Hintergrund : Erdgas vor Zypern: Schlafwandelt die EU in die nächste Krise in Nahost?

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Auf See vor der Küste Zyperns haben zuletzt vor allem aggressiv vorgetragene Gebietsansprüche des NATO-Partners Türkei die Lage verschärft und die EU-Staaten Griechenland und Zypern unter Druck gesetzt. Allein das Erdgasvorkommen südlich von Zypern könnte Experten zufolge rund 227 Milliarden Kubikmeter umfassen und Gewinne von mehr als 40 Milliarden Euro generieren.

Die zypriotische Regierung hat Konzessionen an Energiekonzerne wie Shell und Exxon Mobil vergeben. Die Türkei ist vor Zypern ohne Konzession unterwegs. Deswegen plant die EU nun, die Verhandlungen über ein neues Luftverkehrsabkommen auszusetzen. Außerdem könnten EU-Hilfen für die Türkei gekürzt und EU-Kreditvergaben einschränkt werden.

Der Norden Zyperns seit 1974 militärisch besetzt

Die Türkei hat den Norden der griechischen Insel 1974 gewaltsam besetzt und belässt ihre Armee bis heute dort. Im Norden der Insel liegt heute die sogenannte Türkische Republik Nordzypern, die von keinem Staat außer der Türkei selbst anerkannt wird. Die gesamte Insel ist als Republik Zypern seit 2004 EU-Mitglied. Das Recht der EU kann jedoch de facto nur im griechischen Süden der Insel angewendet werden.

Nun herrscht in Athen Alarmstimmung. Denn die Türkei sucht eigene Allianzen und hat im November ein Abkommen mit der libyschen Regierung in Tripolis unterzeichnet, mit dem neben einer militärischen Kooperation auch die Grenzen des Festlandsockels zwischen diesen beiden Mittelmeerländern gezogen werden sollen. Dazu: Türkei und Libyen teilen das östliche Mittelmeer unter sich auf >>

Die Türkei und Libyen haben nach Ansicht Griechenlands dabei das Internationale Seerecht verletzt. Ankara bekräftigt nämlich, Kreta und andere große Inseln wie die Touristeninsel Rhodos hätten gar keinen Festlandsockel. Der Meeresboden jenseits der heute geltenden sechs Seemeilen Hoheitsgewässer dieser Inseln liege in der Zuständigkeit der Türkei oder Libyens.

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Erdogan schafft Tatsachen - und ignoriert die Rechte Zyperns

Mit dem Argument "wir sind der Staat mit der längsten Küste in der Region" hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bereits vollendete Tatsachen rund um Zypern geschaffen. Dort bohren türkische Schiffe den Meeresboden auf der Suche nach Erdgas an - ohne die Genehmigung der Regierung des EU-Landes Republik Zypern. Drohungen der EU, Sanktionen gegen die Türkei zu verhängen, zeigen keine Wirkung.

In Athen wird befürchtet, dass die Türkei nun auch südlich von Kreta vollendete Tatschen schaffen oder dies versuchen könnte. Aus gut informierten Kreisen der Regierung in Athen heißt es immer wieder, es bliebe Griechenland dann nichts anderes übrig, als - auch militärisch - zu reagieren, wenn ein türkisches Explorationsschiff südlich von Kreta auftauchen würde. Da aber in der Regel die Türkei diese Schiffe in Begleitung von Kriegsschiffen in die Krisenregionen entsendet, wäre ein bewaffneter Konflikt möglich.

Bewaffneter Konflikt vor der Küste Kretas möglich

Athen stärkt in dieser Lage seine Kriegsmarine, wie die griechische Presse seit Wochen berichtet. Verhandlungen mit Frankreich über den Kauf von drei bis vier hochmodernen Fregatten mittlerer Größe des Typs Belharra seien in der Endphase. Die griechische Luftwaffe rüstet ihre 85 F-16 Kampfbomber um und plant, bald israelische und amerikanische Drohen der Typen Heron und MQ9 Reaper zu kaufen.

Auf Kreta sollen nach Informationen aus Regierungskreisen in Athen zusätzliche Militäreinheiten stationiert werden. Die wegen der Randlage und der Finanzkrise zuletzt verkleinerte 5. Division mit Sitz in Chania im Westen von Kreta soll aufgestockt werden. Zudem ist die Rede von mindestens zwei Bataillonen der Luftlandetruppen (Hubschrauber) und der Marineinfanterie. Planungen gibt es demnach auch, einen Teil der griechischen Flotte in den großen Marinestützpunkt Souda (Westkreta) zu verlegen. Bisher ist die Flotte hauptsächlich in Salamis vor Piräus stationiert.

Die EU könnte Griechenland alleine lassen

Die Griechen haben die konkrete Erwartung, dass sie im Falle einer schweren Krise mit der Türkei alleine dastehen könnten. Die NATO werde dann Verhandlungen zwischen den NATO-Staaten Griechenland und der Türkei vorschlagen. Die EU - womöglich auch mit Blick auf eine aus der Türkei drohende neue Welle der Masseneinwanderung - werde empört und besorgt sein.

(Von Carsten Hoffmann und Takis Tsafos, dpa / apa / red)

Grafik: Erdgasvorkommen vor der Küste Zyperns