt ist in vielen Bereichen allerdings komplex und non-linear geworden. In Zukunft müssen wir lernen, mit diese beiden Extremen situativ umzugehen und zu zulassen, dass es kein schwarz oder weiß gibt.

Mitarbeiterleistung war bisher immerhin sauber messbar.

Ködel: Das wird sie auch in Zukunft sein. Allerdings immer mehr auch dadurch, "wie" eine Leistung zu standen gekommen ist. Das „wie“ ist für die Talente von morgen sehr wichtig. Sie streben nach persönlicher Weiterbildung und Entwicklung, nach konstruktivem und direktem Feedback. Und zwar nicht in Form eines Incentive für gute Leistung, sondern als selbstverständliche Eigenschaft der Führungskraft in ihrer Rolle als Coach. Deswegen brauchen wir Arbeitswelten und Führungskräfte, die inspirieren, Raum geben und unterstützen, wenn es notwendig ist.

Das 144 Kopf starke Kernteam bei Daimler vernetzte sich untereinander. Und entwickelte Ideen für agiles Arbeiten, Ko-Kreation und Empowerment. Ohne Intervention der Spartenchefs oder der Vorstände?

Ködel: Ein wesentlicher Faktoren einer erfolgreichen Transformation ist die Überzeugung und Geschlossenheit des Vorstands beziehungsweise der Geschäftsführung. Dabei geht es vor allem um die innere Haltung. Wer authentisch empowert, also Macht abgibt, der hat keine Hidden Agenda. Der Daimler-Vorstand hat sich auf den Beifahrersitz gesetzt und das Steuer an 144 Kolleginnen und Kollegen übergeben. Das war für alle Beteiligte ein Musterbruch und damit Transformation live erlebt und gespürt. So sind 150 Ideen entstanden, aus denen acht konkrete Themenfelder und ebensoviele Führungsprinzipien abgeleitet wurden.

Verbreitet wurden sie viral.

Ködel: Facebook, Instagram und LinkedIn waren unsere Vorbilder. Wir nutzten eine virtuelle Kollaborationsplattform und andere Kanäle. Kollegen, die nicht Teil der 144 waren, erhielten die Möglichkeit, Botschafter für Leadership 2020 zu werden. Ende 2018 hatten wir so eine Community von fast 8.000 Leuten beisammen und einen Bewegung gestartet, die den positiven Spirit von Leadership 2020 in die Organisation übertrug.

Fixer Bestanteil des Unternehmens wurde eine Feedback-App. Das Ziel?

Ködel: Konstruktives, wertschätzendes und unmittelbares Feedback zu geben. Damit tun wir uns alle extrem schwer. Das geht im privaten Umfeld los. Viele haben Respekt oder Angst davor. Über Feedback-Apps kann ein Einstieg gelingen. Spielerisch und positiv belegt. Das kann ein Lob für eine sehr gute Präsentation, eine innovative Idee oder einfach ein Dank für eine angenehme Zusammenarbeit während einem Meeting sein. Direkt und unmittelbar ins Handy getippt und abgeschickt. Das ist der erste Schritt, um den Respekt vor dem direkten persönlichen Kontakt zu entmystifizieren.

Aus ursprünglich fünf geplanten Jahren bei Daimler sind es bei Ihnen zehn geworden. Seit dem Jahreswechsel haben Sie Ihr eigenes Beratungs-Startup namens The Beautiful Ugly Truth. Also doch noch eine Rechung offen mit Daimler?

Tobias Ködel: So ein Quatsch! Ich bin für jeden Tag der zehn Jahre extrem dankbar. Speziell für meine Zeit bei Leadership 2020. Das Vertrauen, dass wir bekommen haben, die Dynamik, die wir so erzeugen konnten, war sehr besonders. Und wir haben geschafft, auch unbequeme Themen anzusprechen. Für mich die intensivste Lernerfahrung meines Lebens! Ich bin ein Abenteurer, ein Rebell und hör gerne dann auf, wenn es am schönsten ist.

Und zu meinem Unternehmen: Dessen Name ist eine Antwort auf die Tatsache, dass wir uns in der Organisationsentwicklung noch viel mehr auch an die richtig hässlichen Themen ran trauen müssen, wie etwa die fehlenden Feedback- oder Fehlerkultur. Was das angeht, verschließen wir immer wieder die Augen. Wegschauen führt uns immer tiefer in einen ungesunden Kreislauf, der für viele Unternehmen nicht gut enden wird. Transformation ist etwas wunderbares, tut aber einfach auch weh. Wer sich transformieren möchte, der kommt an dieser wunderschön hässlichen Wahrheit nicht vorbei.

Vielen Dank für das Gespräch!