Hintergrund : Europäische Pressestimmen zum EU-Paket: Jubel in Südeuropa

Der Plan der EU-Kommission für ein Konjunkturprogramm war am Donnerstag Inhalt zahlreicher internationaler Pressekommentare:

"La Repubblica" (Rom):

"Europa geht mit dieser Krise ganz anders um als mit der Finanzkrise von 2008-09 und 2011-12. Solidarität ist greifbar. Obwohl diese Solidarität zweifellos die Natur der Krise widerspiegelt - gesundheitlich, unabhängig von den Handlungen einzelner Staaten - ist sie dennoch eine bedeutende Veränderung gegenüber der jüngsten Vergangenheit. (...) Der Vorschlag ist politisch vernünftig. Es gibt keine Zusammenlegung der öffentlichen Schulden der Vergangenheit, die weiterhin in der Verantwortung der einzelnen Staaten liegen. Stattdessen blickt man nach vorne, nicht umsonst heißt die Initiative Next Generation EU: Man wird gemeinsam Geld leihen und gemeinsam entscheiden, wie man es ausgibt."

"El País" (Madrid):

"Der Vorschlag für einen kontinentalen Wiederaufbauplan zur Überwindung der brutalen Wirtschaftskrise, der gestern von der EU-Kommissionschefin im EU-Parlament vorgestellt wurde, hat das Potenzial für einen Riesenschritt nach vorn für ganz Europa. Aber Achtung, eben nur möglicherweise, denn bevor der Plan Wirklichkeit werden kann, bedarf er der Zustimmung des EU-Rates, in dem die Regierungschefs der 27 Mitgliedsländer sitzen, sowie in einigen Teilen auch der nationalen Parlamente (...).

So entscheidend wie die Quantität ist die Qualität des Planes, immer vorausgesetzt, er wird nicht verwässert. Die Mittel sollen von der Kommission aufgenommen und durch das EU-Budget abgesichert werden sowie von der Kommission verwaltet werden. Eine gemeinsame Verschuldung (...) streben proeuropäische Kräfte seit langem an, weil sie darin nicht umsonst ein Treibmittel für eine föderale Union sehen, wie es vor mehr als zwei Jahrhunderten in den USA der Fall war."

"de Volkskrant" (Amsterdam):

"Von der Leyen weiß, dass es den Niederlanden, Österreich, Schweden und Dänemark vor europäischen Anleihen graust, die als Zuwendungen an Mitgliedsstaaten gehen. Die 'sparsamen/knausrigen Vier', wie die Kommissionspräsidentin die Länder wiederholt nannte, können ihrer Meinung nach jedoch beruhigt sein. Von der Einführung von Eurobonds durch die Hintertür könne keine Rede sein; schließlich handle es sich um einen einmaligen Kredit. Und, so von der Leyen, die Beträge seien keineswegs übertrieben.

Den Haag 'studiert' die Vorschläge, lehnt aber weiterhin den Ansatz von 'Anleihen als Zuwendung' ab. Auch für die Verwendung der Hunderte von Milliarden stellt die Regierung strenge Bedingungen: Die Mitgliedsstaaten müssen ihre Wirtschaft 'reformieren'. Allein dieses Wort treibt Spanien, Italien und Portugal zur Raserei. Sie sehen Einschnitte in ihre Sozialsysteme vorher, sollten die Niederlande ihren Willen durchsetzen. Außerdem würden Kredite die südlichen Länder noch tiefer in den Schuldensumpf stoßen."

"De Standaard" (Brüssel):

"Dies sei Europas Moment, sagte die EU-Kommissionsvorsitzende Ursula von der Leyen stolz. Eher zynisch veranlagte Beobachter fanden den Namen für das von ihr angekündigte Aufbauprogramm 'Next Generation EU' treffend: Immerhin wird es die nächste Generation sein, die die Kosten des Wiederaufbaus nach der Coronakrise zu tragen hat. (...) Die EU-Kommission hat das Paket um 250 Milliarden Euro an Krediten aufgestockt, die Empfängerländer zurückzahlen müssen, und in das neue EU-Mehrjahresbudget eingebaut. Damit kann sich in den kommenden Wochen die berüchtigte EU-Kompromissmaschine befassen.

Die Konturen eines historischen Abkommens zeichnen sich ab. Als Top-Schuldner kann die Kommission billiger Geld leihen als bedürftige Mitgliedstaaten wie Italien und Spanien. Damit wird verhindert, dass Spekulanten die Schwächsten der Eurozone aufs Korn nehmen. Zugleich vergrößert 'Europa' gefühlvoll seine politische Macht, samt neuer Formen von Steuern. So macht man aus einer Krise eine Gelegenheit."

"Neue Zürcher Zeitung":

"Noch nie in der Geschichte der Staatengemeinschaft wurden Kredite in dieser Größenordnung am Kapitalmarkt aufgenommen. Die Verträge über die Arbeitsweise der EU verbieten die Kreditfinanzierung sogar ausdrücklich. Sollten Schulden dennoch aufgenommen werden, müssten sie, wie die Kommission beteuert, an strenge Bedingungen geknüpft sein, etwa zeitlich befristet sein und nicht der allgemeinen Staatsfinanzierung dienen.

Die Skeptiker einer solchen Verschuldungsmöglichkeit wird das allerdings kaum überzeugen. So wollen die sogenannten 'sparsamen Vier', die Länder Österreich, Niederlande, Dänemark und Schweden, als Kredit aufgenommenes Geld auch nur als Kredite verteilen. Ob sie sich damit zufriedengeben, dass mindestens ein Teil der Milliarden von den Empfängerländern zurückgezahlt werden soll und die Kommission bei der Mittelvergabe eine strikte Überwachung verspricht, ist fraglich. Die Sorge vor einer 'Schuldenunion durch die Hintertür' ist groß."

"Tages-Anzeiger" (Zürich):

"Jetzt in der Corona-Krise können die nordeuropäischen Mitgliedsstaaten aus eigener Kraft Unternehmen vor der Pleite retten und wichtige Investitionen anstossen. Italien, Griechenland oder Spanien fehlt wegen der hohen Altschulden der Spielraum dazu. Der Wiederaufbaufonds ist das richtige Instrument, um hier gegenzusteuern. Allerdings gibt es noch einige Hürden, bis es losgehen kann. Es wird gestritten werden über Konditionen und Kontrollen, damit das Geld auch dort ankommt, wo es gebraucht wird. Das EU-Parlament und die Regierungen in Wien, Den Haag und Stockholm müssen noch überzeugt werden.

Widerstand kommt ausgerechnet aus Ländern, die mit ihren exportorientierten Volkswirtschaften vom intakten Binnenmarkt und der Einheitswährung besonders profitieren. Die EU kommt aber nur gemeinsam aus der Krise. Wirtschaftliche Verwüstung im Süden und schnelle Genesung im Norden, das würde nicht gut gehen." (dpa/apa/red)

Eckdaten zum Plan:

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