Industriebau : Die Seestadt-Pioniere

Die Situation war einigermaßen speziell: Eine öffentliche Straße zwischen Produktion und Verwaltung ist ein verlässlicher Garant für suboptimale Abläufe. Und auch dafür, dass Mitarbeiter der beiden Bereiche einander eher selten zufällig begegnen. Der traditionsreiche Produktionsstandort der Hoerbiger Ventilwerke in Wien-Simmering litt jedoch unter mehr als der räumlichen Spaltung. Eingezwängt zwischen Wohnbauten, gab es keine Möglichkeit der Erweiterung. Der Dreischichtbetrieb sorgte für Spannungen mit den Anrainern. Das Gebäude stammt zudem aus der Nachkriegszeit, wurde immer wieder erweitert – mit entsprechenden Folgen für die innerbetriebliche Logistik. Zwei weitere Hoerbiger-Standorte waren überhaupt woanders in Wien zu finden.

Als die Schweizer Konzernleitung im Jahr 2011 das Go für die Investition gab, hatte sie eingehende Diskussionen mit dem Projektleiter in Österreich, Martin Langer, hinter sich. "Letztlich gab es zwei Wege", erzählt Langer: "Das klassische Modell der Beauftragung eines Generalplaners unter den Aspekten der Kosten und der Erfüllung technisch-logistischer Anforderungen. Oder den anderen Weg."

Übersetzungsprozess

Der andere Weg, der Generalplaner-Wettbewerb, "war die bewusste Entscheidung, mehr Geld in die Planung zu stecken und dafür hoffentlich weniger in Adaptionen danach", sagt Martin Langer. Ausschlaggebend für die Entscheidung war laut Langer "der Wunsch nach einem Gebäude von hoher Qualität. Uns kennt nicht jeder. Wenn wir also gute, junge Talente anziehen wollen, müssen wir neben hoher Qualität in der Produktion auch hohe Qualität als Arbeitgeber bieten." Neben den objektiven Erfordernissen wollte Hoerbiger also ein Gebäude errichten, das als architektonisches Signal nach außen ebenso taugt wie als attraktives Arbeitsumfeld nach innen.

Um dafür einen passenden Anforderungskatalog zu erstellen, holte sich Hoerbiger Unterstützung beim Strategieund Objektberater M.O.O.CON, der auch den Wettbewerb koordinierte. Martin Käfer, der das Hoerbiger-Projekt betreut, beschreibt den Anforderungskatalog als "sehr weit gespannt: Da ging es nicht nur um Prozesse, Abläufe, Funktionen, sondern auch um die Frage: Wie muss das Gebäude technisch, architektonisch und topografisch beschaffen sein, um das Unternehmen bei dem zu unterstützen, was es dort erreichen will? Innerhalb des Komplexes entstehen da extrem unterschiedliche Anforderungen sehr unterschiedlicher Nutzergruppen." Ein Übersetzungsprozess also zwischen der Strategie des Unternehmens und der Beschaffenheit eines Gebäudes.

Fokus Kommunikation

Vielleicht war es ja auch die Erfahrung der geteilten Bereiche in Simmering, die das Thema Kommunikation so sehr in den Fokus rückte und zu einer zentralen Anforderung an das neue Gebäude machte. Der Plan der letztendlich siegreichen querkraft architekten legte besonderes Augenmerk auf Schnittstellen zwischen den Arbeitsbereichen. "Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die informelle Information am meisten bringt", sagt Martin Langer. "Beim Kaffee nach der Sitzung löst man meist mehr als in der Sitzung selbst. Und genau das wollten wir fördern."

Seestadt-Pioniere

Der Ansatz, möglichst gute Mitarbeiter anzuziehen, war auch für die Standortwahl entscheidend. Da eine Auslagerung der Produktion nicht infrage kam, suchte Hoerbiger nach einem gemeinsamen Standort für Produktion, F&E und Verwaltung. Von rund einem Dutzend evaluierter Flächen qualifizierte sich schließlich die Seestadt Wien-Aspern, deren Ansatz der Verzahnung von Wohnen, Arbeit und Infrastruktur sich gut ins Konzept von Hoerbiger fügte. Trotz der noch fehlenden Anbindung an das hochrangigeStraßennetz sieht Martin Langer in Aspern "auf Sicht gesehen eine gute Entscheidung. Hier wächst etwas, hier gedeiht etwas, und das ist für ein Unternehmen immer gut."

"Wir reden nur noch mit euch."

Der neue Wiener Hoerbiger-Standort ist auch ein Vorzeigeprojekt der IG Lebenszyklus Bau, deren Gründungsmitglied auch M.O.O.CON ist. Der Verein bildet eine Plattform für an Bauprojekten beteiligte Auftraggeber und Bieter in Hoch- und Tiefbau – mit dem Ziel, gemeinsame Managementinstrumente zu entwickeln, die zu Synergien führen. Die von der IG definierten "Lebenszyklus-Modelle" umgreifen alle Fachbereiche von Projektinitiierung bis Bewirtschaftung: Die Beteiligten an Planung, Errichtung, Finanzierung und Bewirtschaftung wollen interdisziplinär und partnerschaftlich Kooperations- und Beschaffungsmodelle entwickeln sowie Wertschöpfungs- und Controlling-Instrumente ableiten. Es geht auch darum, die vielen Spezialisten, die üblicherweise sequenziell arbeiten, von Beginn an miteinander zu verknüpfen.

In einer Branche, in der harte Bandagen üblich sind, ist der Ansatz durchaus bemerkenswert. Und er verlangt von den Beteiligten, sich einer Kultur zu verpflichten, die im Baubereich nicht allzu verbreitet scheint: das Abgehen von Partikularinteressen und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. So ließ sich Hoerbiger ganze drei Monate Zeit, um die passenden Partner für das Projekt zu finden. "Vor allem aber", erzählt Martin Langer, "haben wir den Unternehmen ab einer bestimmten Phase gesagt: 'Auch wenn wir noch keinen Vertrag haben – ab jetzt reden wir nur noch mit euch.' An den Reaktionen konnten wir ablesen, wie unüblich das in dieser Branche ist."

Unüblich war neben der laut Hoerbiger extrem reibungsfreien Zusammenarbeit über zweieinhalb Jahre vor allem eine Folge dieses Ansatzes: Der von der Konzernzentrale in der Schweiz vorgegebene Budgetrahmen war nicht nur hart verhandelt, er war vor allem in Stein gemeißelt. Und wurde um keinen Cent gesprengt.