Logistikforschung : Die Transformation der Logistikbranche

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Ein größerer Unterschied ist kaum vorstellbar. Musik- und Schalungsindustrie werden wohl selten miteinander verglichen. Spotify und Doka? Geht eher nicht zusammen. Michael Plasch, Supply-Chain-Forscher am Logistikum der FH Steyr, sieht das anders: "In beiden Branchen finden disruptive Veränderungen statt. Der Begriff ‚Service’ beinhaltet immer stärker den Faktor des ‚Nichtbesitzens’. Ein Spotify-Account ist kein Produkt mehr, sondern ein neues Geschäftsmodell."

Ein Vergleich, mit dem Markus Bittner gut leben kann. "De facto sind wir ja längst ein Serviceunternehmen", sagt der Head of Service Engineering des niederösterreichischen Schalungsspezialisten Doka, "rund zwei Drittel unseres Umsatzes kommen aus diesem Bereich." Die Grenzen zwischen Fertigung und Service sind längst nicht mehr so dicht wie früher. "Produkt- und Dienstleistungsentwicklung sind nicht getrennt", erzählt Bittner, "und wir müssen auch immer stärker in die Prozesse und die Logistik der Kunden einsteigen. Wir gehen da in Bereiche, die mit Schalung im engeren Sinne eigentlich kaum noch zu tun haben." Und das auch noch proaktiv: "Die Wünsche, die die Kunden artikulieren, sind ja meist nur eine Momentaufnahme. Es spiegelt nicht unbedingt wider, was letztlich ihre tatsächlichen Bedürfnisse sein werden."

Die strukturierte Entwicklung von Services, das Service Design & Engineering, ist für viele Unternehmen längst integraler Bestandteil der Prozesse. Aber wie machen sie das eigentlich? Kann man die Prozess-Schritte generalisieren? Und daraus konkrete Empfehlungen ableiten?

Brainstorming

Fragen, denen seit rund einem Jahr ein Forschungsprojekt mit Unterstützung des Vereins Netzwerk Logistik nachgeht. Zwei Teams unter der Leitung von Herbert Michael Richter am Institut Industrial Management der FH Joanneum Kapfenberg und Daniela Freudenthaler am Logistikum arbeiten dabei mit Unternehmen aus Industrie, Handel und Dienstleistung. Unter den beteiligten Industriebetrieben finden sich Größen wie Rosenbauer, Knapp, Keba oder eben Doka. In den Meetings nehmen sich die Unternehmensvertreter jeweils einzelne Prozess-Schritte des Service Engineerings in der eigenen Firma vor – von der Ideenfindung über Design, Prototyping und Markteinführung bis hin zu Bewertung, Anpassung und Ablösung der Dienstleistung – berichten darüber und analysieren die Abläufe: Finden diese Schritte überhaupt statt? Wenn ja, in welcher Abfolge? Mit welchen Methoden? Mit welchen Abteilungen, welchen Instrumenten? Bis Ende der Projektlaufzeit 2016 soll daraus ein generalisierter Best-Practice-Katalog destilliert und in Form eines White-Papers veröffentlicht werden.

Parallel dazu wurde eine Befragung von 118 heimischen Unternehmen – vorwiegend Maschinen- und Anlagenbauern, Dienstleistern und Automobilzulieferern – durchgeführt, die einen Überblick über den Stand der Service-Entwicklung gibt. Mit einigen spannenden Ergebnissen: So sehen etwa knapp 90 Prozent der Befragten Service-Entwicklung als Bestandteil ihrer langfristigen Unternehmensplanung, doch haben nur knapp 40 Prozent dafür eine eigene Abteilung oder Organisation eingerichtet. Und immerhin ein Drittel der befragten Unternehmen verfügt über keinerlei schriftliche Strategie für die Entwicklung neuer Services.

"Dann sehen wir schon weiter"

Ergebnisse, die laut Michael Plasch ein differenziertes Bild ergeben: "Die wachsende Kundenorientierung ist in den Unternehmen durchaus spürbar, und auch der Druck, daraus Geschäftsmodelle zu entwickeln, erkennbar. In vielen Firmen gibt es auch bereits eigene Teams – ob strukturiert oder auf Abruf –, die sich um die Service-Entwicklung kümmern. Doch die strategischen und organisatorischen Herangehensweisen sind teilweise recht unterschiedlich. Und bei manchen Unternehmen scheint immer noch die Einstellung zu herrschen: 'Jetzt produzieren wir mal und dann sehen wir schon weiter.'" Über strukturelle Fragen hinaus geht es für Michael Plasch aber auch um die grundlegende Methodik: "Wir verwenden Ansätze aus dem Designmanagement und der Innovation, wie etwa Design-Thinking."

Transformation der Logistikbranche...

Dass dieser Forschungsansatz ausgerechnet aus der Ecke der Logistik und des Supply-Chain-Managements kommt, ist für Michael Plasch nur der nächste logische Schritt. Gerade die Logistik eigne sich als genuin themen- und abteilungsübergreifende Disziplin dafür – und sie stehe zudem vor ähnlichen Herausforderungen wie die Industrie: "Wenn es um Wertschöpfung geht, hat die Logistik in ihrem ureigenen Gedanken durch die Bereitstellung eines Produktes automatisch den Service mit im 'Paket'", sagt Plasch. "Die Servicedienstleister in der Logistik kämpfen genauso mit dem Preisdruck und sie haben mit Kunden zu tun, die einfach nur ein gutes Service zukaufen möchten." Umstände, die dabei sind, die Logistik selbst zu transformieren: Logistik-Dienstleister würden künftig vielleicht vermehrt daran denken, mit Mitbewerbern in Form von gemeinsamen und transparenten Servicebündeln nach klaren Spielregeln zu kooperieren. "Künftig können in diesem Zusammenhang Service-Ertragspotenziale durch Kooperationen mit Komplementären realisiert werden", hofft Plasch.

... entlang der Supply-Chains

Strukturiertes Service Design & Engineering dürfte aber auch die Supply-Chains der Industriebetriebe verändern. Die im Wesentlichen nach innen gerichteten Optimierungsprozesse der Lieferketten haben zu enormen Effektivitäts- und Effizienzsteigerungen geführt. Verstärkte Ausrichtung der Unternehmen am Kunden verlange aber Neukonzeption oder zumindest Neuausrichtung der Supply-Chains, sagt Herbert Michael Richter: "Wenn ganze Abteilungen nicht im direkten Kontakt mit den Kunden stehen, geht viel Information verloren. Ich gebe schon zu: Komplette Kundenausrichtung ohne Rücksicht auf Verluste und Kosten ist wirtschaftlich meist nicht abbildbar. Aber reine interne Neuorientierung und Prozessoptimierung reicht auch nicht."

Dass die Kunden mit ihren Erwartungen beginnen, die Supply Chains der Industrie zu triggern, sieht er keineswegs als Problem: "Natürlich entstehen da Reibungen, aber die sehe ich vor allem als Anlass, kritisch und offen zu denken." Für Projektleiter Richter geht es aber auch um den Produktionsstandort und seine Wettbewerbsfähigkeit: "Hybride Produkte – Produkt plus Dienstleistung – erhöhen die Differenzierung, machen unverwechselbarer im Wettbewerb und erlauben somit die Margen. Das stärkt die Produktion in Österreich." Ein kleiner Schritt in diese Richtung soll Ende des Jahres getan werden.

Markus Bittner von Doka erwartet mit Abschluss des Forschungsprojektes "eine echte Standardisierung des Dienstleistungs-Prozesses". Unternehmen, die sich am Projekt beteiligen möchten, sind übrigens eingeladen, sich zu melden.