Energy2050 : Energiekonferenz "Energy2050": Sektorkopplung im Mittelpunkt

Energy2050 Verbund Siemens Fuschl am See Salzburg
© Peter Martens

Die Themen der "Energy2050" des Jahres 2019 könnten aktueller nicht sein. Auf der wichtigsten Energiekonferenz Österreichs dreht sich drei Tage lang alles um den grundlegenden Wandel der Energiesysteme, der Erzeugung und des Verbrauchs. Die heuer über allem schwebende Frage: Wie kann man den sich immer weiter beschleunigenden Klimawandel stoppen?

"Thema ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen"

Auf Einladung des Verbund kommen alle zwei Jahre Manager, Politiker und Wissenschaftler aus dem deutschsprachigen Raum, aus Europa und den USA ins malerische Fuschl am See in Salzburg.

Bereits zum zehnten Mal veranstaltet der größte heimische Energieversorger diese Konferenz - und in den vergangenen Jahren haben die hier behandelten Fragen in erster Linie die Energiewirtschaft beschäftigt. Inzwischen jedoch steht der Kampf gegen den Klimawandel ganz oben auf der Agenda praktisch jeder Partei, dominiert die Titelseiten der Zeitungen und die Newsfeeds sozialer Medien. Währenddessen zeigen Fernsehnachrichten brennende Regenwälder in Brasilien, auftauende Permafrostböden in Sibirien, ausgetrocknete Felder mitten in Österreich. Und Teenager, die deswegen auf die Straße gehen.

"Uns beschäftigt die Klimaerwärmung schon lange - jetzt ist sie mitten in der Gesellschaft angekommen", sagt Wolfgang Anzengruber, Konzernchef des Verbund, zum Auftakt der Konferenz. "Derzeit liegt der Anteil der Emissionen in der Atmosphäre um 35 Prozent über dem Spitzenwert der letzten 8.000 Jahre. Inzwischen ist klar: Wenn wir so weiter machen, haben wir Ende des Jahrhunderts eine Erwärmung um vier bis fünf Grad. Das wäre nicht nur eine ökologische Kapastrophe, sondern auch eine ökonomische."

"Wir sind die letzte Generation, die die Klimaerwärmung noch abwenden kann"

Die Menschheit müsse bis Mitte des Jahrhunderts ihren Ressourcenverbrauch und ihre Emissionen drastisch reduzieren, so Anzengruber weiter. Zwar sei eine Wirtschaft ohne Wachstum Utopie. "Aber das derzeitige ressourcenfressende Wachstum ist nicht mehr haltbar. Wir müssen das ändern." Es wäre deshalb völlig falsch, so der Verbund-Chef, die Bewegung "Fridays For Future" als "Schulschwänzer" abzutun: "Wir sind die erste Generation, die den Klimawandel wirklich stark am eigenen Leib zu spüren bekommt. Und wir sind die letzte Generation, die diese Klimaerwärmung noch abwenden kann." Mit Blick auf die Zukunft sei auch ein "neuer Generationenvertrag" nötig, so Anzengruber.

Topmanagerin von Siemens: "Klimakatastrophe fast nicht mehr zu verhindern"

Eine Ansage, die bisher in der Industrie extrem selten zu hören war, kommt von Katharina Beumelburg, ihres Zeichens leitende Vizepräsidentin für Strategie in der riesigen Kraftwerksparte von Siemens. Eine Klimakatastrophe sei "etwas, das fast nicht mehr zu verhindern ist", sagt Beumelburg. Schon in absehbarer Zeit werden demnach verheerende Auswirkungen des Klimawandels eintreten, die es in dieser Dimension bisher nicht gab. "Wenn das Eis in Grönland schmilzt, steigt unser Meeresspiegel um sieben Meter. Ein Anstieg schon um zwei Meter würde bedeuten, dass 1,2 Milliarden Menschen aus Küstengebieten umsiedeln müssen." Diese Dramatik sei keine theoretische Annahme mehr.

Wenn die Industrie weiter nichts tue, werde der "Über-Ausstoß an Kohlendioxid" im Jahr 2030 weltweit zehn Gigatonnen CO2 betragen. "Das bedeutet, dass wir sofort etwas tun müssen. Wir sollten alle da anfangen, wo es uns am Leichtesten fällt - vor der eigenen Haustür."

"Wir müssen Erneuerbare aggressiv ausbauen"

Die Sektorkopplung sei hier ein zentraler Schritt, so die Topmanagerin von Siemens. "Wir müssen Erneuerbare aggressiv auf der ganzen Welt ausbauen. Erneuerbare zur Stromerzeugung sind super, aber wir müssen diesen Strom nehmen, um andere fossile Energieformen zurückzudrängen." Grüner Wasserstoff aus einer Elektrolyse mit Strom aus Erneuerbaren könne in einigen Weltregionen schon heute zu den Kosten von Wasserstoff aus Dampfreformierung erzeugt werden. "Es kommt auf jeden noch so kleinen Beitrag an. Allein ein Kohle-Gas-Shift würde weltweit helfen."

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Zwei Tonnen Emissionen pro Kopf statt 15

Das Ziel einer Dekarbonisierung und ein klimaneutrales Europa erfordere nichts weniger als eine neue industrielle Revolution, meint auch Verbund-Chef Wolfgang Anzengruber. "In Österreich liegen die CO2-Emissionen derzeit bei zehn Tonnen pro Kopf pro Jahr. Berechnet man das ein, was im Ausland für Österreich produziert wird, sind es 15 Tonnen. Wenn wir eine Wende schaffen wollen, muss dieser Wert auf zwei Tonnen sinken. Das ist gewaltig - aber machbar." Österreich habe zwar einen Bruchteil eines Prozents an den weltweiten Emissionen. Eine schrittweise Dekarbonisierung lohne sich trotzdem, meint Anzengruber mit Verweis darauf, dass sehr hohe Investitionen in neue Umwelttechnologien notwendig seien. Diese Investitionen wiederum würden für neue wirtschaftliche Dynamik sorgen und den Standort insgesamt profitieren lassen.

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"Wir haben die technologischen Instrumente, die Ingenieure und die Möglichkeiten"

In diesem Zusammenhang betont der Chef eines der größten Wasserkrafterzeugers Europas auch, dass er nicht in den Chor der Skeptiker einstimmen will. Tatsächlich wachsen besonders unter jüngeren Menschen massive Zweifel daran, dass ein fundamentaler Wandel des gesamten Systems noch gelingen kann - zu festgefahren sind die globalen Abläufe der Herstellung, des Handels und des Verbrauchs, während jedes Unternehmen und jeder Einzelne kaum mehr als optische Zugeständnisse macht. "Ich weigere mich, diesen Zukunftspessimismus zu teilen. Wir brauchen mehr denn je den Glauben an den technologischen Fortschritt", meint dagegen Anzengruber. "Wir haben die technologischen Instrumente, die Ingenieure und die Möglichkeiten."

Andere Spielregeln nötig

Nötig seien aber andere Spielregeln - und andere Ziele. Der Verbund hat daher die Sektorkopplung zum zentralen Thema der heurigen Energy2050 gemacht, also der Vernetzung von Strom aus Erneuerbaren mit den Bereichen Wärme, Verkehr und industriellen Prozessen. Die Energiewende sei bisher vor allem eine Stromwende gewesen, so Anzengruber - "aber mit Strom allein schaffen wir es nicht." Das Ziel: Fossile Energieträger schrittweise zu ersetzen und die Erzeugung und den Verbrauch zu flexibilisieren.

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Industrie: Lukrative Flexibilität

Der Industrie als Energieverbraucher und Energieerzeuger komme dabei eine Schlüsselrolle zu, so Anzengruber mit Verweis auf das Thema Demand Response. Bei dieser Flexibilisierung des Verbrauchs bei großen industriellen Verbrauchern hat der Verbund in Österreich bereits mehrere sogenannte "Power Pools" gestartet - virtuelle Kraftwerke, über die Industriebetriebe von den Schwankungen in der Stromproduktion profitieren können. Prominentester Teilnehmer ist die Voestalpine. Mehr dazu: Demand Response: Wie die Industrie jetzt ihren Energiebedarf in virtuellen Pools optimiert >>

Wolfgang Hesoun: Städtische Räume werden entscheidend

Auch Wolfgang Hesoun, Konzernchef von Siemens Österreich, plädiert für deutlich mehr Anstrengungen im Bereich Sektorkopplung - und hier vor allem für Investitionen im urbanen Raum. "Die entscheidenden Fortschritte im Bereich Sektorkopplung werden im urbanen Raum erzielt", meint Hesoun, der übrigens kürzlich in seinem Amt bestätigt wurde. "In den Städten und Megastädten wird in den kommenden Jahrzehnten 60 bis 70 Prozent der Weltbevölkerung leben. Hier die unterschiedlichen Bereiche wie Erzeugung, Wärme und Verkehr zu vernetzen ist ein sehr viel größerer Hebel, als neue Anlagen gegen den Klimawandel zu bauen."

Wien-Aspern: Weltweit einzigartig

Hesoun verweist hier auf Projekte in Wien-Aspern, wo Siemens Österreich ferderführend an Konzepten einer "Smart City" beteiligt ist. "Es ist das weltgrößte Projekt seiner Art. In Zusammenarbeit mit der Stadt Wien sind daraus bereits viele Patente entstanden. Wir erforschen dort Algorithmen, setzen Künstliche Intelligenz ein und bringen Häusern Kommunikation bei, etwa indem Energiespeicher sich automatisch am Wetterbericht orientieren."

Auch Hesoun plädiert dafür, nicht in Fatalismus zu verfallen - weder beim Thema Klimawandel noch beim Blick auf wirtschaftliches Wachstum. Denn während andere Branchen wie etwa die Autoindustrie gerade eine Flaute erleben, würden die notwendigen Investitionen in Klimatechnologien und in eine neue Infrastruktur anderswo Wachstum generieren.

Tatsächlich steigen gerade nach Daten der EU-Kommission die weltweiten Investitionen in erneuerbare Energien stark an. Im Jahr 2015 haben sie noch 286 Milliarden Dollar betragen - nächstes Jahr sollen es bereits 500 Milliarden Dollar sein. Dazu der Chef von Siemens Österreich: "Europa gehört bei Umwelttechnologien in vielen Bereichen zur Weltspitze. Das sollten wir nutzen."

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Anmerkung der Redaktion:

Dieser Text wurde am 20.09.2019 ergänzt