Interview : „Die Maßnahmen waren überlebensnotwendig“

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© Thomas Topf für INDUSTRIEMAGAZIN

Herr Mayer, Sie wurden im Frühjahr zum Vorstandschef der AMAG bestellt – seit 2007 waren Sie Finanzvorstand der AMAG. Kann man die Bestellung eines erfahrenen Zahlenmenschen so interpretieren, dass in der AMAG das Zeitalter großer Investitionen und starken Wachstums zu Ende ist?

Gerald Mayer Überhaupt nicht. Wir müssten dazu natürlich den Aufsichtsrat befragen, der solche Entscheidungen fällt.

Sie wehren sich gegen die Punze des risikoaversen Finanzmenschen?

Mayer Wir haben seit 2008 am Standort rund eine Milliarde Euro investiert. Davon alleine eine halbe Milliarde in die Großprojekte Warm- und Kaltwalzwerk. Und diese Entscheidungen sind im Vorstand immer gemeinsam gefallen. Wir waren nie eine One-Man-Show – nicht unter Gerhard Falch, nicht unter Helmut Wieser. Wir waren immer ein Dreier-Team. Das wird bei mir nicht anders gehandhabt werden. Es geht bei der Nachbesetzung nicht um Kategorien wie Techniker oder Finanzer. Es geht um Kontinuität.

Sie haben mit dem massiven Ausbau auf die steigende Nachfrage im Automobil- und Luftfahrtbereich reagiert. Wie lange sind Sie durch die jüngsten Investitionen produktionsseitig abgesichert?

Mayer Durch die im Jahr 2012 begonnenen Ausbauten haben wir die Walzkapazitäten praktisch von 150.000 Tonnen auf ca. 300.000 Tonnen verdoppelt. Wir sind gerade dabei, die Werke hochzufahren und die neuen Kapazitäten in den Markt zu bringen. Unser Ausstoß definiert sich stark über die Tatsache, was wir erzeugen. Die Walzkapazitäten sind dabei ein bestimmender Faktor, wie viel und was wir an Quantität und Qualität verkaufen. 2018 haben wir 225.000 Tonnen Aluminiumwalzprodukte hergestellt. Dabei haben wir grob gerechnet 70.000 Tonnen freie Kapazität noch zur Verfügung. Das bedeutet, dass wir noch etwas Spielraum haben. Wie lange es dauert, bis die neuen Kapazitäten ausgelastet sind, lässt sich seriös heute noch nicht sagen.

Wo stünde die AMAG heute, wenn das Ausbauprogramm nicht umgesetzt worden wäre?

Mayer Aus unserer Sicht waren die Maßnahmen mittel- und langfristig überlebensnotwendig. Wir hatten alte Anlagen, die gut funktionierten, aber nur über eingeschränkte Kapazitäten verfügt haben. Wenn wir nachhaltig an die Luftfahrt- oder Automobilkonzerne liefern wollen, dann ist eine verlässliche Produktionslinie notwendig, und zwar auf Dauer. Die Hauptaggregate unseres alten Warmwalzwerkes waren 60 Jahre alt. Durch die neue Anlagenkonfiguration verfügen wir bei vielen Produkten nun über zwei redundante Produktionslinien. Gibt es in einer Linie Probleme, kann in kurzer Zeit auf die zweite Fertigungslinie zurückgegriffen werden.

Absolute Liefertreue war in Ihrem Business doch schon immer Voraussetzung...

Mayer Natürlich. Aber wir können unsere Zuverlässigkeit auch unter den gesteigerten Voraussetzungen modernster Wertschöpfungsketten garantieren. Ein weiterer, mindestens so wichtiger Vorteil liegt in den neuen Qualitäten und Produktdimensionen. Wir produzieren heute auf einem Niveau, das wir in den alten Anlagen nie hätten darstellen können. Ich bin überzeugt, dass wir keinen langfristigen Luftfahrtvertrag abgeschlossen hätten, wenn wir nicht auf das neue Werk verweisen könnten.

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Die automotive Industrie ist eine wichtige Kundenbranche für die AMAG. Jetzt bröckeln dort Zahlen und Zulassungen. Spürt die AMAG die neue Vorsicht der Autokonzerne?

Mayer Natürlich ist die Automobilindustrie eine wesentliche Kundenbranche. Der Umsatzanteil liegt zwischen 15 und 20 Prozent. Das ist viel. Aber nicht so viel, dass uns die Probleme einer einzelnen Branche ins Straucheln bringen würde. Die AMAG ist im vergangenen Jahrzehnt mit der breiten Positionierung sehr erfolgreich unterwegs gewesen.

Der wachsende Aluminiumanteil in modernen Autos und die Perspektiven in der Elektromobilität haben die AMAG in jüngster Zeit aber gut wachsen lassen.

Mayer Es ist richtig, dass die Automobilbranche und ihre wachsenden Anforderungen an den Leichtbau ein Motor der hohen Aluminiumnachfrage waren und sind. Wir wachsen mit der steigenden Nachfrage aus dem Fahrzeugbau. Das hat sich aber noch nicht grundlegend geändert. Im ersten Halbjahr haben wir im Automobilbereich um 30 Prozent mehr abgesetzt als im Vorjahr. Also das Geschäft brummt noch.

Gibt es für das zweite Halbjahr Anzeichen für einen Wechsel der Konjunkturlage?

Mayer Wir sind durch das Hochfahren unseres neuen Werkes kein zuverlässiger Konjunkturindikator. Das neue Werk kommt vom Timing her zum goldrichtigen Zeitpunkt. Hätten wir den Zeitplan für die Erweiterung nicht punktgenau eingehalten und wären ein halbes oder ein ganzes Jahr später fertig geworden, hätten wir, da bin ich überzeugt, etliche Aufträge nicht einfahren können, die wir jetzt bereits abarbeiten. Dann würden wir möglicherweise den Abschwung stärker mitkriegen.

Also alles nach Plan?

Mayer Man muss sagen: Wir sind nicht ganz dort, was unsere Pläne für heuer vorsehen. Die Abrufe im Autobereich könnten stärker sein. Aber – und das unterstreiche ich – wir haben ein deutliches Wachstum.

Wie weit weichen Prognose und Realität voneinander ab?

Mayer Ich kommentiere keine Budgets. Ich sage auf Oberösterreichisch: Ein bisserl was is‘ immer drinnen.

Ein weiterer Wachstumstreiber der AMAG ist die Flugzeugindustrie. Die optimistischen Wachstumsprognosen kommen durch Klimadiskussion und Kritik an der Billigfliegerei stark unter Druck. Wie sehen Sie die kommenden Entwicklungen?

Mayer Unsere aktuellen Prognosen gehen in den nächsten zwanzig Jahren von 40.000 neuen Flugzeugen aus. Die Masse der neuen Flugzeuge werden solche mit einem einzelnen Mittelgang sein („Single-Aisle-Modell“, Anm. d. Red.). Und diese sind großteils aluminiumbasierte Flieger. Das Wachstum kommt dabei nicht aus Europa, sondern aus Asien. Die Menschen dort beginnen erst, das Transportmittel Flugzeug zu nutzen. Aktuell kommen um die zehn Prozent unseres Absatzes aus der Luftfahrtbranche.

Die USA sind nach Europa der zweitwichtigste Markt für die AMAG. Was ist derzeit der Stand in den Trumpschen Zollszenarien rund um Aluminium?

Mayer Auf dem Gebiet tut sich dauernd etwas. Im globalen Segment Walzen gingen im letzten Jahr 35.000 von 225.000 Tonnen in die USA. Das sind etwas mehr als 15 Prozent unserer Walzproduktion. In dem Bereich haben wir es geschafft, einen wesentlichen Teil des zehnprozentigen Zusatzzolls an die Kunden weiterzugeben.

Aber Ihre amerikanischen Wettbewerber haben dadurch trotzdem einen Vorteil...

Mayer Wir sind froh, die Zölle weitergeben zu können und unsere Margen stabil zu halten. Aber für unsere US-Mitbewerber, die die gleichen Preise ohne Zollabschläge erzielen, hat der Prozess einen Ausbau der Margen mit sich gebracht. Das hätten wir auch gerne. Aber wir können mit der derzeitigen Zollsituation in den USA gut leben.

Es heißt, die europäischen Aluminium-Lieferungen in die USA sind trotz Strafzöllen sogar gestiegen...

Mayer Das stimmt. Wir haben in den vergangenen 18 Monaten eines gesehen: Die Warenströme verändern sich. Bei den Walzprodukten haben wir im ersten Quartal 2019 einen Rückgang der Lieferungen von China in die USA von sage und schreibe 60 Prozent festgestellt. Das ist allein den Zöllen geschuldet. Auf der anderen Seite sehen wir ein Plus der europäischen Lieferungen in die USA von 85 Prozent. Das bedeutet, dass die Europäer in unserer Branche von der Zolldiskussion profitieren. Aber es gibt natürlich eine Gegenreaktion: Wir sehen eine chinesische Verkaufsoffensive in Europa, die die Einbußen am US-Markt ersetzen soll. Hier spüren wir eindeutig Druck auf die Margen. So werden einsame Entscheidungen eines einzelnen Mannes auf der ganzen Welt spürbar.

Die AMAG hält 20 Prozent an der Primäraluminiumschmelze Aluminerie Alouette im kanadischen Quebec. Seit einem Großausbau 2005 ist das die größte Produktionsstätte in Nordamerika. Wie wichtig ist die Alouette-Beteiligung für die AMAG-Gruppe?

Mayer Alouette ist strategisch entscheidend für die Vormaterialversorgung in Ranshofen. Bei normaler Versorgungslage kaufen wir Primäraluminium dort, wo es für uns am günstigsten ist, und liefern unsere Alouette-Produkte in den nordamerikanischen Markt. Wenn in Europa aber der Markt eng wird, was im Zuge von Russlandsanktionen schon mal passiert ist, dann können wir umdisponieren und Alouette-Vormaterial nach Ranshofen holen. Dies ist ein wesentliches Asset in Bezug auf unsere Liefertreue. Und natürlich ist die Beteiligung ein wichtiger Margenbringer für uns, der unmittelbar zum Ergebnis beiträgt.

Würden Sie sich wünschen, Alouette-Anteile aufzustocken, sollten sie frei werden?

Mayer Mittelfristig sicher nicht. Einer der Gründe: Derzeit wird in China an einer Elektrolyse gebaut, deren Errichtungskosten bei rund 1.500 Dollar pro Tonne installierter Kapazität liegen. Im Rest der Welt, Russland, Kanada, mittlerer Osten, wie auch immer dies definiert wird, ist dies kaum unter 6.000 Dollar die Tonne möglich. Dies bringt den Chinesen einen Startvorteil in den Kosten, den wir als Mitbewerber nicht wettmachen können. Da macht es wenig Sinn, sich stärker in der Primäraluminiumproduktion zu engagieren.

Derzeit herrscht an den Märkten Unruhe. Deutschland dürfte im Herbst tatsächlich in die Rezession rutschen, der Zollstreit USA-China droht zu eskalieren... Sie haben die Krise 2008 bereits im AMAG-Vorstand erlebt. Fühlen Sie sich an diese Zeiten erinnert?

Mayer Ich sehe die Situation bei weitem nicht so dramatisch. 2008 hatten wir Absatzeinbrüche binnen weniger Tage von mehr als 30 Prozent. Wir fanden uns in einer finanzgetriebenen Situation, in der wir Passagiere waren. Heute sind wir ein anderes Unternehmen, das in einem nicht mehr so dynamischen, aber stabilen Umfeld agiert. Unser Flugzeugbereich läuft sehr gut, die Verpackungsbranche ist als Grundlastbringer unverändert stabil. Von den Problemen des Autobereiches lesen wir in erster Linie in der Zeitung. Dort spüren wir einige Verzögerungen in den Abrufen, aber wir sind auf Kurs. Ich will es nicht schönreden: Die Konjunktur verliert an Dynamik. Ich sehe aber bestimmt kein „Hard-Landing“-Szenario, wo alles in kurzer Zeit den Bach runtergeht.