Interview : "Es ist für uns sehr wichtig, dass wir weiblicher werden"

Sandra Gott-Karlbauer ÖBB Technische Services
© Marek Knopp

Sie sind nun seit ein paar Jahren im Mobilitätsbereich tätig. Wie geht es Ihnen als Frau in der Branche?

Gott-Karlbauer Ehrlich gesagt war das nie ein Thema. Als ich bei Siemens im Mobilitätsbereich in eine weltweite CEO-Position gekommen bin, gab es schon Fragezeichen ob es denn möglich ist, als Frau ein Technikunternehmen mit tausenden Mitarbeitern zu führen. Denn ich war damals mit 37 noch sehr jung. Allerdings stand es nicht zur Debatte, ob ich es kann, sondern es war einfach nur ungewöhnlich. In einem Unternehmen, wo in dieser Funktion ihrerzeit nur Männer waren - und zwar primär Techniker - war es etwas Besonderes, eine junge Frau, keine Technikerin und keine Deutsche zu sein. Das war eine ungewöhnliche Kombination, hat aber nie zu Problemen geführt. Bei den ÖBB war das übrigens auch nie Thema und ist es bis heute nicht.

Welche Entscheidungen oder Fehler haben Sie in Ihrer Laufbahn weitergebracht?

Gott-Karlbauer Es war keine einzelne Entscheidung per se, sondern eher der Mut, auf mein Gefühl zu hören und darauf zu vertrauen. Ich habe in dem Sinn keine Angst vor Entscheidungen gehabt. Gerade wenn man gefragt wird, ob man eine Position übernehmen will, die man davor so noch nicht gemacht hat, kommt wohl oft das „typisch Frau sein" zum Vorschein: Nämlich dass man perfekt sein will wenn man eine Position anstrebt, weil man denkt das ist nötig. Das hatte ich als solches nicht. Natürlich muss man qualifiziert sein, das ist schon klar, aber ich konnte es angstfrei ausprobieren.

>> Das Interview war ein Bestandteil unseres Managerinnen-Rankings, in dem wir über 100 weibliche Top-Managerinnen aus der österreichischen Industrie vor den Vorhang holten. Es ist auch als umfangreicherer Podcast zu hören.

Wieso sind Sie vom Beratungsgeschäft in ein produzierendes Unternehmen gewechselt?

Gott-Karlbauer Als ich in der Beratung war - das habe ich sehr gerne gemacht - wusste ich nicht, was ich danach machen will. Es gab nur Themenfelder, die mich fasziniert haben: so etwa der Anlagenbau, einfach aufgrund der großen Komplexität. Siemens war als Arbeitgeber nach der Beraterbranche recht gut, weil es einfach sehr viele interessante Bereiche gab. Und dort habe ich erstmals in die Bahnbranche reingeschnuppert, die ich nach wie vor als eine der coolsten Branchen finde. Denn Die Bahn ist einfach etwas was jeden berührt und sie ist echt sinnvoll – vor allem aus Umweltaspekten echt sinnvoll.

Wie nachhaltig ist Ihr Unternehmensbereich?

Gott-Karlbauer Nachhaltigkeit ist ein großes Thema bei uns. Nachhaltigkeit beginnt schon mit unserem Unternehmensauftrag, nämlich dem CO2-freundlichen Transport von Menschen und Gütern, daher ist es mehr oder weniger in unserer DNA. Außerdem schauen wir, dass etwa die Energie, die wir beziehen, absolut umweltfreundlich ist. Wir haben sowohl den Bahnstrom als auch alle Bahnhöfe, Werkstätten und Bürgebäude auf 100% Grünstrom umgestellt. So auch bei mir in den Werkstätten. Hier schauen wir, dass wir bei der Beleuchtung, beim Stromverbrauch in den Gebäuden etc. sehr stark auf das Thema Nachhaltigkeit setzen.

Wie ist Ihr Unternehmen in Sachen Innovation aufgestellt? Haben Sie eine Innovationsabteilung oder kaufen Sie Wissen von außen zu?

Gott-Karlbauer Wir sind ein Service-Betrieb mit über 4.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und großen Engineering-Abteilungen. Daher beziehen wir Innovation vielfältig. Es gibt nie nur den einen Weg. Wir haben im Konzern einen Innovationsbereich, der fördert strukturiert Innovationsprozesse. Innovation ist etwas, das strukturiert begleitet werden muss, damit man von einer Idee wirklich zu einem Produkt kommt.

Allerdings öffnen wir uns auch nach Außen. Wir veranstalten zum Beispiel Hackathons oder arbeiten intensiv mit Universitäten und Fachhochschulen zusammen, etwa bei alternativen Antriebstechnologien. Wir gehen aber auch in andere Bereiche wie beispielsweise den 3D-Druck. Was Arbeitsmethoden betrifft, arbeiten wir beispielsweise mit der TU Graz zum Thema Lean Management zusammen oder optimieren Schichtpläne mit einem Start-up.

Wie gehen Sie denn mit dem Thema Fachkräftemangel um?

Gott-Karlbauer Das ist eine der großen Herausforderungen, vor der wir als Konzern stehen. Wir nehmen in den nächsten Jahren rund 10.000 Leute auf. Damit wird sich der Konzern stark verändern. Wir tun relativ viel, um diesen Generationswechsel zu begleiten. Unter anderem investieren wir viel in die Lehrlingsausbildung. Wir bilden pro Jahr rund 2.000 Lehrlinge in 25 Lehrberufen aus. Und natürlich matchen wir uns mit anderen Unternehmen auch um die besten Fachkräfte am Markt.

Wir sprechen gefühlt über dieselben Themen wie vor zehn Jahren: Frauenquote, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, und so weiter. Wo stehen wir in Sachen Gleichberechtigung?

Gott-Karlbauer Es wäre wünschenswert, dass es mehr Frauen in Führungspositionen gibt. Die Kundinnen und Kunden der ÖBB sind zu 50 Prozent weiblich, dementsprechend ist es für uns sehr wichtig, dass wir auch viel weiblicher werden. Daran arbeiten wir hart, mit verschiedensten Modellen. So etwa versuchen wir gerade in der Zeit, wo es oft zum klassischen Karriereknick kommt - nämlich wenn Kinder kommen – Frauen zu fördern. Wenn man da etwa ein Problem mit der Kinderbetreuung hat ist es fast unmöglich, Karriere zu machen. Da bieten wir beispielsweise Flying Nannys, technische Kindergärten oder auch Ferienbetreuung an. Ich finde es außerdem auch wichtig, das Feld für Frauen zu erweitern, das heißt Frauen auch in technische Berufe zu bringen. Das ist uns als ÖBB ein großes Anliegen.

Denken Sie braucht es heute noch eine Sichtbarmachung von Frauen, wie etwa in unserem Managerinnen-Ranking?

Gott-Karlbauer Ja, ganz klar. Wenn man eine junge Frau ist – zumindest war es bei mir so – orientiere ich mich selten an älteren Männern, sondern an Frauen. Wenn man sieht, dass Frauen auch in eher untypischen Branchen, wie der Technikbranche, Karriere machen, ermutigt das. Wichtig dabei ist aber, dass die Frauen, die Karriere gemacht haben, junge Frauen fördern. Ich tue das auch, das ist mir ein Anliegen! Denn oft geht es einfach darum, Mut zu machen und das Selbstbewusstsein zu stärken. Ihnen zu zeigen, dass sie nicht überall perfekt sein müssen, sondern sich auch einfach manchmal Dinge trauen sollten.

Es gab in letzter Zeit viele Beispiele, in denen die Position von Frauen diskutiert wird: Brigitte Bierlein als erste Bundeskanzlerin Österreichs, oder auch die Bestellung von Jennifer Morgan zur neuen SAP-Chefin. Macht man diese Frauen damit nicht erst wieder zu Exotinnen – oder ist die Vorbildwirkung wichtiger?

Gott-Karlbauer Die Vorbildwirkung ist auf jeden Fall enorm wichtig. Aber ja, man ist auch Exotin. Wenn man Karriere im klassischen Sinne macht muss man auch darauf gefasst sein, dass es Anfeindungen geben kann. Mich hat beispielsweise die Kindergärtnerin beim Abholen meines Sohnes – nach zwei Jahren mal gefragt, wer ich denn bin. Als ich sagte „die Mutter“ haben mich alle Mütter, die rundum standen, ganz betroffen angeschaut. Mit so etwas muss man umgehen können. Man darf – und das finde ich wichtig – jungen Frauen nicht vorgaukeln, dass es nur leicht ist. Das ist es nicht. Es gibt auch Situationen, die bringen einen an Grenzen. Das geht aber Frauen wie Männern so, wenn sie sich um die Kinder kümmern. So war etwa auch mein Vater exotisch, weil er mich mit in die Arbeit genommen hat. Der war übrigens auch bei den ÖBB, ich bin jetzt die vierte Generation hier.

Wie stehen Sie denn zur Frauenquote in Aufsichtsräten?

Gott-Karlbauer Ich denke es ist wichtig das Bewusstsein zu schaffen, dass es mehr Frauen braucht. Daher kann auch eine Quote im Aufsichtsrat helfen. Ich versuche, Frauen schon im Bewerbungsprozess aktiv anzusprechen. Wenn ich eine Position ausschreibe, sage ich meinen Personalleuten immer: 'Schaut, dass ihr auch eine Frau bekommt, die wir uns anschauen können.' Allein, dass nach einer Frau gesucht werden muss macht sie sichtbarer – das heißt aber nicht, dass die Frau den Job automatisch bekommt.

>> Hier finden Sie den Kommentar von IM-Autorin Michaela Holy zum Thema Quote: "Rang aus Zwang?"

Sind Sie auch als Mentorin tätig?

Gott-Karlbauer Ja, ich bin beispielsweise Mentorin bei einem konzernübergreifenden Programm, wo die ÖBB mit der Asinfag und den Wiener Stadtwerken unternehmensübergreifend Mentoring für junge Frauen anbieten. Das heißt wir bemühen uns nicht nur innerhalb des Unternehmens - wir haben auch intern Mentoring-, Frauenförderprogramme und sehr viel mehr - sondern auch über die Grenzen der ÖBB hinweg. Frauen für die Branche als solches zu begeistern ist uns ein Anliegen, gerade bei Technikerinnen.

In Interviews mit Managerinnen war oft von einem „vertrauensbasierten“, weiblichen Führungsstil die Rede. Denken Sie gibt es einen weiblichen Führungsstil?

Gott-Karlbauer Ich versuche es anders zu beantworten. Ich denke als Führungskraft ist es unerlässlich, dass man Menschen mag. Und man sollte sich selbst nicht so ernst nehmen – beides ist unabhängig vom Geschlecht. Das ist zwar recht simpel, aber mir hilft das.

Hat sich Ihr eigener Führungsstil in den letzten Jahren verändert?

Gott-Karlbauer Ja, ich bin mutiger geworden. Mutiger in dem Sinne, dass ich mehr auf meinen Bauch höre. Als ich noch jünger war habe ich versucht, alles genau zu wissen und jedes Detail zu kennen, inzwischen ist das anders – ich versuche jetzt, mehr zuzuhören. Grundsätzlich bin ich schon sehr faktenorientiert und analytisch – aber trotzdem versuche ich, immer mehr auf meine Intuition zu vertrauen.

Sandra Gott-Karlbauer studierte Wirtschaft und Psychologie und startete ihre Karriere bei Roland Berger in Deutschland. Zurück in Österreich wechselte sie in die Mobilitätsbranche: Sie war zuerst bei Siemens als CEO für den Nahverkehr verantwortlich, bevor sie vor zwei Jahren zu den ÖBB wechselte. Dort war sie 1,5 Jahre als Leiterin für die Strategie, Unternehmensentwicklung und Innovation zuständig. Im Herbst 2019 hat sie die Funktion als Geschäftsführerin bei der ÖBB-Technische Services GmbH übernommen.